2. Das Charisma – die erste Gabenliste (Rö 12:5-8)

Wenn man im Internetlexikon Wikipedia nachschlägt und liest, was unter dem Stichwort Charisma alles angeführt wird, dann findet man darin durchaus eine Wiederspiegelung dessen, was heute alles unter diesem Begriff verstanden wird. Auch wenn über dem Artikel der Hinweis steht: »Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. ... (Stand 05/2009)« – was aussagt, dass die Wikipedia Gemeinde den Artikel als noch nicht abgeschlossen betrachtet, so gibt er doch ein gutes Bild des Zeitgeistes, dem dieser Begriff unterworfen ist.

 

Zunächst einmal wird gesagt, dass der Begriff aus der jüdisch-christlichen Tradition stammt und die dem Menschen von Gott wohlwollend geschenkten Güter bezeichnet, mit der Betonung auf wohlwollend. … also Gnadengaben, wie wir ja auch übersetzen. Dann wird aber darauf hingewiesen, dass der Begriff in der sogenannten »Religionswissenschaft« immer mehr als »Befähigung zum Empfang von Offenbarungen« gesehen wurde mit dem Ziel der »…Schaffung einer eigenen von einer bestimmten Gruppe anerkannten … Autorität.«

Hier sehen wir schon die Diskrepanz. Denn einerseits war ursprünglich der Geber und nicht die Gabe die Hauptsache. Gott beschenkte den Menschen! Nun aber wird der Beschenkte wichtig. Er ist es, der Kraft seiner Gabe Autorität gewinnt.

Der Begriff Charisma ist in den letzten Jahrzehnten sehr strapaziert worden. Um ihn entwickeln sich immer wieder Auseinandersetzungen. Auch die Diskussion, die dem Wikipedia Artikel angeschlossen ist, zeigt das deutlich. Denn die charismatische Bewegung, als eine Fortsetzung der Pfingstbewegung die Ende des 19. Jhdt. ihren Anfang genommen hatte, war ja nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist der Begriff stark säkularisiert worden und zwar von dem Soziologen Max Weber, der von 1864-1920 lebte. Dieser Max Weber war ein Protestant, was ihn nicht daran hinderte, die These von der »charismatischen Herrschaft« zu entwickeln. Damit meint er einen Herrscher, der Kraft seiner Begabung in der Lage ist, über eine Gruppe von Menschen Macht zu gewinnen. Fortan wurden Menschen, die es in der Politik schafften Anhänger zu gewinnen, als charismatische Führer bezeichnet. Adolf Hitler war einer von ihnen.

Nach alldem was wir bisher schon erkannt haben, wird uns klar, dass es sich dabei keineswegs um einen protestantischen Standpunkt handelt, sondern geradezu um eine antichristliche Verzerrung des Begriffes. Eine Entwicklung die aber schon in mancher Theologie ihren Anfang genommen haben dürfte. Weiter wollen wir darauf nicht eingehen, ich habe das nur erwähnt, um klar zu machen, dass wir uns als Christen darauf einzustellen haben, dass dieser Begriff noch zu vielen Verwirrungen führen wird, wenn er von uns weiterhin so inflationär und ohne konkrete verbindliche Definitionen gebraucht wird, während die Welt ihn ebenfalls verwendet aber von ganz anderen Idealen geleitet wird.

Wir wollen uns hier nun natürlich nur um die biblische Definition des Begriffes kümmern und ich möchte ein wenig wiederholen: Charisma ist ein griechisches Wort und heißt eigentlich nur Geschenk. Und zwar ein Geschenk, das aus Gnade, unverdient jemandem gemacht wird, der in keiner Weise einen Anspruch darauf hat. So wird es auch in der Bibel meistens mit Gnadengabe übersetzt, während charis die Gnade ist, ist die Gabe das charisma. Zum ersten mal haben wir das in Römer 5:15-16 gesehen:
(15) Mit der Übertretung ist es aber nicht so wie mit der Gnadengabe . Denn wenn durch des einen Übertretung die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus gegen die vielen überreich geworden. (16) Und mit der Gabe ist es nicht so, wie es durch den einen kam, der sündigte (Adam). Denn das Urteil führte von einem zur Verdammnis, die Gnadengabe (Christus) aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit .

Hier wird also das Wort Gnadengabe als Übersetzung für Charisma gebraucht und wir sehen, dass es alleine auf Christus bezogen ist. So ist Christus unser erstes und eigentlich einziges Charisma. Wenn wir ihn nicht hätten, wäre alles andere nichts. Und wenn wir sonst nichts hätten als ihn alleine, wären wir schon auf ewig errettet, wir brauchten überhaupt keine weiteren Gnadengaben. Aber Paulus schreibt natürlich im gleichen Römerbrief auch davon, dass Gott uns mit Christus auch alles andere schenkt: Römer 8.32 »Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken (charizomai)?« Hier wird das Wort charizomai mit schenken übersetzt. So sehen wir also erneut, dass in Christus schon alles enthalten ist, was wir wirklich brauchen, aber eben auch nur in ihm. Alles andere was noch kommt, ist ebenfalls nur auf Grund der Gnade (charis) Christi denkbar. Denn gerade das Achte Kapitel des Römerbriefes handelt ja davon, den Gläubigen eindringlich vor Augen zu führen, das es keine Verdammnis mehr gibt für die welche in Christus Jesus sind. Es ist alles geschehen, es ist nichts weiter mehr notwendig.

Die erste Gabenliste

Aber dann gibt es eben doch noch das andere, das hinzukommt, wenn auch »in Christus« und zwar »in dem Maß«, wie der Heilige Geist es auszuteilen und zu gebrauchen gedenkt. Er gibt uns Gnadengaben, mit deren Hilfe der Leib Christi erbaut werden soll und das Wort der Wahrheit seine geografische Ausbreitung erfahren soll. Denn das sind ja die Ziele des Heiligen Geistes. Weltmission und Gemeindebau, wären nicht zu schaffen, ohne diese Gnadengaben, die uns der Geist Gottes vermittelt. Davon schrieb nun Paulus auch in Kap. 12:4-8
(3) Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich‘s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. (4) Denn wie wir an „einem“ Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, (5) so sind wir viele „ein“ Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, (6) und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. (7) Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. (8) Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er‘s gern.

Hier nennt Paulus gleich am Beginn sein eigenes Charis. Die Gnade nämlich die ihm gegeben worden ist, den Gläubigen alles das mitzuteilen, was ihm Gott an Erkenntnis gegeben hat. Alleine was wir hier im Römerbrief davon erhalten haben, ist schon sehr viel, und es ist erstaunlich, dass er selbst alles das direkt von Gott erhalten hat. Das hätte ihn sicherlich stolz machen können, tat es aber nicht, weil er eben darum wusste, das es alles Gnade war. Darum ermahnt er nun alle Gläubigen eindringlich, dass sie das genauso sehen sollen und dass nicht einer höher von sich denken sollte, als in dieser Kategorie der Gnade. Dabei liegt es nicht am Gläubigen selbst, dass er das Maß der Gnade (also sein Charisma) bestimmt, sondern an Gott, das ist die Hauptaussage von V3. Wobei interessant ist wie er das ausdrückt: Gott bestimmt das »Maß des Glaubens« in unserem Leben, und danach richtet sich die Gnadengabe.

Uns interessieren nun die einzelnen Charismata, die Paulus hier nennt, die Gnadengaben. Zuvor aber will ich noch darauf hinweisen, dass wir hier in diesem Text den Heiligen Geist gar nicht extra erwähnt haben. Aber natürlich wissen wir, nach all dem bisher erkannten, besonders aus Römer 8, dass er involviert ist und er es ist, der die Gaben in uns hervorruft.

Die Liste der Gaben hat Auslegern immer wieder Kopfzerbrechen bereitet. Denn sie ist ein Sammelsurium an verschiedenen Dingen, vom scheinbar trivialem »Ausüben der Barmherzigkeit« oder »Geben«, bis zum scheinbar so wichtigen Amt des »Vorstehens einer Gemeinde« und dem übernatürlichen »Weissagen« oder »prophetischen Reden«. Andererseits ist die Liste aber auch recht dürftig und man fragt sich, wieso Paulus nicht mehr aufgelistet hat. Doch wenn wir uns das genauer überlegen, dann könnten wir daraus auch schließen, dass diese Sammlung eigentlich nach oben offen ist und das Spektrum der Gaben auch unendlich sein könnte, jedenfalls nicht als vollständige Liste erfassbar. Wahrscheinlich hat Paulus bewusst nur einige wenige Gegensatzpaare in diese Liste aufgenommen, um nur ja nicht den Verdacht zu erwecken, dass es überhaupt eine vollständige Liste gäbe. Auch sonst finden wir keine Schriftstelle, die auch nur annähernd eine vollständige Liste bietet.

Was noch auffällt ist, dass das Alltägliche ebenso als Charisma genannt wird, wie das Spektakuläre, das scheinbar Hohe und Bedeutende wie das Unscheinbare. Das Regieren wie das Dienen, das Weissagen wie das Lehren, das Ermahnen wie das Barmherzigkeit üben oder das Mitteilen in dem Sinne, dass man Jemandem etwas gibt, was er braucht. Diese Gabe zu »Geben« war ja in der Versorgung der Bedürftigen in der ersten Gemeinde beinahe eine Selbstverständlichkeit und wird hier doch auch als Charisma angeführt.

Das alles also und noch viel mehr was nicht angeführt ist – auch das, was uns so selbstverständlich erscheint und doch oft gar nicht so selbstverständlich ist, wie wir aus unserem eigenen Leben ja wissen – das alles sind Charismata, Gnadengeschenke. Wenn wir nur irgendetwas Nützliches, Gutes, Erfreuliches und Aufrichtiges tun, dann tun wir es fortan in der Gnade Gottes und es ist ein Charisma, ein Geschenk, das uns Gott gegeben hat, es zu tun.

Und das alles sind zugleich die Mittel des Heiligen Geistes, die er verwendet, um das Werk voranzutreiben. In diesem Sinne könnte jeder Gläubige der aktiv am Gemeindeleben oder in der Mission mitarbeitet mit Fug und Recht behaupten, durch Christus eine charismatische Persönlichkeit geworden zu sein. Mit Autorität hat das rein gar nichts zu tun.

Fassen wir also zusammen: In dem Gnadengeschenk seines Sohnes Jesus Christus, das wir alle empfangen haben, gibt Gott uns Gnadengaben, die dazu dienen, dass wir uns in seinem Werk nützlich machen können. In welcher Art und Weise das geschieht ist nicht von uns bestimmbar und ist auch nicht als besondere eigene Leistung zu verstehen, der wir uns rühmen könnten. Es ist eben Gottes Gnade und es gibt eigentlich keine Gabe die hoch oder niedrig wäre. Was ist dann das Kriterium für eine Gabe? Der Leib als Ganzes ist es. Er ist wichtig und die Glieder sind es nur in dem Maß, als sie zur Auferbauung des Leibes beitragen.

Diese Gnadengaben, oder Charismata sind die Mittel des Heiligen Geistes, die er anwendet, um seine Ziele zu erreichen. Sie bewirken, dass der Heilige Geist gläubige Menschen in sein Werk einbinden und gebrauchen kann. Wo bleibt da der Autoritätsgedanke? Wie um alles in der Welt ist es zu dieser Irrlehre gekommen, dass Charisma irgendetwas mit Autorität, mit Guru-haftem Auftreten und Machtdemonstrationen zu tun hat? Nicht nur in der Politik, auch im Christentum wird das immer mehr so gesehen. Da wird diskutiert, welcher Evangelist besonders charismatisch ist, das soll heißen, eine besondere Art hat, Menschen in seinen Bann zu ziehen, derart manipulierte Menschen werden dann als bekehrt oder geheilt betrachtet. Auch die Katholiken unterscheiden schon, ob der jetzige Papst charismatischer ist als der letzte und meinen damit, ob er sich als Oberhaupt ihrer Kirche durchsetzen kann. Was für eine grauenhafte Fehlinterpretation des Begriffes Gnade. Als ob es im Christentum plötzlich auf das Herrschen und Manipulieren ankommt und nicht auf das Dienen.

Wenn es um das Herrschen ginge, dann wären tatsächlich nur wenige Begabungen gefragt. Nun geht es aber um das Dienen und da wird alles gewürdigt, was irgendwie getan werden kann um den Leib Christi zu erbauen, und es wird nicht unterschieden zwischen wichtigen und unwichtigen Gaben. Natürlich möchten wir uns diese Frage sehr gerne stellen; welches sind denn die wichtigsten Gaben die eine Gemeinde braucht? Aber das Gleichnis vom Leib mit seinen vielen Gliedern zeigt uns wie unsinnig eigentlich diese Frage ist. Welches ist das wichtigste Glied an meinem Leibe? Als ich diese Predigt zu Papier gebracht habe, wisst ihr was da die wichtigsten Glieder an meinem eigenen Leib waren? Es waren meine Finger. Wenn sie mich im Stich gelassen hätten, wäre heute manches in meiner Predigt anders, nicht grundsätzlich vielleicht, aber von der Formulierung. Ich lege aber großen Wert auf exakte Formulierungen und deshalb sind meine Finger wichtig, sie müssen exakt das Tempo beim Schreiben mitgehen, das meinem Gedankenfluss entspricht, etwas was Jahre gebraucht hat, bis es funktionierte. Als ich dann in der Früh aus dem Bett gestiegen bin, um nach einem guten Frühstück hierher zu kommen und diese Predigt zu halten, welche Glieder waren da am wichtigsten? Natürlich meine Beine. Ohne sie wäre ich heute hier nicht aufgetaucht und jemand anderer müsste statt mir sprechen. Apropos sprechen. Jetzt in diesem Moment ist mein Mund das wichtigste Glied – sonst würde ich nicht zu euch sprechen können – unterbrochen von kurzen Momenten, in denen meine Hände in Aktion treten um mit dem Wasserglas meinen Mund zu befeuchten, damit er weitersprechen kann, denn mit ausgetrocknetem Mund geht das nicht gut. Die wichtigste Gabe ist immer die, die gerade gebraucht wird. So erkennen wir nun in dieser ersten Liste des Apostel Paulus mit Deutlichkeit, dass es keinen Unterschied macht, ob jemand prophetisch redet oder barmherzig ist, ob er der Gemeinde als Ältester vorsteht oder als Diakon oder nur so, auch ohne ein Amt, gutes tut. 

Dennoch möchte ich nun zu den einzelnen Bedeutungen der Gaben in dieser Liste Stellung nehmen:

Prophetisches Reden

Über die prophetische Rede will ich aber heute nicht viel sagen, weil diese Gabe in 1. Kor. 12 und 14 noch einmal vorkommt und da werden wir uns näher damit beschäftigen müssen. Nur dass eine prophetische Aussage dem Glauben gemäß sein muss, darüber sollten wir nachdenken, was das heißt: Ein Prophet ist jemand, der das Wort Gottes direkt empfängt und es weiter gibt und ich denke, dies hier ist ein Hinweis auf die innere Übereinstimmung des Wortes Gottes. Gott ist nicht wie ein Mensch, der sich widersprechen kann. Gott ist Wahrheit und deshalb kann nicht plötzlich eine Weissagung auftauchen, die irgend einen substantiellen Inhalt der neutestamentlichen Lehre in Frage stellt. Dabei wissen wir aber, dass der Glaube nicht in dogmatischer Weise formuliert ist; sondern er ist auf eine Person ausgerichtet und das ist Christus. An ihm entscheidet sich alles, er ist der Eckstein, an dem alles ausgerichtet werden muss. Dies ist unser Glaube und demgemäß muss auch die Offenbarung sein. Es geht also nicht um dogmatisches, einem Kathechismus verbundene Reden, sondern um authentisch christusgemäße Aussagen, die in keiner Facette ihm widersprechen könnte.

Ich finde in der Neue Leben Übersetzung ist das grauenhaft übersetzt worden: 6 … Hat Gott dir zum Beispiel die Gabe der Prophetie gegeben, dann wende sie an, wenn du überzeugt bist, dass Gott durch dich redet. Keine andere Übersetzung hat das so stehen. Denn es genügt eben gerade nicht, dass wir bloß persönlich davon überzeugt sind, dass Gott durch uns redet, wenn wir ein prophetisches Wort weitergeben. Es muss geprüft werden und der Prophet tut gut daran es selbst zu prüfen und prüfen zu lassen, bevor er es weiter gibt, ob es denn tatsächlich dem Glauben entspricht. Die für ihre Genauigkeit bekannte Elberfelder Übersetzung sagt viel deutlicher: Es sei Weissagung, in der Entsprechung zum Glauben (Fußnote: nach der Analogie des Glaubens) Tatsächlich steht im griechischen das Wort »analogia« und das ist uns ja auch als Fremdwort nicht unbekannt.

Dienen statt herrschen

Als nächstes erwähnt Paulus das Amt. Nun wird das Amt eigentlich oft nicht als Charisma gewertet, denn ein Amt, oder eine Funktion ist etwas, was man auf Grund einer Gabe bekommt. Aber Paulus macht hier keinen Unterschied. Das griechische Wort heißt hier »Diakonia«. Das ist uns wohl bekannt aus der Apostelgeschichte und wir wissen, dass die Diakone eingesetzt wurden, weil die Apostel sich um viele praktische Dinge nicht wirklich kümmern konnten. Der Anlass war, dass die griechischen Witwen in den von den Juden dominierten Gemeinden bei der Versorgung leicht übergangen wurden. Darin mag gar keine Absicht gesteckt haben, aber es kam zu berechtigter Kritik und die Apostel sahen sich veranlasst, für diesen Dienst die Verantwortung abzugeben. Sie forderten daher die Gemeinde auf, sich nach Diakonen umzusehen, sie suchten nicht selber welche, sie bestimmten nur die Kriterien für den Diakonendienst. Die Diakone sollten einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sein (Apg. 6:3). Als die Gemeinde diese Diakone gefunden und eingesetzt hatte, da war dies nun nicht eine Berufung von Menschen, sondern von Gott und Menschen, daher zählt Paulus das Amt auch unter die Gnadengaben. Einerseits ist es ein Geschenk, wenn man so ein Amt bekleiden darf, andererseits ist es ein Geschenk Gottes an die Gemeinde, wenn es Leute gibt, welche die Voraussetzungen dafür haben.

Dass dieses Amt nun ein Dienst ist und keine Herrschaft, das ist das was Paulus hier betonen möchte. Eine Verantwortung zu haben, kann leicht dazu führen, zu meinen man müsste nun über einen Bereich bestimmen können, im Sinne einer Machtausübung: das ist mein Bereich und da sage ich, wie der Hase läuft. Das ist eine Einstellung, die in einer Gemeinde nicht tragbar ist, denn der Diakon ist ein Diener. In der griechischen Gesellschaft, aus der dieser Begriff kommt, war der Diakon jemand, der freiwillig eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft übernommen hatte – ein ehrenamtlich Dienender sozusagen, was aber nicht unbedingt ein tatsächliches Amt sein musste. Jedenfalls war die Allgemeinheit der Nutznießer der Arbeit des Diakons und der Diakon hatte darin seine Ehre. Diese Einrichtung stellte sich bald als ungeheuer wichtig heraus für die Entwicklung der Gemeinde. Der Diakon war einer der horizontal diente. Sein Dienst war an und für die Menschen die zur Gemeinde kamen. Der Dienst im Gottesdienst wurde nicht vom Diakonos, sondern vom Leitourgos geleitet, das entspricht unserem Verständnis des Gottesdienstleiters als demjenigen, der die Gläubigen auf Gott einstimmte, also ein vertikaler Dienst. Zweifellos ist der Liturg auch eine Gnadengabe, aber er wird in der Schrift nicht als solche aufgezählt, ein Beweis dafür, dass meine Vermutung stimmt, dass es keine vollständige Liste der Gnadengaben gibt. Der Dienst des Diakonen wird hingegen oft erwähnt, er hatte natürlich eine Schlüsselstellung in der Gemeinde und das war einfach auch notwendig.

Lehren mit Fleiß

Die Lehre war eigentlich auch ein Charisma, das mit einem Amt verbunden war. Es gab den Lehrer und er wird in Eph. 4:11 als einer der vier Ämter gesehen, durch welche die Gemeinde aufgebaut wird: Apostel, Evangelisten, Propheten und Hirten und Lehrer. Wobei Hirten eben auch Lehrer sind. Die Gabe des Lehrens aber kann auch solchen gegeben sein die keine offiziellen Lehrer oder Hirten sind. Jemanden zu lehren setzt eigentlich nur voraus, dass jemand bereit ist zu lernen. Wo es keine Schüler gibt, kann es ohnehin keine Lehrer geben. Wenn ich aber was lernen möchte, dann finde ich meinen Lehrer und ich werde mir einen suchen, von dem ich denke, dass er mir etwas beibringen kann. So funktioniert das im Beruf, und auch in der Gemeinde ist das nicht anders. Deshalb kann Lehre offiziell in Seminaren und Gottesdiensten stattfinden, aber auch in Kinderstunden, oder ganz inoffiziell in Hauskreisen und sogar in persönlichen Beziehungen ist Lehre möglich, das nennt man dann in moderner Sprache Mentoring.

Wie immer Lehren (griech. didasko) aber auch stattfindet, es gilt das gleiche wie beim Propheten. Es muss der Lehre (Didaskalia) entsprechen, die vom Wort Gottes ausgeht. Das zweite Wort ist ein Substantiv. Wir lehren in der Lehre, das heißt, dass wir uns nichts aus den Fingern saugen, sondern im Rahmen einer vorgegebenen Offenbarung lehren.

Ermahnen und trösten

Die Ermahnung ist wahrscheinlich das, was wir am ehesten mit dem Begriff Seelsorge identifizieren können. Der Begriff Seelsorge kommt ja in der Bibel gar nicht vor. Er ist eigentlich ein Mythos und doch gibt es so was Ähnliches in der Bibel. Ermahnung ist nur eine Seite des hier verwendeten griechischen Wortes »Parakaleitos«. Die andere Seite ist das Wort trösten. Jesu hat gesagt, dass er uns den Tröster sendet, den Parakleitos, das ist der Heilige Geist. Und nun ist diese Gabe des Geistes eben auch das Trösten. Eine andere Übersetzung spricht hier vom »Beistand« den uns Christus gesendet hat. Analog dazu ist nun die Gabe, jemanden beizustehen. So ist der Parakleitos einer, der in der Not herbeigerufen wurde, um zu trösten, zu ermahnen und aufzurichten, genau das ist es, was wir uns in der klassischen Seelsorge vorstellen. Es ist wichtig, dass Seelorge keine zweitklassige Psychotherapie darstellt, sondern wirklich erstklassigen Beistand im Glauben nach biblischem Vorbild. Ich betrachte mit Sorge, wie sich die Seelsorge immer mehr in der Psychologie verheddert. Auch wenn es wichtig sein mag, zu sehen, wie Psychotherapeuten arbeiten, Seelsorge ist eine ganz andere Sache. Seelsorge hat andere Zielsetzungen als nur die Behandlung von Zivilisationskrankheiten und Traumatas. Im Idealfall ergänzen sich Psychotherapie und Seelsorge, aber es kann auch sein, dass sie einander widersprechen, wenn nämlich der Psychotherapeut die Anliegen des Glaubens nicht versteht, dann kann es zu Problemen kommen. Hier braucht es das Selbstbewusstsein des Seelsorgers und des Gläubigen selbst, auf das Wort Gottes zu vertrauen.

Barmherzigkeit und Freigiebigkeit

Das Geben ist auch eine Gabe, die jeder haben kann, der etwas übrig hat. Ich weiß, im Grunde genommen empfinden wir immer, dass wir eigentlich selbst zu wenig haben. Doch es ist nicht so, jeder der nur ein wenig darüber nachdenkt, findet etwas, das er geben kann. Es gibt aber auch Menschen, die finden gerade in dieser Gabe ihre Erfüllung. Gott hat sie beschenkt und sie schenken weiter. Dass das mit Einfalt geschehen soll, bedeutet nichts anderes, als dass der Geber ohne Hintergedanken sein muss. Er soll daraus keinen Prestigegewinn ableiten. Jesus hat das in der Bergpredigt so ausgedrückt (Matth. 6:2): Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Imagepflege, Public Relations und Werbekosten, das sind Begriffe, die gab es damals zwar noch nicht, aber so schlau wie wir waren Juden und Griechen schon lange und so gab es sicher auch damals Varianten des heute so beliebten Spieles, mit übergroßen Scheckkopien der Menge zu zeigen, wie gut man doch ist. Bei Gott zählt solches Benefizgehabe gar nichts.

Mit Hingabe leiten

Der Gemeinde vorstehen mit Sorgfalt ist das nächste was Paulus anführt. Dabei ist das Wort Gemeinde heineingerutscht und gehört hier gar nicht hin. In der alten Luther Übersetzung hieß es noch: regiert jemand, so sei er sorgfältig. So ähnlich auch die Elberfelder Übersetzung. Wahrscheinlich dachte man, dass Vorstehen mit Gemeindeleitung zu tun haben muss. Doch das wäre wieder der Amtsgedanke, der in diesem Wort nicht notwendigerweise enthalten ist. Es geht auch nicht um regieren, im Sinne von herrschen, sondern um Leitung, und man kann auch leiten, ohne dazu bestimmt worden zu sein. Menschen finden oft von selbst ihre Leiter die sie führen. Wenn aber jemand diese Bestimmung hat, dann muss er ein eifriger Mensch sein, so heißt es in der Schlachter Übersetzung. Eifer, Fleiß, Sorgfalt, ich denke mehr brauchen wir nicht zu sagen. Das gilt nicht nur für Leiter der gesamten Gemeinde, sondern auch für Arbeitskreisleiter, Hauskreisleiter und was immer es für Leitungsaufgaben in der Gemeinde geben mag. Von der Sorgfalt und dem Fleiß, wir würden heute vielleicht sagen von der Hingabe eines Leitenden hängt sehr viel ab. Bloße Ernennung von Leitern ist da zu wenig, wenn das Engagement fehlt.

Fröhliche Barmherzigkeit

Das Letzte was wir in dieser Liste finden ist die Barmherzigkeit. Hier wird es nun ganz besonders deutlich, dass es sich bei den Charismen nicht um etwas Spektakuläres handelt. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird Barmherzigkeit als eine Tugend der Nächstenliebe dargestellt. Welcher Christ, der es ernst meint, sollte also dieses Charisma nicht haben?

Und doch gibt es Leute, die in besonderer Weise ihr Leben der Barmherzigkeit widmen. Sie sind nur dort zu finden, wo Not ist, um zu helfen, obwohl sie selber gar keine Not haben und sich fernab davon ein besseres Leben machen könnten. Die Barmherzigkeit als Tugend ist eine Notwendigkeit, als Charisma ist sie wohl eine besondere Gnade. Denn wer kann sich immerzu mit der Not anderer beschäftigen und das auch noch gerne tun?

In einer Gesellschaft, in der Nächstenliebe weitgehende institutionalisiert ist und alles über öffentliche Anstalten organisiert ist: Krankenhäuser, Obdachlosenheime und Sozialämter, kommt diese Gabe nur mehr wenig zur Geltung. Von denjenigen aber die in Sozialberufen tätig sind, entsteht oft der Eindruck, dass sie es gar nicht gerne tun, sondern als Job wie jeden anderen betrachten. Wenn wir die Augen aufmachen, sehen wir auch heute noch genügend und immer mehr Möglichkeiten, diese Gabe auszuüben. Die Frage ist nur, ob wir das sehen wollen.

 

Wir haben also gesehen, wie sich der Leib Christi durch verschiedenste Gaben auferbaut. Immer aber war mit der Gabe eine Verantwortung verbunden. Wir können die Gabe die uns Gott gegeben hat einsetzten und sie gut oder schlecht gebrauchen. Ja wir können sie sogar missbrauchen, wie wir das nächste mal im Korintherbrief sehen werden. Der Herr schenke Euch bei der Ausübung Eurer Gaben viel Freude und Segen. Treu ist, der Euch ruft, er wird es auch tun.

Amen!