Die »Große Trübsal« in der Johannesoffenbarung

Zu einem viel gebrauchten Begriff in der Eschatologie ist die »Große Trübsal« geworden. Manche Ausleger machen ihn zum Dreh- Dreh und Angelpunkt Ihrer Eschatologie. Hat sie wirklich diese Bedeutung, oder hat sich in diese Theologie ein Mythos eingeschlichen? Ich möchte versuchen, dieser Frage hier nachzugehen

Der Ursprung des Themas ist Dan. 12:1:

Der Begriff der großen Trübsal

Zu jener Zeit wird sich der große Fürst Michael erheben, der für die Kinder deines Volkes einsteht; denn es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie es noch keine gab, seitdem es Völker gibt, bis zu dieser Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, jeder, der sich in dem Buch eingeschrieben findet.

Auf diese Stelle beruft sich auch der Herr Jesus in seiner Endzeitrede in Matth. 24:15-22

15 Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung, von dem durch den Propheten Daniel geredet wurde,6 an heiliger Stätte stehen seht (wer es liest, der achte darauf!), …

21 Denn dann wird eine große Drangsal sein, wie von Anfang der Welt an bis jetzt keine gewesen ist und auch keine mehr kommen wird. 22 Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen sollen jene Tage verkürzt werden.

 

Somit ist dieser Begriff tatsächlich klar definiert und es ist deutlich, dass diese Zeit zu jener 70. Jahrwoche gehört, von der in Dan. 12 die Rede ist und in der der Gräuel der Verwüstung im Tempel aufgerichtet werden wird. Wenden wir uns nun der Offenbarung zu, dann finden wir diesen Begriff der großen Trübsal in Kap 7:14, nachdem er die gewaltige Schar der Geretteten aus den Nationen sieht, die vor dem Thron Gottes stehen und von den Ältesten gefragt wird: Wer sind diese?:

 14 Und ich sprach zu ihm: Herr, du weißt es! Und er sprach zu mir: Das sind die, welche aus der großen Drangsal kommen; und sie haben ihre Kleider gewaschen, und sie haben ihre Kleider weiß gemacht in dem Blut des Lammes.

 

Während nun Matth. 24:21 einen klaren Bezug hat zu der Danielweissagung, erhebt sich die Frage, ob das denn nun auch bei Off. 7:14 so ist. Ein Blick auf andere Übersetzungen und vor allem auf den griech. Text lässt daran zweifeln. In Elb. und SL2000 wird der Bezug scheinbar hergestellt durch die Formulierung »das sind die, welche aus der großen Drangsal kommen«, so als ob hier eben eine ganz bestimmte vorher definierte Drangsal gemeint ist. In der engl. King James Übersetzung liest sich das so: These are they which came out of great tribulation. Wenn wir aber den grich. Text ansehen, dann steht da:

“…ουτοι εισιν οι ερχομενοι εκ της θλιψεως της μεγαλης …” (Re 7:14 TRClassic)

es heißt also lediglich ... diese sind die kommen aus der Bedrängnis (Trübsal, Drangsal) die groß (ist) … Hier sehen wir, dass es sich also nicht um einen Eigenbegriff handelt und sprachlich nicht zwingend von dem gleichen Ereignis die Rede sein muss, auch wenn das die meisten Übersetzungen so implizieren.

Und auch vom Kontext her finden wir nicht die gleiche Situation vor. Daniel und der Herr in Matth. 24 sprechen von der großen Trübsal im Zusammenhang mit der Danielvision von dem Gräuel der Verwüstung in der 70. Jahrwoche. In Matth. 24:9+29 finden wir aber eine weitere Trübsal erwähnt, die zwar nicht mit dem Tribut groß versehen ist, aber im vom Kontext her durchaus so bezeichnet werden könnte. Hier in der Off. 7:14 aber haben wir es mit der Situation zu tun, dass die versammelten Geretteten vor dem Thron Gottes, aus allen Nationen, so bezeichnet werden, als aus einer großen Trübsal kommend. Nun handelt es sich aber hier zweifellos nicht um jene Weissagung unseres Herrn und des Propheten Daniels, sondern um die Zeit der Sammlung dieser großen Schar, also die Zeit der Gemeinde wird mit dem Tribut einer großen Drangsal bezeichnet, was Angesichts der Geschichte der letzten 2000 Jahren auch verständlich ist. Nach Off. 7:14 kommt aber der griech. Begriff für Trübsal, Drangsal, Bedrängnis (θλιψις) nicht mehr vor.

Es gibt also die »Große Trübsal«. Natürlich auch in der Offenbarung, soweit wir in dieser die 70. Jahrwoche erkennen können. Aber nicht jede Trübsal ist die Große Trübsal, oft handelt es sich nur um eine große Trübsal, die mit der Aussage Jesu in 24:21 von der Zeit die schlimmer sein wird als je eine andere war noch sein wird, nichts zu tun hat.

Was ist nun die Konsequenz dieser Entdeckung?

Die Konsequenz dieser Entdeckung ist, dass viele Auslegungen der Johannesoffenbarung die sich darauf berufen, dass es sich in den Kap. 4 bis 19 insgesamt um die Zeit der großen Trübsal handelt, die sich in der 70. Jahrwoche Daniels abspielt, nicht haltbar ist. Tim La Haye ist einer der Vertreter dieser Theorie, die weit verbreitet ist. Wie alt sie ist weiß ich nicht, aber der 1915 geborene dispensationalistische Theologe J.Dwight Pentecost veröffentlichte 1958 ein Buch unter dem Titel Things to Come in dem er diese Ansicht vertritt. 1986 erschien dieses Buch auf deutsch. Seine eindeutige Meinung über die Auslegung der Offenbarung formuliert er so:

Kap. 1-3 legen die Entfaltung der Gemeinde in diesem jetzigen Zeitalter dar. Kap.4-11 behandeln die Ereignisse der gesamten 70. Woche und enden mit der Wiederkunft des Christus auf die Erde als Herrscher (11:15-18). Somit beinhalten die Siegel Ereignisse der ersten dreieinhalb und die Posaunen Geschehnisse der zweiten dreieinhalb Jahre. Nach den in 10:11 gegebenen Anweisungen für Johannes betrachten Kap.12-19 die 70. Woche ein zweites Mal, diesmal in der Absicht, die Akteure auf der Bühne des Dramas zu offenbaren.

Diese Auslegung ist also vollkommen geprägt von der Erfüllung der 70. Jahrwoche Daniels und somit des Ereignisses der Großen Trübsal, während der gesamten Offenbarung, mit Ausnahme der Sendschreiben und der Kap. 20 bis 22. Die Frage stellt sich nun, sind die Kap. 4-19 nun tatsächlich die große Trübsal?

Es hat mich sehr verwundert, dass Pentecost nach einer sehr langen Einführung in seinem Buch, in der er die hermeneutischen Grundlagen seiner Auslegung sehr eingehend erklärt zu denen er im übrigen meine vollste Zustimmung hat, sich dann doch selbst nicht daran hält. Sein Schema, das er seiner Auslegung der Offenbarung überstülpt ist alles andere als aus dem Text heraus entwickelt und enthält zahlreichen Schwachpunkte.

Zuerst einmal ist es nicht begründbar, die gesamte Zeit der Apokalypse, vom ersten Siegel bis zur letzten Zornschale der Danielschen Jahrwoche zuzurechnen. Wie ich selbst auch, ist Pentecost ein Vertreter der literalen (=wörtlichen) Auslegung, wie er in seinem Buch eingehend erklärt. Doch wenn das so ist, müsste sich das Thema der 70 Jahrwoche und der großen Trübsal ja durch die ganzen Kapitel 4-19 ziehen. Doch diese Berechnung kommt nur in den Kap. 11-13 vor. Das erste mal in Kap.11.2, in der Parenthese zwischen dem sechsten und den siebten Siegel. Wenn man diese Parenthese als einen Prolog zu der siebenten Posaune betrachtet, dann käme die Jahrwoche Daniels überhaupt erst mit dieser siebten Posaune. In den vorangegangenen sechs Posaunen und sechs Siegel hat sie keinen Platz. Auch die einzige vorkommende Stelle in der eine große Trübsal erwähnt wird, kommt, wie wir ja gesehen haben, nicht zum Tragen. Es ist also exegetisch nicht zwingend, die Kap. 4-19 der Johannesoffenbarung in sieben Jahre zu pressen.

Es ist aber nicht nur exegetisch nicht zwingend, es ist auch rational nicht vorstellbar, dass sich alles das was wir in der Offenbarung sehen, in sieben Jahren ereignen kann. Gerade wenn wir wörtlich auslegen, müsste uns die Widersprüchlichkeit einer solchen Darstellung auffallen. Selbst wenn wir aber Pentecost recht geben, dass die Kap. 12 bis 19 nur eine Wiederholung der vorangegangenen Ereignisse, aus einem anderen Blickwinkel dargestellt, sind, eine These für sich, auf die ich noch zurückkomme, stellen wir folgendes fest:

Die Apokalypse ist ein Ablauf von verschiedenen Katastrophen, menschlicher und natürlicher Art, ja teilweise sogar übernatürlich, durch Gottes eingreifen. Es handelt sich um Gerichte, durch die noch Menschen zur Umkehr bewogen werden sollen, nachdem sie in der Zeit der Gnade diesem Ruf nicht gefolgt sind. In diesem Prozess wird die Natur wiederholt stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus wird die Menschheit einmal um ein Viertel und ein anderes mal um ein Drittel dezimiert werden. Es ist kaum vorstellbar, welches Chaos und welche Anarchie solche Katastrophen entfesseln werden. Dennoch erleben wir am Ende der Geschichte eine Zivililsation und zwar eine einheitliche, weltweite, sie ist durch die Hure Babylon dargestellt und ihre Beschreibung in Kap.18 wo nicht nur ihr Fall, sondern auch ihr Charakter beschrieben wird, zeigt eindeutig eine Hochkultur mit weltweit vernetzter Infrastruktur. Nun ist es zwar vorstellbar, dass die Menschheit auf Grund ihrer Technologie Katastrophen jeder Art viel schneller bewältigt als in den vergangenen Jahrhunderten, denken wir nur an das Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg. Dass aber derartige Katastrophe weltweit stattfinden und sich dennoch eine intakte weltweite Hochkultur entwickelt und alles zusammen in nur sieben Jahren, das ist schon wirklich eine ganz gewagte und unüberlegte Auslegung.

Wir sehen also, dass Pentecost und alle anderen Ausleger die die Danielsche Jahrwoch auf Kap. 4 bis 19 verlegen, von einer Prämisse ausgehen, die grundfalsch ist, weshalb auch der Rest ihrer Auslegung dieses Teiles der Johannesoffenbarung nicht stimmen kann, einschließlich der Vorentrückung. Wir müssen uns gerade in der literalen Auslegung strikt an die von der Offenbarung vorgegebene Struktur halten. Der Schlüssel zur gesamten Offenbarung ist und bleibt 1:19

19 Schreibe, was du gesehen hast, und was ist, und was nach diesem geschehen soll
in Verbindung mit 4:1
Nach diesem schaute ich, und siehe, eine Tür war geöffnet im Himmel; und die erste Stimme, die ich gleich einer Posaune mit mir reden gehört hatte, sprach: Komm hier herauf, und ich will dir zeigen, was nach diesem geschehen muss!
Dies zwingt uns zu einer strikt chronologischen Auslegung. Die Möglichkeit einer Zweiteilung, im Sinne einer Wiederholung ab Kap.12, wie Pentecost meint und mit 10:11 begründen will,
11 Und er sprach zu mir: Du sollst nochmals weissagen über viele Völker und Nationen und Sprachen und Könige!

ist nicht möglich, wenn wir dieses Prinzip und die sehr klar hervortretende Struktur der Offenbarung betrachten.

Die Struktur der Johannesoffenbarung Kap. 4-19:

Bevor sich die Apokalyptischen Ereignisse über die Erde ergießen, ab Kap 6 beschrieben, sehen wir Christus als das Lamm das würdig ist, die sieben Siegel zu brechen, mit denen das Buch der Endzeit versiegelt ist. Diese sieben Siegel sind nun die Struktur die wir über den gesamten Text legen müssen. Es wird meistens so dargestellt, als kämen die sieben Posaunen gleichwertig nach den sieben Siegeln und die sieben Zornschalen ebenfalls nach den Posaunen. Doch so ist es nicht. Denn im siebten Siegel geschieht weiter nichts, als dass die sieben Posaunen geblasen werden, mit samt den Gerichtszeichen, die sie auslösen. Die sieben Posaunen sind daher ein fester Bestandteil des siebten Siegels. Ebenso ist es mit den sieben Zornschalen. Sie gehören in die siebte Posaune hinein. So können wir also sagen, die innere Struktur der Apokalyse sind sieben Siegel und sonst nichts. Eine Aufteilung der Jahrwoche auf 3,5 Jahre auf die Siegel und 3,5 Jahre auf die Posaunen würde diesem Tatbestand klar widersprechen und müsste zwangsweise zu einer falschen Auslegung führen. Wenn wir etwas aus dieser Struktur erkennen wollen, dann evt. das Prinzip einer exponentiellen Beschleunigung der Ereignisse. Während die sechs Siegel noch in einer Zeit geschehen, die als lange empfunden werden kann, überstürzen sich die Ereignisse bei den sieben Posaunen, während sich die sieben Zornschalen beinahe gleichzeitig über die Erde ergießen. Man könnte also höchstens, wenn man unbedingt will, die 70. Jahrwoche auf die sieben Posaunen verteilen, also die Sieben Jahre des Auftretens des Antichristen. Wobei die sieben Zornschalen dann bereits synchron zum Untergang Babylons und dem Aufgebot zur letzten Schlacht in Harmageddon gesehen werden können.

Wo bleibt nun die Große Trübsal in der Offenbarung?

Diese Frage bleibt zum Schluss noch zu beantworten. Das ist nicht leicht, weil eben wie gesagt, der Begriff einer Großen Trübsal, in Zusammenhang mit dem Gräuel der Verwüstung in der Offenbarung nicht vorkommt. Doch wegen der Berechnung der fehlenden Danielschen Jahrwoche in der Offenbarung, der Tatsache dass der Tempel wieder steht und der weiteren unbedingt beachtenswerten Tatsachen, dass es sich bei dem Gräuel der Verwüstung aus Matth. 24 um eine noch unerfüllte Weissagung handelt, können wir durchaus beides in der Offenbarung erkennen, wenn auch mit einer anderen Begrifflichkeit. 7:14 fällt, wie wir gesehen haben aus. Jedoch erkennen wir dass die letzten drei Posaunen etwas besonderes sind. Sie werden mit einem Engel (Adler) in 8:13 angekündigt:

13 Und ich sah und hörte einen Engel, der in der Mitte des Himmels flog und mit lauter Stimme rief: Wehe, wehe, wehe denen, die auf der Erde wohnen, wegen der übrigen Posaunenstöße der drei Engel, die noch in die Posaune stoßen sollen!

Dieses dreifache Wehe finden wir nun konkretisiert bei der fünften Posaune 9:12:

12 Das erste Wehe ist vorüber; siehe, es kommen noch zwei Wehe nach diesem!

und nach der sechsen Poaune 11:14:

14 Das zweite Wehe ist vorüber; siehe, das dritte Wehe kommt schnell!
das dritte Wehe ist also die siebente Posaune.
 
Mein Vorschlag ist daher, die Große Trübsal in diesem dreifachen Wehe zu sehen und evt. analog dazu die siebte Jahrwoche Daniels. Der Gräuel der Verwüstung wäre dann in dem Ereignis zu sehen, dass uns in 13:15 genannt wird:
15 Und es wurde ihm gegeben, dem Bild des Tieres einen Geist zu verleihen, so dass das Bild des Tieres sogar redete und bewirkte, dass alle getötet wurden, die das Bild des Tieres nicht anbeteten.

Denn die erste Erfüllung dieser Weissagung geschah durch Antiochus IV Epiphanes, der um 167 v. Chr. im Tempel eine Zeusstatue zur Anbetung aufstellte, die seine Gesichtszüge trug. Damals wurde dieser Gräuel durch den Makkabäeraufstand beseitigt, während wir hier den wiederkommenden Herrn erwarten, der das Volk Israel aus seiner Bedrängnis befreit.

Fazit

Wenn wir uns in unserer Auslegung der Offenbarung darauf zurückziehen, dass diese in eine Zeit fällt, in der die Gemeinde bereits entrückt sein muss, nämlich in die fehlende Daniel'sche jahrwoche, dann stehen wir nicht nur im Gegensatz zu einer adäquaten eschatologischen Hermeneutik und Schriftauslegung, sondern laufen auch in Gefahr, die Offenbarung nicht ernst zu nehmen, da sie uns als Gemeinde ja nichts angeht. Das wäre ein schwerwiegender Fehler. Denn tatsächlich können die Ereignisse an uns heranreichen und uns verwirren. Nirgends in der Bibel ist uns gesagt, wann die Entrückung stattfindet. In der Johannesoffenbarung kommt sie überhaupt nicht vor. Also können wir auch nicht wissen ob und wie viel wir noch von dem miterleben müssen, was uns die Apokalypse vorhersagt. Zwar werden wir einem Teil der Ereignisse entfliehen, da wir ja dem Herrn entgegengerückt werden müssen, um mit ihm zu kommen, wie es in 11:14 heißt:

11 Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, heißt »Der Treue und der Wahrhaftige«; und in Gerechtigkeit richtet und kämpft er. 12 Seine Augen aber sind wie eine Feuerflamme, und auf seinem Haupt sind viele Kronen, und er trägt einen Namen geschrieben, den niemand kennt als nur er selbst. 13 Und er ist bekleidet mit einem Gewand, das in Blut getaucht ist, und sein Name heißt: »Das Wort Gottes«. 14 Und die Heere im Himmel folgten ihm nach auf weißen Pferden, und sie waren bekleidet mit weißer und reiner Leinwand.

Aber wann das sein wird, wissen wir nicht, weder Tag noch Stunde, seien wir also wachsam, um nicht verführt zu werden von denen die bald für eine kurze Zeit die ganze Welt beherrschen werden. Das Geheimnis der Bosheit regt sich bereits, wie Paulus in 2.Thess. 2:7 warnt.