Bruderliebe (Johannes)

Ich möchte heute fortsetzen mit der Serie über die Liebe. Wenn ihr euch erinnern könnt, handelte die erste Predigt vom Gleichnis des barmherzigen Samariters. »Liebe für Dummies« habe ich sie genannt, weil es hier darum ging, wie Jesus den in Sachen Liebe ziemlich unbedarften Schriftgelehrten erklärt hat, wie das Gebot der Nächstenliebe zu verstehen ist. »Wer ist denn mein Nächster?« lautete die Frage, und die Antwort aus dem Gleichnis lag klar auf der Hand: das Gebot der Nächstenliebe erfüllt sich in der Barmherzigkeit gegenüber jedem Menschen in Not, dem man begegnet. Hautfarbe, Nationalität, ja sogar Religion spielen da im Prinzip keine Rolle mehr. Wenn ein Mensch in Not geraten ist, dann verlangt die Nächstenliebe zu helfen.

 

In der zweiten Predigt haben wir uns dann 2.Petr.1:3-9 angesehen und gefunden, dass es einen ganz bestimmten Weg zu beschreiten gilt, um diese von Gott geforderte Liebe zu allen Menschen zu entwickeln. Petrus beschrieb diesen Weg in 7 Schritten. Ausgehend vom Ursprung dieses Weges, der im Glauben begründet ist, erreichen wir das Ziel durch Tugend, Erkenntnis, Mäßigkeit, Geduld, Frömmigkeit, brüderliche Liebe, und als Ziel die Liebe zu allen Menschen. Dass es dieses Schema gibt, zeigt uns dass wir diszipliniert und zielgerichtet leben müssen. Wenn wir das Glaubensleben nicht ernst nehmen und einfach so in den Tag hinein leben, wird es uns nicht gelingen.

In der dritten Predigt haben wir gesehen, dass Liebe eine Aktion Gottes ist. Gott selbst liebte die Welt, darum hat er sie geschaffen und er liebt sie noch, darum hat Christus sein Leben für uns dahingegeben. Diese Liebe ist höher als alles. Wer sich ihr ausliefert, verliert zwar sein altes Leben, gewinnt aber in der Auferstehung ein neues ewiges Leben, nicht erst nach dem Tod, sondern schon jetzt.

In der vierten Predigt haben wir dann gesehen, wie Jesus die Jünger gegen die Pharisäer in Schutz nimmt, als diese sie beim Ährenausraufen am Sabbat getadelt haben. Ausgehend von diesem Text haben wir erkannt, dass Gesetzlichkeit und Dogmatismus ein wesentliches Hindernis sein kann auf dem Weg zur wahren Liebe. Die menschliche Natur sucht immer gern den bequemeren Weg und das ist der, sich auf eine feste Form des Glaubensleben einzuschwören, einen Kodex zu entwickeln, an dem alles ausgerichtet werden kann. Wir haben gelesen, dass das an und für sich noch keine verwerfliche Sache ist: „das Gesetz ist gut, wenn es jemand recht braucht“, heißt es – aber die Gefahr es dann bei der Erfüllung dieses Gesetzes bewenden zu lassen und darüber hinaus nichts mehr zu tun, ist sehr groß, denn das entspricht unserer alten menschlichen Natur. Die Liebe aber gibt viel mehr als das Gesetz verlangt. Kein Gesetz der Welt, nicht einmal das von Gott gegebene, mosaische Gesetz kann die Leistungen der Liebe erfassen, sie sind unendlich. Darum braucht der Liebende in Wirklichkeit gar kein Gesetz, denn wer liebt, der tut ohnehin nichts, was gegen das Gesetz ist. Der Sinn des Gesetzes ist es ja, die Souveränität Gottes zu wahren und zugleich die Rechte aller Menschen zu schützen. Gerechtigkeit ist das Motiv jeder Gesetzgebung. Einer der liebt, wird die Gerechtigkeit als selbstverständlich betrachten, aber sich darüber hinaus auch um Barmherzigkeit bemühen, weil dies das Wesen der Liebe ist. Das Gesetz aber kennt keine Barmherzigkeit.

Nun kommen wir in unserer heutigen Predigt zu dem Apostel Johannes. Er hatte dies auch so erkannt und den Begriff des neuen Gebotes geprägt, ausgehend von dem Wort des Herrn Jesus in Joh. 13:34:
»Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.«

Hier wird von dem Herrn Jesus der Menge der Gebote und Vorschriften des alten Testamentes eine einzige Forderung gegenüber gestellt: die Liebe! Die Liebe ist das neue Gebot und auch das einzige, das uns trifft, das müssen wir verstehen. Wenn wir noch fragen, wie es sich denn dann mit den anderen Dingen verhält, die wir tun, mit Taufe, Abendmahl, oder auch so banalen Dingen wie Gemeinde- und Gottesdienstordnungen, dann haben wir es nicht verstanden. Die Liebe tut alle diese Dinge, soweit sie notwendig sind und dazugehören, das muss ihr nicht extra aufgetragen werden, aber sie erschöpft sich nicht in ihnen. Gemeinden sind so weit gegangen, bestimmte Kleiderordnungen zu erlassen. Das scheint Sinn zu machen, wenn man jungen Mädchen und Frauen verbietet, im aufreizender Aufmachung im Jugendkreis oder Gottesdienst zu erscheinen. Aber es ist doch auch wieder nur ein Beweis dafür dass Liebe nicht vorhanden ist. Denn ein Mädchen das die Gemeinde liebt, wird auch ohne Vorschriften darauf achten, dass es niemanden einen Anstoß zur Sünde gibt. Sie weiß ja, dass Männer mit den Augen sündigen können, das hat Jesus in der Bergpredigt gesagt. Sollte es ein ein Teenager in seiner Unreife aber nicht wissen, dann kann man ihm das sagen, auch ohne eine Kleidervorschrift zu entwickeln. Es braucht keine Vorschriften, wenn Liebe vorausgesetzt werden kann. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, durch Regeln den Mangel an Liebe zu kaschieren.

Manche Regeln die niedergeschrieben werden sind dennoch notwendig, weil wir oft nicht wissen können, worauf wir uns schon geeinigt haben. Das menschliche Gedächtnis arbeitet ja leider nicht immer ganz zuverlässig und darum braucht es auch Verträge und Statuten. Doch dürfen wir niemals vergessen, das dies die Nebensächlichkeiten sind, die niemals das Ziel sein können, ja nicht einmal zum Ziel führen. Was ist dann aber die Hauptsache und das Ziel an sich? Darüber hat uns Johannes in seinem 1. Brief sehr deutlich und eindringlich Auskunft gegeben.


Lesen wir dazu 1. Johannes 2:7-11:
(7) Meine Lieben, ich schreibe Euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. (8) Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in Euch; denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt. (9) Wer sagt, er sei im Licht und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. (10) Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall. (11) Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet.

Das neue, das einzige Gebot

Es geht also um die Beziehung zum Bruder, um Gemeinschaft untereinander und um das Wandeln im Licht. Das ist es, was Gott von uns will, und ein einziges Gebot soll ausreichen, um die Finsternis zu durchbrechen und das Licht Gottes hervorleuchten zu lassen. Es ist das Gebot der Liebe.

»Baby, Baby, it‘s a wild World« hieß es in einem Song von Cat Stevens aus den 80er Jahren. Er hätte auch singen können: »… it‘s a dark World«. Eine dunkle Welt, in der kein Licht scheint, das ist die Sichtweise des Apostels und in diese Finsternis läßt Gott sein Licht scheinen. Aber wie scheint es denn? Scheint es, indem sich jemand in seine Ecke zurückzieht und alleine in kontemplativer Versenkung seine Blicke gegen den Himmel richtet? Das mag eine fernöstliche Ansicht darstellen, Christen die die Bibel ernst nehmen, haben etwas anderes erkannt.

Johannes zeigt uns worauf es wirklich ankommt. Das Licht Gottes in dieser Finsternis wird nämlich ausschließlich dann sichtbar, wenn sich Menschen begegnen um miteinander in der Liebe Gemeinschaft zu haben. Darin erfüllt sich das Gebot Christi und dadurch wird die Finsternis in der Welt durchbrochen, durch nichts anderes. Wo man sich aber zurückzieht und der Glaube zur reinen Privatsache wird, weil man Probleme hat mit anderen zurecht zu kommen, obwohl sie dasselbe glauben, dann bleibt man in der Finsternis. So einfach ist diese Aussage. Das heißt ja nicht unbedingt, dass wir die Gemeinde verlassen. Wir nehmen äußerlich noch an vielen Veranstaltungen teil, vor allem am Sonntag, denn es heißt ja, »du sollst den Tag des Herrn heiligen«, aber wir fühlen uns dennoch einsam und sind innerlich abwesend. Keiner besitzt unser Vertrauen, dem wir uns vorbehaltlos öffnen könnten und so wächst der Groll, der oft nur mühsam verborgen werden kann.

Denken wir nicht, dass dieses Problem neu ist. Es ist uralt, so alt wie das Christentum selbst. Wie anders könnte es Johannes dann sonst aufgreifen, wenn er Brüder auffordert, einander nicht zu hassen. Hass zwischen Brüdern ist möglich, aber der ganze Johannesbrief, ja vielleicht die ganze Mission des Apostel Johannes selbst, ist darauf ausgerichtet, gerade dies zu überwinden. Er ermahnt eindringlich, das nicht so stehen zu lassen, sondern alles zu tun, damit die Liebe in der Gemeinde Oberhand gewinnt. Denn nur in der Liebe wird das Licht Gottes sichtbar. Wer nicht liebt, der ist in der Finsternis. Er weiß nicht wohin er geht. Er tappt im Dunkeln. Die Finsternis hat seine Augen verblendet. Das sollte in der Gemeinde nicht sein und muss, wenn es denn so ist, korrigiert werden.

Gleichwohl gab es damals auch Brüder in der Gemeinde, die behaupteten im Licht zu sein, obwohl sie Antipathien gegen andere hegten. Sie hatten einfach keine Schuldgefühle dabei, wenn sie andere nicht begrüßten, sondern einen Bogen um sie machten und wenn sich eine Begegnung nicht vermeiden ließ, sie mit bösen Blicken bedachten. Sie wähnten sich dennoch im Licht, denn das Problem lag ja ihrer Meinung nach ausschließlich beim Anderen. Das ist es, wogegen Johannes sich hier wendet. Dieser Selbstbetrug hat nichts, aber auch gar nichts mit der Forderung des neuen Gebotes zu tun, das uns der Herr Jesus gegeben hat. Das Gegenteil wird getan.

Wir müssen uns lieben!

Wie durchbrechen wir nun diese Finsternis, wie lieben wir denn in der Gemeinde? Was bedeutet das genau für uns? Mit dieser Frage wollen wir uns nun beschäftigen. Liebe ist immer eine Angelegenheit zwischen zwei Personen. Konkret zwischen mir und dir. Wenn ich dich liebe, dann habe ich auf dieser dunklen Erde ein Stück Finsternis durchbrochen. Und wenn du mich liebst – ich weiß, dass das furchtbar schwer ist – dann hast du durch deine Liebe ein Stück Finsternis auf Erden durchbrochen.

Aber auch der Umkehrschluß ist möglich und der wird eigentlich in unserem Bibeltext hervorgehoben: »Wenn du mich nicht liebst – es tut mir sehr leid, denn ich kann mir wirklich denken, wie schwer das sein muß, aber dennoch muß ich es dir sagen – dann hast in erster Linie du selbst ein Problem, denn du bist noch in der Finsternis.« Du kannst jetzt auf deinen ungeheuren Einsatz in der Gemeinde hinweisen – der ist bestimmt größer als meiner, schließlich werde ich als Pastor auch dafür bezahlt und du nicht; Du kannst auf deinen tadellosen Lebenswandel pochen, da wollen wir bei mir bitte nicht so genau schauen, denn da schneide ich sicher schlechter ab wie du; Oder du kannst mit deinen Gaben aufwarten, was habe ich dem schon entgegenzusetzen. Was immer Du aber ins Feld führst, es hilft alles nichts, unser Text sagt dennoch daß du in der Finsternis lebst, weil du mich, den H.S. nicht liebst und die Gemeinschaft mit mir meidest und es Dir lieber ist, wenn Du mich nicht siehst oder hörst.

Es ist mir jetzt wirklich sehr peinlich darüber zu reden. Denn vielleicht hört da jemand einen Unterton des Triumphes heraus; so ein hämisches: »haha – du bist ja selber schuld, daß Du mit mir ein Problem hast.« Aber in Wirklichkeit weiß ich, daß ich keine Ursache habe zu triumphieren, denn ich fühle es und mein Gewissen plagt mich: da ist doch ein Bruder, der wäre von der Finsternis ins Licht gekommen, aber ich war ihm ein Anstoß und bin ihm zu Fall geworden. Und leider heißt es auch in unserem Text: „Aber wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht und durch ihn kommt niemand zu Fall.“ (V 10)

Nun ist aber jemand durch mich zu Fall gekommen und so sitze ich nun mit ihm im selben Boot, ob ich das will oder nicht. Wir schmoren beide in der Finsternis und die zunehmende negative Emotionalität macht es uns auch immer deutlicher, das es so ist. Nur gut, daß wir beide alte Hasen sind in der Gemeinde. Wir haben schon gelernt uns zu beherrschen und führen nach außen hin bloß eine Meinungsverschiedenheit, das ist ja erlaubt, solange wir dabei keine Affekte zulassen. Um aber zu verhindern, dass doch einmal der Gaul mit uns durchgeht, vermeiden wir möglichst eine direkte Begegnung. Wir bringen unsere Argumente lieber an unbeteiligte Dritte an. Ihnen erklären wir, warum der Andere so total verkehrt liegt und man im Umgang mit ihm Vorsicht walten lassen muss. Ist es nicht so? So meinen wir, es hätte noch keiner gemerkt, dass wir den anderen eigentlich schon längst nicht mehr ausstehen können und dies das eigentliche Problem ist: wir können ihm nicht vergeben, was er uns angetan hat.

Aber Gott hat es gemerkt und wenn wir ehrlich sind, wissen wir es auch, dass wir schon längst nicht mehr im Licht wandeln. Vielleicht wäre es sogar klüger gewesen, einmal wieder richtig Dampf abzulassen und die Gemeinde sehen zu lassen wie es um unsere Beziehung zueinander bestellt ist, anstatt allen etwas vorzuheucheln. So könnte uns ein Bruder oder eine Schwester vermittelnd zur Hilfe eilen und uns vielleicht beiden wieder zurechthelfen. Das muss ja nicht nach dem Gottesdienst geschehen, aber es sollte in der Gemeinde auch ein Forum geben, wo Konflikte ausgetragen werden können. Ich habe hier oft einen Widerwillen entdeckt in der Gemeinde, den Dienst der Konfliktbewältigung zu leisten. Wir sind so erzogen worden, uns möglichst aus allem rauszuhalten. »Das geht uns nichts an, da halten wir uns lieber raus«, ist eine Aussage, die man oft hört, aber auch das ist kein Satz der Liebe.

Wenn zwei miteinander nicht zurecht kommen, dann sollen sie sehen wo sie bleiben. Wir belasten uns nicht gerne mit den Problemen anderer, so ist unsere Einstellung. Aber schließlich müssen wir es dennoch tun müssen, wenn nämlich die Krise da ist und letztendlich die ganze Gemeinde erfasst hat. Und vielleicht sind wir dann im Krisenmanagement nur deshalb so erfolglos, weil wir es halbherzig und ohne Liebe tun. Wir könnten hier auch mehrere Bibelstellen anführen, die uns zeigen, dass Konfliktbewältigung auch zu unserem Auftrag gehört, aber es ist heute nicht unser Hauptthema.

Keine Gleichgültigkeit!

Wie auch immer wir es drehen und wenden, an der Aussage in unserem Text können wir nicht rütteln: Das Licht Gottes ist nur soweit in unserer Gemeinde präsent, als wir uns lieben. Aber gibt es nicht noch etwas dazwischen? Den Bruder hassen und den Bruder lieben, ist das immer nur die einzige Alternative? Er kann mir doch auch ganz einfach egal sein, oder drücken wir es vornehmer aus: er liegt mir nicht so. Er hat nicht meine Wellenlänge. Wäre das dann nicht eine Art neutrale Grauzone? Abgesehen davon, dass ich dann mich selbst zum Maßstab mache, wenn meine Wellenlänge darüber entscheidet, ob und wie weit ich mit einem Bruder Gemeinschaft habe, gibt es da noch ein anderes Problem: nach der Bibel gibt es nur eine Weißzone des Lichtes und das ist die LIEBE. Nur sie verdrängt die Schwarzzone der Finsternis wirklich. Jesus hat uns gesagt in Joh. 13,35: »Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.«

Fragen wir uns einmal, was das genau heißt, wie denn Liebe praktisch funktioniert? Es nicht so schwer herauszufinden was Liebe ist. Warum nicht, weil wir alle Liebe haben? Nein, sondern weil wir alle geliebt werden wollen. Jeder weiß was Liebe ist, selbst wenn er selber noch nie geliebt hat, denn jeder will geliebt werden. Dieses Sehnen ist in der menschlichen Natur verborgen. So brauchen wir uns ja nur zu fragen, was es ist, was wir wollen. Was sind unsere tiefsten Wünsche nach Anerkennung und unsere Sehnsüchte nach Zuwendung? Wenn wir uns dessen bewußt werden, dann erkennen wir auch, welche Art der Liebe wir weitergeben sollen.

In einem Sprichwort heißt es: »Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu.« Diese Aussage ist eigentlich eine Verharmlosung dessen was Jesus in der Bergpredigt (Math. 7:12) gesagt hat, denn er hatte den Spieß damals umgedreht, indem er formulierte: »Alles was ihr nun wollt, was euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.«
Was der Volksmund sagt, ist nur die korrekte Haltung des Gesetzes. Des Ehrenmannes, der sich keine Blöße geben will indem er jemanden Unrecht zufügt. Doch wieder stellen wir fest, dass Gesetze, auch die ungeschriebenen Gesetze einer sittlichen Volksgemeinschaft, noch keine Liebe produzieren. Der andere kann und darf mir dabei immer noch vom Herzen gleichgültig sein.

Wie wir lieben sollen!

Aber das was Jesus fordert ist nicht ohne Liebe möglich. In diesem Sinne bleiben wir auch nicht stehen bei der Betrachtung was wir wollen, sondern wir übertragen das auf den Anderen und tun ihm das Gute, das wir gerne auch selbst von anderen empfangen. Denn das Gebot Christi lautet nicht sich lieben zu lassen, sondern zu lieben. Das ist nun deshalb nicht so schwer zu verstehen, weil ich mir im Grunde genommen nur vor Augen zu halten brauche wie ich geliebt werden will. Auf die Gemeinde bezogen: wie will ich, dass mir die Geschwister in der Gemeinde begegnen? Und wie begegne ich ihnen?

Ich will nicht, daß andere auf mir herumhacken, wenn ich einmal einen Fehler gemacht habe, sondern dass sie mir vergeben. – Warum tue ich mir dann so schwer damit, wenn andere mal einen Fehler machen? – Ich will, dass die Anderen, wenn sie schon meinen, mir einen Fehler nachweisen zu müssen, damit zu mir kommen und nicht zuvor damit hausieren gehen oder in meiner Abwesenheit darüber mit anderen verhandeln. Ich möchte Gelegenheit haben mich zu verteidigen. – Habe ich über andere gesprochen, ohne vorher mit ihnen selbst zu sprechen? – Ich möchte nicht überfallsartig in der Gegenwart anderer öffentlich kritisiert werden ohne mich verteidigen zu können. – Kritisiere ich andere öffentlich? – Wenn mir jemand einen Fehler nachweist, dann sollte er nicht so tun, als wäre er selbst die Vollkommenheit in Person und könnte ihm so etwas niemals passieren. Jede Entrüstung über Sünde ist Überheblichkeit
– Überhebe ich mich über andere?

Ich hätte auch ganz gerne, daß ich mich auf jemanden verlassen kann, wenn ich etwas mit ihm vereinbart habe. – Kann man sich eigentlich auf mich verlassen? – Wenn ich jemanden etwas geborgt habe, dann hätte ich dies gerne wieder zurück, oder wenn jemand seine Schulden bei mir nicht zeitgerecht bezahlen kann, dann sollte er zumindest mit mir darüber sprechen und nicht anfangen mich zu meiden. – Bin ich jemanden etwas schuldig?

Ich hätte auch gerne, daß jemand meine kleinen Dienste anerkennt, die vielleicht nicht sehr auffällig sind, aber die ich dennoch als wichtig erachte. Ich verlange nicht Dankbarkeit sondern Anerkennung. – Was weiß ich eigentlich über die Dienste der Anderen und die Schwierigkeiten mit denen sie sich herumschlagen? – Ich hätte gerne ab und zu Besuch, denn ich bin einsam – Warum besuche ich eigentlich keinen der einsam ist?

Können wir das alles vielleicht auf den Punkt bringen, in irgendeinem Merksatz? Vielleicht damit: »Liebe ist die Summe einer Vielzahl von Verhaltensmaßnahmen, die bewirken, dass wir einander gerne wiedersehen.« Das Motiv der Liebe ist die Zuneigung. Wer den anderen liebt, der sieht ihn gerne wieder, der trifft sich gerne mit ihm. Wir genießen die Gemeinschaft mit denen die wir lieben, da muss es gar nicht um viel gehen. Und damit das so bleibt, sind wir auch bereit etwas zum Wohlbefinden des anderen beizutragen. Er soll sich ja gerne wieder mit mir treffen. In diesem Sinne, wäre die angeführte Liste noch um viele Punkte zu ergänzen. Doch das kann jeder für sich selber machen, das ist viel effizienter und ich möchte dazu ermutigen, es wirklich zu tun.

Die Finsternis durchbrechen!

Wir haben keine Wahl als Christen. Wenn wir nicht zur Liebe finden, dann bleiben wir im Dunkeln und wissen nicht wohin wir gehen, wie wir in Vers 11 gelesen haben. Wir können uns viele Gedanken machen um die Zukunft der Gemeinde, wir können planen und Konzepte entwerfen, aber sie werden uns alle in die Irre führen, wenn wir einander nicht lieben. Ja es ist überhaupt fraglich, ob wir dann das alles noch für Gott tun, oder nur für uns selbst. Im gleichen Johannesbrief lesen wir in Kap. 4:16 19): (16) Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (17) Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in der Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, (18) sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. (19) Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Wenn ich diesen Text richtig verstehe, dann ist die Liebe auch der Weg, wie wir Furcht überwinden können. Das ist eine etwas überraschende Aussage, denn wir denken immer, dass Angst von außen kommt. Das was uns Angst macht ist schuld daran, dass wir Angst haben. Doch die Bibel behauptet hier offensichtlich etwas anderes. Die Angst kommt aus einem Mangel an Liebe bei uns selbst! Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn wir in der Liebe vollkommen sind, denn was wir fürchten ist ja die Strafe. Wer würde mich aber bestrafen, wenn ich ihn liebe? Und selbst wenn es jemand täte, so bin ich doch gerechtfertigt vor Gott. Er bestraft niemanden der liebt, denn wenn jemand die Liebe lebt, dann hat Gott ja sein Ziel mit diesem Menschen erreicht und es gibt nichts mehr zu fürchten.

Hass aber zieht Strafe unweigerlich nach sich. Lesen wir noch ein wenig weiter im Text (Kap 4:20-21):
(20) Wen jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? (21) Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebt.

Wir sehen ganz deutlich, dass wir die horizontale Eben von der vertikalen nicht trennen können. Keiner kann sagen, er liebt zwar Gott, nur mit seinem Bodenpersonal kommt er nicht zurecht. Wenn er mit den Brüdern nicht zurecht kommt, kommt er auch mit Gott nicht zurecht, zumindest nicht mit dem Gott, der sich in der Bibel offenbart. Vielleicht hat er sich dann ja sein eigenes Bild von einem Gott gemacht, das nicht der Realität entspricht. Das erinnert fatal an die alten Götzenbilder Israels.

Ich denke es ist klar geworden, dass wir uns nicht aus der Affäre ziehen können. Wenn wir Menschen in der Gemeinde meiden, oder ihnen nicht mit aufrichtiger Liebe begegnen, dann sind wir schuldig geworden, vor Gott und vor Menschen. Deshalb lasst uns vor allem daran arbeiten, das wir miteinander klar kommen. Lasst uns gar nicht erst versuchen, Liebe zu heucheln. Das kann uns höchstens eine kurze Zeit gelingen. Irgendwo werden unsere wirklichen Gefühle und Gedanken über den anderen doch ans Tageslicht treten. Und Gott können wir ohnehin nicht täuschen, nicht den Bruchteil einer Sekunde lang.

Er ist es, der unser Herz kennt, deshalb wollen wir uns auch vor ihm beugen und ihm zuerst unsere Sünde bekennen, die er ja eh schon weiß. Dannach aber wollen wir Gott um Kraft und Gnade bitten, zum Bruder und zur Schwester hinzugehen, wer auch immer es sei und was auch immer er mir angetan hat, und ihn um Vergebung zu bitten und ihn in Zukunft wieder zu lieben.

Versuchen wir dabei aber bitte nicht erneut, die leidige Frage zu klären, wer bei welcher Gelegenheit wieviel mehr Schuld hatte als der andere. Der Versuch, beweisen zu wollen, dass der andere doch ein wenig mehr Schuld hatte als man selbst, ist doch schon wieder lieblos und beweist nur Unbußfertigkeit.

Noch eines zum Abschluss. Die Schuldfrage, oder besser gesagt die Frage wer Recht hat, lässt sich gar nicht immer eindeutig klären und sie muss auch nicht immer geklärt werden. Wenn es gelingt um so besser und es sollte auch versucht werden, damit wir alle daraus lernen können. Aber es gehört zur Weisheit, zu erkennen wann das nicht möglich ist. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Meist liegen sie in der Begrenztheit unserer Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit. Aber wo wir dazu nicht in der Lage sind, wird die Wahrheit ohnehin von Gott ans Licht gebracht werden; vielleicht noch in diesem Leben, vielleicht aber auch erst am Jüngsten Tag, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi stehen. Das gilt es aber abzuwarten und bis dahin Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft zu üben. Vorbehaltlos! Sind wir dazu bereit? Oder wollen wir uns weiterhin zum Richter über andere Aufschwingen? Das ist heute die Frage gewesen.

Möge uns Gott mit dem Geist der Liebe erfüllen. Amen