7. Der vortrefflichere Weg (1. Kor. 13)

Wir kommen heute zu einer weiteren Predigt über die Gnadengaben. Es ist nun schon die siebente Predigt. Als ich bei der ersten war, dachte ich nicht, dass es so viele werden würden. Aber ich nehme mir ganz bewusst viel Zeit dafür, weil ich weiß, wie wichtig das Thema ist. Ich denke dass wir auf diesem Gebiet als Gemeinde ähnliche Anfechtungen erleiden, wie das bei den Korinthern im ersten Jahrhundert der Fall war. Also müssen wir auch gerade diesen Brief ganz genau studieren.

 

Ich sage das auch, weil ich es gerade bei der letzten Predigt nicht geschafft habe, einen logischen Schluss zu schaffen, wie es mir bisher meistens gelungen ist. Ich musste gewissermaßen mitten im Texte aufhören und beginne heute wieder mitten im Text. Ich hoffe für jene, die meine letzte Predigt (Die Organisation des Leibes) nicht gehört haben, dass sie trotzdem noch alles mitbekommen. Vielleicht bleiben einige Fragen offen aber die könnte ihr wie gesagt beim durchlesen der letzten Predigt beantwortet bekommen. Nun aber zum Text, der wie gesagt auch der Text das letzten males war. 1. Kor. 12:28 Und Gott hat in der Gemeinde etliche eingesetzt, erstens als Apostel, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; sodann Wunderkräfte, dann Gnadengaben der Heilungen, der Hilfeleistung, der Leitung, verschiedene Sprachen.

In meiner letzten Predigt haben wir also gesehen, dass Paulus im 1. Korintherbrief das Apostolat an die erste Stelle setzt. Wobei wir überlegt haben, dass ein Apostel einer ist, der in der Verantwortung steht, das Evangelium weltweit zu verbreiten. Überall sollen die Menschen von Gottes Gnade erfahren und die Möglichkeit haben, sich für ein Leben mit Jesus zu entscheiden. Deshalb richtet sich alles an den Bedürfnissen der Apostel aus, die wir heute Missionare nennen. Sie sind die Speerspitze, die Mission unter den Heiden ist eine Angelegenheit, die die ganze Gemeinde betrifft, aber die Apostel haben die Verantwortung, weil Jesus sie ihnen übertragen hat.

Danach kommen die Propheten. Sie haben das Wort Gottes ausgesprochen, als es noch nicht in geschriebener Form vorhanden war. Sie waren damals das Sprachrohr Gottes zu den Menschen und sind es bei Bedarf auch heute noch. Danach waren die Lehrer dran, die das Wort Gottes auslegten und die Anwendungen formulierten, damit die Gemeinde den Willen Gottes ausführen konnte. Erst danach kam alles andere. Die Bedeutung der anderen Gaben ist nun gleichbleibend, nicht mehr durch Aufzählung bewertet. Alles andere steht gewissermaßen nebeneinander, auch wenn wir unter den restlichen Gaben der dritten Liste scheinbar sehr mächtige finden.

Wunderkräfte und gesund machen

Da ist zunächst die Gabe der Wunderkräfte. Ich muss sagen, dass ich mir mit diesem Wort sehr schwer tue, denn es lässt sofort daran denken, dass da etwas geschieht, was nicht im Einklang mit den Naturgesetzen steht. Doch das gibt das griechische Wort »dynamis« gar nicht her, der Begriff ist viel weiter gespannt. Von ihm leitet sich auch unser Wort »Dynamik« ab. Dies entspricht eher der Bedeutung, denn ein dynamischer Mensch ist nicht unbedingt ein Wundertäter im Sinne des deutschen Wortes. Was ist dann wirklich damit gemeint?

Es gibt Menschen, die sind für andere in ihrer Leistungsfähigkeit unbegreiflich. Was sie können, haben andere einfach nicht drauf. Wir können jetzt leider nicht die Stellen in der Heiligen Schrift aufschlagen, in denen das Wort »dynamis« noch vorkommt, da würde uns dies deutlich werden. (Glossar - dynamis)

Wenn diese Gabe, die Paulus hier aufzählt aber tatsächlich zwangsweise das Brechen von Naturgesetzen bedeuten sollte, dann hätte Paulus ein viel stärkeres Wort gewählt, nämlich »teras«, das Jesus in Math. 24:24 genannt hatte als er sagte: »Denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten auftreten und werden große Zeichen und Wunder (gr. teras) tun, um, wenn möglich, auch die Auserwählten zu verführen.«

Aber fassen wir den Begriff Wunder weiter, im Sinne von dynamis, dann erkennen wir, dass es in der Missionsgeschichte immer wieder Menschen gab, die zwar keine Naturgesetze gebrochen haben, aber das was sie in ihrem Leben geleistet haben, war dennoch wunderbar und kann durchaus so bewertet werden. Dass dieses Wort in unserer Kultur so einseitig verwendet wird, liegt auch daran, dass uns zu wenig bewusst ist, dass in der Antike die Unterscheidung zwischen natürlich und übernatürlich nicht so streng genommen wurde. Obwohl, im alltäglichen Gebrauch ist es dann doch auch bei uns wieder üblich, etwas als ein Wunder zu bezeichnen, das auch ganz natürlich erklärt werden kann. So hat der Direktor der Albertina Kunstgalerie in Wien kürzlich sogar von einem Gottesbeweis gesprochen, als nach dem Eindringen von Wasser in die Kellerräume des Museums besonders wertvolle Kunstschätze unversehrt geblieben waren. Vieles was Menschen im Glauben taten, stellte nichts desto weniger einen Gottesbeweis dar, auch wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Mit seiner Hilfe können wir durchaus auch über natürliche Veranlagungen hinauswachsen. Paulus sagte einmal in diesem Sinne: »ich vermag alles, durch den der mich mächtig macht. (Phil 4:13)«

Im gleichen Sinne ist auch die Gabe gesund zu machen nicht zwangsweise als übernatürliche Gabe anzusehen, wenngleich auch das der Fall sein kann. (Glossar - iama) Auch hier wurde in der Antike der Unterschied nicht so deutlich gemacht. Heilung wurde immer als etwas wunderbares empfunden, auch wenn Heilpflanzen mit ganz natürlichen Wirkungen zum Einsatz kamen. Diese waren damals nicht so wissenschaftlich erforscht wie heute, aber durch Erfahrung wusste man natürlich, dass sie Wirkstoffe enthielten und es ging nicht immer um irgendwelchen Hokuspokus. Man war überzeugt, dass es zu jeder Krankheit auch ein Mittel gibt und wir dürfen annehmen, dass zum Beispiel Lukas der Arzt diese auch anwendete. Im Wortsinn dieses Textes hatte er damit die Gabe gesund zu machen. Damit soll in keiner Weise gesagt werden, dass Wunderheilungen nicht erwartet wurden und passierten. Aber diese waren wohl eher Sache der Apostel (siehe letzte Predigt), oder ereigneten sich später unter der Handauflegung eines Ältestenkolllegiums (Jak. 5:14-16), so dies Gottes Wille war.

Hilfeleistung und Leitung

Wir finden also eine sehr flache Hierarchie in der Gemeinde. Auch die Bewertung der drei ersten Gaben erfolgte ja nicht nach dem Gesichtspunkt der Autorität, sondern der Bedeutung im Sinne des Auftrages, der zu erledigen war. Wie sonst sollte man erklären können, dass die Gabe der Leitung nicht an erster Stelle steht, sondern erst jetzt neben der Gabe der Hilfeleistung, die übrigens noch davor genannt wird. Das Wort Leitung hat Luther noch mit Regieren übersetzt. Das ist interessant, weil die Regierenden der griechischen Stadtstaaten tatsächlich so bezeichnet wurden, wenngleich ursprünglich damit ein Kapitän gemeint war, der ein Schiff steuert. Hier haben wir ja wieder den Bezug zum Seefahrervolk der Griechen, wie schon beim Begriff Apostel. Solange das Schiff unterwegs war, hatte natürlich der Kapitän das Sagen, denn der Apostel, der Botschafter des griechischen Staates verstand nicht viel von der Seefahrt. Wohin die Reise aber ging, das bestimmte der Apostel.

So können wir durchaus sagen, dass es bei den Gnadengaben um abgegrenzte Bereiche geht. Jeder hat seine Verantwortung, seine Rechte und seine Pflichten gegenüber dem Ganzen. Pro Schiff kann es nur einen Kapitän geben, aber viele Helfer, die verschiedenste, sehr verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Diese in der griechischen Kultur so selbstverständliche Überzeugung scheint bei den korinthischen Christen ins Wanken geraten zu sein und Paulus ermahnt sie, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Wie wir aber aus den anderen Briefen des Apostel Paulus wissen, wurden die Gemeinden tatsächlich immer durch mehrere Älteste geleitet.

 

Die vorzüglicheren Gaben und der vortrefflicher Weg

(29) Sind etwa alle Apostel? Sind etwa alle Propheten? Sind etwa alle Lehrer? Haben etwa alle Wunderkräfte? (30) Haben alle Gnadengaben der Heilungen? Reden alle in Sprachen? Können alle auslegen?
Diese rhetorische Frage ist natürlich zu verneinen. Es wäre absolut sinnlos, wenn jeder das gleiche haben und tun würde.

(31) Strebt aber eifrig nach den vorzüglicheren Gnadengaben, und ich will euch einen noch weit vortrefflicheren Weg zeigen:
Dennoch gibt es Unterscheidungen und nach den vorzüglicheren Gaben zu streben, ist auch nicht verkehrt, Paulus regt es hiermit sogar an. Aber welches sind denn nun die vorzüglicheren Gaben und welches ist der vortrefflichere Weg?

In den meisten Übersetzungen ist von den größeren Gaben die Rede. Das trifft es aber nicht ganz. Mir gefällt hier die »Hoffung für Alle-Übersetzung« am besten, die sagt: »strebet nach den Gaben, die der Gemeinde am meisten nützen.« Das ist natürlich eine Umschreibung, von der ich aber finde, dass sie es am besten trifft. Denn was ist denn die beste Gabe? Ist es nicht die, die zur Zeit am meisten gebraucht wird? Erst der Mangel von etwas, macht die Sache bedeutungsvoll. Wenn wir zum Beispiel kein zahlenmäßiges Wachstum in der Gemeinde haben, außer dem Zuwachs unserer Kinder, dann fehlt wahrscheinlich ein Evangelist und diese Gabe gewinnt an Bedeutung. Wenn aber viele gläubig geworden sind, aber geistlich nicht wachsen, weil sie das Wort noch zu wenig verstehen, dann gewinnt der Hirte und Lehrer an Bedeutung, das scheint doch klar zu sein. Nach den vorzüglicheren Gaben zu streben, heißt also, die Gaben von Gott zu erbitten, die im Moment am meisten gebraucht werden.

Nach all dem was wir im 12. Kapitel des 1. Korintherbriefes gelesen haben, scheint es klar zu sein, dass es hier ja nicht um ein individuelles Streben geht. Die Frage ist nicht, welche Gabe ist für Dich die Beste und welche hättest Du denn gerne. Die Frage ist vielmehr, welche Gaben braucht die Gemeinde. Wir sollten uns angewöhnen, uns beim Thema Gnadengaben streng nach den Bedürfnissen der Gemeinde zu richten, denn sie werden uns ja zum gegenseitigen Nutzen gegeben. Wenn wir aber herausgefunden haben, dass eine Gabe für uns als Gemeinde besondere Bedeutung besitzt, was hindert uns daran, Gott darum zu bitten, sie uns zu geben? »Er wird uns keinen Stein geben, wenn wir ihn um Brot bitten«, hat Jesus gesagt.

Was braucht die Gemeinde heute?

Im Lichte dieser Wahrheit wird es noch einmal deutlich – aus unserer Sicht heute, nicht aus damaliger – dass die Gabe der Prophetie wohl an Bedeutung verloren hat, weil das Wort Gottes alle für uns in dieser Zeit wichtigen Weissagungen enthält. Dafür werden Lehrer und Evangelisten mehr und mehr gebraucht, vor allem auch, weil die meisten Kulturkreise wohl erreicht sind. Wo das noch nicht der Fall ist, etwa in der moslemischen Welt, da bräuchte es auch heute noch starke Apostel, aber solche, die sich wirklich etwas trauen, die auch bereit sind, ihr Leben auf‘s Spiel zu setzen, denn wie es scheint, wird der Islam ohne diese Bereitschaft zum Märtyrertum nicht aufgebrochen werden können. Aber Gott kann auch heute noch Wunder tun, wir sollten sie gerade in dieser Hinsicht wieder erwarten.

Exkurs: Märtyrer

Man muss heute sehr aufpassen, wenn man von Märtyrertum spricht, denn dieser Begriff ist in Misskredit geraten, dadurch dass heute die moslemische Deutung dieses Begriffes in den Medien häufiger vorkommt als die christliche. Ursprünglich kommt auch dieses Wort aus dem Griechischen und bedeutete zunächst nichts anderes als Zeuge. Der »Martyr« war die ganz profane Bezeichnung für einen Menschen, der von seiner Überzeugung sprach. Er war ein Zeuge von etwas was er gesehen oder erlebt hatte, oder an das er glaubte. Daran war überhaupt nichts kontroverses, niemals wurde der Begriff für gewalttätige feindliche Auseinandersetzungen gebraucht. Zeugen wurden wie heute auch, vor Gericht befragt, um einen Sachverhalt zu beweisen oder zu widerlegen und Streitfrage auf friedlichem Wege zu lösen. Doch dann geschah es immer öfter, dass Christen wegen ihres Glaubenszeugnisses angefeindet und schließlich auch umgebracht wurden, denn ihr Zeugnis war ja gegen Götzendienst und Kaiserkult gerichtet. So wurde aus dem Glaubenszeugen, den »Martyr des Glaubens«, ein Blutzeuge und der Märtyrer war schließlich einer der bereit war für seinen Glauben auch zu sterben. Das Wort war eine Zeit lang sogar ein Synonym für Christ sein und wurde gleichrangig verwendet. In Verfolgungszeiten war jeder Christ ein potentieller Märtyrer, es war geradezu ein Charakteristikum für echtes Christentum. Denn die Christen wussten, dass Jesus starb, ohne sich gegen seine Feinde zu wehren. Er lehrte auch diese Wehrlosigkeit. Und seine Jünger in den ersten Jahrhunderten taten es ihm gleich. Zu Tausenden ließen sie sich hinrichten, ohne dass sie sich dagegen zur Wehr setzten. Das ging so, bis zur sogenannten konstantinischen Wende, als sich der römische Kaiser Konstantin († 337) zum Christentum bekannte und leider viele Christen meinten, nun wäre die Zeit der Märtyrer vorbei. Von da an war es auch nicht mehr verpönt, dem Kaiser Waffendienst zu leisten.

Im Islam aber, der erst ca. 250 Jahre nach dieser Zeit der christlichen Märtyrer entstand, erfuhr der Begriff eine neue Wandlung durch Mohammed († 632) selbst. Ein Märtyrer war nun nicht mehr einer, der wehrlos für seine Überzeugung bereit war zu sterben, sondern der dabei aus Überzeugung selber Menschen zu töten suchte. In der Auslassung der Wehrlosigkeit erfährt der Begriff eine starke Veränderung. Der bewaffnete Kampf gegen andersdenkende Gläubige wurde dann bei den schiitischen Assasinen in Syrien perfektioniert. Sogenante Fedajin, das sind zum Sterben bereite Attentäter wurden im 12. Jhdt. zum ersten mal ausgebildet und auch eingesetzt, um politische Gegner innerhalb des Islam zu ermorden. Im vorigen Jahrhundert war diese Bewegung zuerst unter den Palästinensern und dann im ganzen Islam erneut zu einem bestimmenden Faktor geworden. Auch Saddam Hussein nannte seine Leibgarde Fedajin. In den Medien werden diese moslemischen Widerstandskämpfer als Märtyrer bezeichnet, was nun endgültig die Pervertierung dieses einst so heiligen christlichen Begriffes bedeutete. Doch auch wenn er nun oft geradezu konträr verstanden werden kann: Tatsache bleibt, dass die ersten Christen diesen Begriff geprägt hatten, durch ihre Bereitschaft, ohne Gegenwehr das Zeugnis ihres Glaubens mit dem Opfer ihres Lebens zu bestätigen.

Der vortrefflichere Weg

Dieser Gedanke bringt uns dazu zu fragen, warum die ersten Christen dazu überhaupt in der Lage waren? Schließlich ist es ja keine Kleinigkeit sich ohne Widerstand schmähen, schlagen und sogar töten zu lassen. Wir wissen aber, dass Jesus die Feindesliebe als höchste Form der Liebe lehrte. Paulus weist nun genau auf diese Liebe hin, wenn er von dem noch köstlicheren Weg spricht, den er im Kap 13 beschreibt. Wenn es also in dieser Predigt und auch in den vorangegangenen über 1. Kor. 12 bisher nur um die Gnadengaben gegangen ist, so scheint es nun, als wäre dies gar nicht das wirklich Wichtige gewesen, sondern als ginge es um etwas viel Höheres.

Die Gnadengaben, wie sie uns nun in einigen Aufzählungen beschrieben sind, waren nämlich bei weitem nicht das Spektakuläre an den Christen. Das was wirklich nachhaltig wirksam war, war der Weg der Liebe, den man ging. Der Ausdruck der Bereitschaft ohne Gegenwehr zu sterben – die Betonung liegt auf ohne Gegenwehr – war viel überzeugender als Zeichen und Wunder. Aber dies war ja nur ein Teil der Liebe. Dazu kam die Fürsorge der Christen untereinander und die Liebesdienste, die sie auch anderen angedeihen ließen. Dies war es letztendlich, was sie in den Augen der Römer und anderer Völker so anziehend machte.

Die Korinther bemühten sich um Gaben, von denen sie meinten, dass sie bedeutungsvoll seien. Paulus kritisiert das nicht pauschal. Er will aber zurecht rücken, was sich in dieser Suche nach den besseren Gaben an falschen Meinungen und Lehren ausgebreitet hat. Und jetzt, mitten unter diesem Bemühen, lenkt er die Blicke der Korinther auf einen noch besseren Weg, den die Korinther einschlagen könnten, nämlich auf den Weg der Liebe.

Ganz sicher ist die Liebe nicht als Alternative zu den Gnadengaben gemeint. Wenn wir in Römer 5:5 lesen: »… die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.« – kommen wir zu dem Schluss, dass sie sogar selbst eine Gabe ist. Streng genommen ist sie nämlich die einzige Gabe die mit Recht »Geistesgabe« genannt werden kann. Denn jeder der den Heiligen Geist empfangen hat, verfügt über sie, was man von den Gnadengaben, die wir bis jetzt kennengelernt haben, nicht behaupten kann. Aber wie mit allen anderen Gaben auch, muss man sich erst einmal dessen bewusst werden, dass man diese Gabe empfangen hat, man muss sie annehmen und einsetzen.

Also lesen wir einmal den ersten Teil von 1.Kor. 13, was Paulus zur Liebe als Gabe des Geistes sagt:
(1) Wenn ich in Sprachen der Menschen und der Engel redete, aber keine Liebe hätte, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. (2) Und wenn ich Weissagung hätte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glauben besäße, so dass ich Berge versetzte, aber keine Liebe hätte, so wäre ich nichts. (3) Und wenn ich alle meine Habe austeilte und meinen Leib hingäbe, damit ich verbrannt würde, aber keine Liebe hätte, so nützte es mir nichts!

Da 1. Kor. 13 ein sehr beliebter Text ist, vielleicht weil das Kapitel kurz ist, oder weil sich Paulus hier beinahe als Poet beweist, wird er oft gar nicht so richtig in seinem Zusammenhang betrachtet. Es war hier aber nicht die Absicht des Paulus den vielen Lobliedern auf die Liebe, die es damals schon im reichen Maße gab, ein weiteres hinzuzufügen. Dieses »Hohelied der Liebe«, wie es in vielen Bibelübersetzungen betitelt wird, ist nämlich trotz seiner Schönheit eingebettet in eine Handfeste theologische Auseinenandersetzung um die Bedeutung der Charismen, das dürfen wir nicht vergessen. Das vermindert nun die Aussagekraft der Verse in keiner Weise, ganz im Gegenteil, sie wird noch gesteigert. Denn jetzt, wo wir wissen, in welche Situation hinein Paulus diese Wort spricht, wird es uns deutlich: »ohne Liebe geht gar nichts!«

Auch wenn es nicht alle waren, die damals in fremden Sprachen sprachen, die sie gar nicht gelernt hatten, es werden doch viele gewesen sein, und es war damals eines der auffälligsten Wunder die beinahe zum Alltag der ersten Gemeinde gehörten. Doch Paulus sagt: »selbst wenn ich in allen Sprachen der Menschen und dazu noch in den Sprachen der Engel reden würde, ohne Liebe wäre es mir nichts nütze.« Natürlich konnte er und auch kein anderer in allen Sprachen der Welt sprechen. Es ist auch nichts darüber berichtet, dass je ein Mensch in der Sprache von Engeln geredet hätte. Ich sage das nur, weil auch diese Behauptung schon aufgestellt wurde, aber im Wort Gottes steht nichts davon und es ist sehr anzuzweifeln, dass es dies je gegeben hätte.

Dieser Vers von den Menschen und Engelszungen wird im Allgemeinen als Anbetung verstanden und es ist nicht verkehrt, ihn so zu interpretieren und anzuwenden. Denn auch Anbetung ist eine gute Sache, aber wenn sie nicht mit Liebe geschieht, dann ist auch sie nichts wert. All unser Gesang und noch die so schönen Worte sind nur Lärm vor Gott, wenn er auf unsere Herzen blickt und in ihnen keine Liebe findet. Erst die Liebe gibt den Geistesgaben ihren Wert.

Auch der zweite Vers tönt genauso und hier geht es um die Bereiche Prophetie, Erkenntnis, Lehre. Nichts davon hat irgendeine Wirkung, wenn die Liebe nicht vorhanden ist. Alle Klugheit ist vergeblich, ohne Liebe. Aber auch aller Glaube, der uns große Tatkraft verleihen kann, sodass es die Welt in Staunen versetzt – wenn keine Liebe da ist, dann mag das vielleicht ein Kapitel in den historischen Schriften der Welt wert sein, aber keines im Buch des Lebens bei Gott. Ich bin überzeugt, vieles was in der Geschichte der Christenheit für bedeutend gehalten wird, kann im Lichte der Ewigkeit keinen Bestand haben, weil es nicht in der Liebe geschehen ist.

Ja selbst das was äußerlich vielleicht als Liebesdienst angesehen werden könnte, wenn nämlich einer auf die Idee käme, alle seine Habe den Armen auszuteilen, wenn er es nicht mit einem liebenden Herzen täte, es würde ihm nichts nützen. Das ist doch ein hartes Wort, aber es zeigt uns, welche Bedeutung die Liebe für Gott hat, die einzige Reale nämlich. Sie ist das, was für die Ewigkeit geschaffen ist, während die Gnadengaben doch nur Hilfsmittel sind, die hier auf Erden Anwendung finden, aber in der Ewigkeit bedeutungslos sind.

Manch einer hat die Vergänglichkeit des Irdischen schon begriffen und war bereit auf alles materielle zu verzichten und seinen Leib hinzugeben. Aber hat er auch begriffen was Liebe ist? Wenn nicht, dann war sein Leben vergeblich. Welch eine Tragik.

Mit diesen Gedanke, welche die Liebe an die Spitze aller Dinge stellt, beginnt Paulus sein Loblied auf die Liebe. Wir wollen es dabei belassen und uns das nächste mal ansehen, wie Paulus Liebe definiert und was es für uns praktisch bedeutet, zu lieben.

Gebe Gott, dass wir nicht nur ein gläubiges Herz haben, sondern auch ein liebendes. Amen!

8. Liebe ist ... (1. Kor. 13:4-7)