(3:17) Denn du sprichst: Ich bin reich und habe Überfluss, und mir mangelt es an nichts! — und du erkennst nicht, dass du elend und erbärmlich bist, arm, blind und entblößt

Warum war die Gemeinde so daneben? Wie sah das Gemeindeleben aus, das Jesus so heftig kritisiert und an dem er nichts Gutes fand?

Dieser Vers sagt es uns, es war ein Leben in satter Selbstzufriedenheit, wie nur materieller Reichtum ihn hervorbringen kann. Ja, die Gemeinde hatte was zu bieten. Vermutlich hatte sie ein sinnlich reicheres Gemeindeleben als alle anderen, einen Gottesdienst mit üppigerem Gesang, in einem eigenen Gemeindehaus (was damals noch nicht selbstverständlich war), das auf's Beste geschmückt und ausgestattet war. Vielleicht übten sich die Ältesten der Gemeinde schon in äußerer Unterscheidung durch würdevolle Gewänder und alles das, was einst im Christentum derart ins Kraut schießen sollte. Aber wo blieb die Frucht?

War Laodicea vielleicht auch ein Weg der Versöhnung, mit einer Gesellschaft die Kritik nicht vertrug und in der man gewohnt war sich mit Allem und Jedem zu arrangieren? Wir wissen, dass es in Laodicea eine starke jüdische Synagoge gab. Mehr als in anderen griech. Städten hatten hier die Juden das Sagen, denn schon damals waren sie fähige und reiche Kaufleute und Bankiere. Aber der übliche Streit zwischen Juden und Christen scheint in Laodicea kein Thema gewesen zu sein. Man hatte einen Kompromiss gefunden, einen goldenen Mittelweg. Jeder war rundum zufrieden, nur der Herr der Gemeinde war es nicht.

Geistlich gesehen war die Gemeinde eben nicht reich, sondern arm, blind und entblößt. Wie ist das zu verstehen? Eine gesunde lebendige christliche Gemeinde konnte mit einem ungewöhnlich hohen ethischen Niveau in der Gesellschaft Achtung und Feindschaft zugleich provozieren. In den anderen Gemeinden war dies ganz oder teilweise der Fall, denn bei den Christen gab es normalerweise keine familienzerstörenden sexuellen Ausschweifungen mehr, es gab keine orgiastische Exzesse, und es gab keine Betrügereien mehr. Der Sklave wurde als Bruder geachtet wie der Adelige und die Armen wurden anständig versorgt. Man fluchte nicht, sondern segnete und ging Streit aus dem Weg und versuchte liebevoll miteinander umzugehen. Die Soldaten zogen nicht ins Feld, sondern versuchten sich in Polizei- und Gerichtsdiensten zu etablieren. Alles das erregte einerseits Wohlgefallen, aber auch Abneigung bei denen, die von der Dekadenz einer recht brutalen und ungerechten griech./röm. Gesellschaft ganz gut lebten und sich ihr bedingungslos hingaben.

In Laodicea hatte die Gemeinde keinen solchen Ruf, aufmüpfig und unbequem zu sein. Sie wurde nicht angefeindet, hatte aber auch kein großes Ansehen. Sie waren fromme Spinner, die man gewähren ließ, denn wenn es ernst wurde, waren sie harmlos und verhielten sich wie alle anderen, nur meistens diskreter, verborgener, denn nach außen wollten sie natürlich als Christen wahrgenommen werden, aber jeder wusste, dass sie es nicht wirklich sind.

Diese Diskrepanz zwischen äußerlich reichen und beeindruckendem Gehabe, aber innerlicher Zerrüttung in Heuchelei – man sündigt nicht mehr öffentlich, aber heimlich ist jede Ungerechtigkeit vorhanden – das war es doch, was Johannes der Täufer und Jesus an den Juden so kritisiert haben, wie uns das Evangelium berichtet. Wozu aber eine Gemeinde, die es nicht besser kann? Wie heißt es doch in der Bergpredigt? Mt 5:20: »Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen!«