Gericht am Hause Gottes (Jes. 29:9-14)

Wenn wir an Gericht denken, dann denken wir vor allem immer an jenes zukünftige Ereignis, das uns noch bevorsteht und das eine Neue Zeit in der Ewigkeit einleiten wird, das jüngste Gericht. Aber Gericht ist ein viel weitläufigeres Thema in der Bibel und genau genommen ist es das Thema vor allen anderen Themen. Denn Gott hält laufend Gericht über alles was sich gegen ihn erhebt, von dem Tag an, da er Adam und Eva aus dem Paradies verbannte, weil sie sich durch ihre Tat mit dem Gegenspieler Gottes, dem Satan verbunden hatten. Die Unterwerfung der Natur und aller Lebewesen unter die Vergänglichkeit, unter den Tod, war der erste Akt, dem bis zum Tag der großen Schlussabrechnung unzählige kleinere Gerichte folgten.

Eigentlich ist die Geschichte der Menschheit von der Bibel aus gesehen – und die Bibel ist ja hauptsächlich ein Geschichtsbuch – auch eine Geschichte der Gerichte Gottes über Völker und Menschen. Auch wenn wir das nicht so gerne hören, aber Gott ist in erster Linie auf dieser Erde am Werk, um seine eigenen Interessen zu wahren und deshalb richtet er die Menschen. Seine Gerichte erfolgen nicht immer gleich auf den Fuß der bösen Tat. Gott ist langmütig, er schenkt Raum zur Umkehr, aber wenn keine Buße erfolgt und die Sünde ausreift wie eine faule giftige Frucht, dann ereignen sich die Gerichte Gottes in der vielfältigsten Weise. 


Dabei ist es zwar am Eindrücklichsten, wenn uns die Bibel von Gerichten durch das Eingreifen Gottes in direkter Weise berichtet, wie zum Beispiel der Sintflut, dem Turmbau zu Babel, oder Sodom und Gomorrha. Uns beeindrucken auch Berichte wie die von Samson, der mit übermenschlicher Kraft ausgestattet die Gerichte Gottes betrieb, sozusagen als Gottes Supermann; oder Elia, der Feuer vom Himmel fallen ließ.
Wir übersehen aber ganz, dass die meisten Gerichte Gottes sich auf völlig natürliche Art und Weise ereignen. Irgendwie ist das Gericht der Sünde bereits immanent. Gott hat das so eingerichtet, er braucht nicht immer direkt einzugreifen, denn die welche in der Sünde verharren, die richten sich selbst.

Im persönlichen Bereich zum Beispiel wird übermäßiges Trinken oder Rauchen zweifelsohne Gesundheitsschäden hervorrufen, die dann als Gericht Gottes erduldet werden müssen. Im politischen Bereich brauchen wir nur 65 Jahre zurückzugehen, um zu erkennen, wie die Vermessenheit des Nationalsozialismus zur großen Katastrophe des zweiten Weltkriegs führte. Dieses große Gericht des vorigen Jahrhunderts hat noch immer seine Auswirkungen auch auf unser Zeitgeschehen heute. Manche der gegenwärtigen politischen Probleme in unserem Lande sind auch noch zurückzuführen auf das Versagen der Mehrheit der Menschen damals in Deutschland und Österreich. Jemand hat einmal gesagt, dass alle unsere schlechten Taten wie ein Atomlager wirken. Der Müll wird zwar so gut es geht versteckt, aber er sendet seine tödlichen Strahlen durch jedes Mauerwerk durch und aus jeder Tiefe empor und erstickt alles Leben das sich in seinem Bann befindet.

Wir wollen uns heute einmal mit dem Gericht Gottes in dieser Zeit auseinandersetzen und seine Wirkungsweise studieren. Es geht also nicht um das Gericht Gottes am Ende der Zeiten, sondern um die Gerichte Gottes in dieser Zeit der Weltgeschichte.

Wir lesen dazu Jesaja 29. 9-14
(9) Starret hin und werdet bestürzt, seid verblendet und werdet blind! Seid trunken, doch nicht vom Wein, taumelt, doch nicht von starkem Getränk! (10) Denn der Herr hat über euch einen Geist des Schlafs ausgegossen und eure Augen – die Pro¬pheten – zugetan und eure Häupter – die Seher – hat er verhüllt. (11) Darum sind euch alle Offenbarungen wie die Worte eines versiegelten Buches, das man einem gibt, der lesen kann, und spricht: »lies doch das!«, und er spricht: »ich kann nicht, denn es ist versiegelt« (12) oder das man einem gibt, der nicht lesen kann, und spricht: »lies doch das!«, und er spricht: »ich kann nicht lesen.« (13) Und der Herr sprach: Weil dies Volk mir naht mit seinem Munde und mit seinen Lippen mich ehrt, aber ihr Herz fern von mir ist und sie mich fürchten nur nach Menschengeboten, die man sie lehrt, (14) darum will ich auch hinfort mit diesem Volk wunderlich umgehen, auf’s wunderlichste und selt¬samste, dass die Weisheit seiner Weisen ¬vergehe und der Verstand seiner Klugen sich ¬verbergen müsse.


Wen betrifft das Gericht Gottes?

Wie wir sofort erkennen, ereignet sich das Gericht nicht an Menschen, die in der Gottesferne leben, die keine Ahnung haben von seiner Macht und Größe. Nein, wir haben es hier in diesen Versen mit einem sogenannten Gericht am Hause Gottes zu tun. Petrus hat auch in seinem ersten Brief davon gesprochen: (1. Petr. 4:17)
»Denn die Zeit ist da, dass das Gericht anfängt an dem Hause Gottes. Wenn aber zuerst an uns, was wird es für ein Ende nehmen mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben?«

Das bringt uns zu einer ersten großen Wahrheit, nämlich: dass Gott die nicht verschont, die er liebt und die er als sein Volk betrachtet. Ja genaugenommen müsste man sagen, dass alle Gerichte Gottes in dieser Zeit um seines Volkes willen passieren. Sie ereignen sich in der Auseinandersetzung Gottes in der Geschichte, um der Menschen willen, die gerettet werden sollen. Wenn keine Menschen mehr gerettet werden sollen, dann bestünde auch gar kein Grund für Gott, der Menschheit nicht schon sofort die Schlussrechnung zu präsentieren durch das »Jüngste Gericht«. Die Tatsache der kleinen Gerichte Gottes in der Historie sind eigentlich Zeichen der Gnade, denn es geht dabei immer nur um die Wiederherstellung des Volkes Gottes und um die Rettung von Menschen für die Ewigkeit.

Denn Gottes eigentliche Sache ist ja nicht Gericht und Zerstörung, sondern Schöpfung und Bewahrung von Leben. Ein Kapitel zuvor in Jesaja heißt es deshalb auch: (28. 21) »Denn der Herr wird sich aufmachen wie am Berge Perazim und toben wie im Tal Gibeon, dass er sein Werk vollbringe – aber fremd ist sein Werk, und dass er seine Tat tue – aber seltsam ist seine Tat.«

Es liegt nicht in Gottes eigentlicher Absicht, die Menschen zu strafen. So wie wir ja auch keine Kinder bekommen mit dem Ziel irgendwelche sadistische Eigenschaften zu befriedigen. Dennoch wissen wir genau, dass Erziehung ohne Strafen – oder nennen wir es modern: ohne Sanktionen gegen Regelverstoß – dass eine sogenannte antiautoritäre Erziehung nicht funktioniert. Aber unsere eigentliche Absicht ist es, unseren Kindern Gutes zu tun und sie zu erfreuen. Wenn wir mit ihnen streiten, dann fühlen wir uns dabei nicht sehr wohl, aber wir müssen es tun. Ich will jetzt gar nicht über die Methoden reden, die berechtigt oder unberechtigt sind. Tatsache ist, dass Gott genau so empfindet. Er hat kein Gefallen daran uns weh zu tun, daran hat nur der Teufel gefallen. Aber er ist Gott, der alles aus Liebe geschaffen hat und das Werk des Gerichtes ist ihm ein fremdes Werk.

Lassen wir uns nicht durch die Länge der Geschichte täuschen. Die ca. zehntausend Jahre Menschheitsgeschichte die uns die Bibel beschreibt, sind bei Gott nur zehn Tage, denn vor ihm sind tausend Jahre wie ein Tag. Wenn aber das Endgericht vorbei sein wird, dann werden wir in Ewigkeit kein Gericht mehr zu befürchten haben.

Wie richtet Gott sein Volk?

Israel ist uns also in unserem Text ein Beispiel für das Gericht am Hause Gottes, das Israel damals war. Die Geschichte Israels als Volk Gottes hatte damals schon besonders glanzvolle Höhepunkte hinter sich. Sie wussten viel, ja mehr als alle anderen Völker von dem einzig wahren Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde, ihrem Jahwe, der sie erwählt hatte. Aber aus irgendeinem Grunde funktionierte es nicht mehr so richtig zwischen Israel und Gott, und er entschloss sich dazu dieses Volk zu richten.

Wenn wir in unserem persönlichen Leben auf ein Gericht Gottes stoßen, dann beschäftigt uns bedauerlicherweise nicht zuerst die Frage nach der Ursache des Gerichtes, nach unserer Schuld, sondern zuerst taucht in uns die Bange Frage auf, ob Gott uns denn nun verworfen hat. Wir sollten die Bibel gut genug kennen, um zu wissen, dass es eine Verwerfung nicht geben kann für ein Kind Gottes. Aber dennoch ist es so, dass selbst wenn wir es wissen, unser Glaube ins Zweifeln geraten kann. Schließlich erfahren wir das Gericht Gottes ja meist nicht sofort wenn wir geistlich lau sind, oder sündigen. Wie schon erwähnt hält Gottes Geduld vielem stand. Umso mehr reagieren wir dann zuerst überrascht, enttäuscht oder gar beleidigt, wenn es uns doch noch trifft. Wir vermuten dann sofort: jetzt ist es aus, jetzt will Gott nichts mehr von mir wissen, oder noch schlimmer, wir sind beleidigt und wollen von Gott nichts mehr wissen.

Aber was sagt Gottes Wort? Einige Kapitel weiter gibt Gott dem Volk Israel auf diese brennende Frage eine eindeutige Antwort: (48. 9-11)
»Um meines Namens willen halte ich meinen Zorn zurück, und um meines Ruhmes willen bezähme ich mich dir zugut, dass du nicht ausgerottet wirst. Siehe ich habe dich geläutert, doch nicht im Silberschmelzofen, sondern im Schmelzofen des Elends. Um meinetwillen, ja, um meinetwillen will ich’s tun, dass ich nicht gelästert werde; denn ich will meine Ehre keinem anderen lassen.«
Diese Stelle ist deshalb so interessant, weil sie nicht wie sonst an vielen anderen Stellen die Liebe Gottes zu seinem Volk betont, die es ihm nicht gestattet, es ganz zu verwerfen, sondern weil ein anderes Argument verwendet wird: Israel ist ein ehrgeiziges Projekt Gottes, das er seinem Gegenspieler abgerungen hat. Aus diesem Grunde scheint es unmöglich dass Gott jemals aufgibt. Eher wird er dieses Volk noch viele male im Glutofen des Elends schmelzen, bis die letzte Schlacke beseitigt ist, als dass er von seinem ursprünglichen Plan abrückt, der da lautet: sich dieses Volk als heiliges Volk zu zurüsten, das ihm auf diesem Planeten eines Tages einen perfekten Gottesdienst leisten wird!

Dieses Ziel wird Gott erreichen, um seiner Ehre willen, die er keinem anderen überlässt. Die Weltgeschichte ist nicht abgeschlossen, ehe Israel errettet ist. Wenn aber dies schon so ist, um des Versprechens Gottes Abraham gegenüber, wie er ihm geschworen hatte, wieviel mehr wird das geschehen um das Versprechen Gottes seines eigenen Sohnes gegenüber, dass er die Beute seines Gehorsams in die Ewigkeit davontragen wird. Dies scheint zwar schwer vorstellbar, wenn wir die Gerichte Gottes sehen, aber wir werden es in der Ewigkeit erleben, dass am Ende keiner von denen, die von neuem geboren wurden, wieder verloren gegangen ist. Gottes Ehre wird es nicht zulassen.

Gott richtet also sein Volk, aber er verdammt es nicht von neuem, denn es gibt keine Verdammnis für jene, die in Christus sind. Aber wenn wir in unseren Text hineinsehen, dann will uns das gar nicht so recht logisch erscheinen. Denn es sieht fast so aus, als wenn Gott das Volk, das sich von ihm entfernt hat zunächst noch weiter von sich stößt.

Tatsächlich sind viele Gerichte für uns zunächst sehr wenig heilsam sondern stürzen uns in die beschriebene Verzweiflung: Wir starren auf unser Elend und Erstarren vor Schreck, sodass wir weder zum Gebet noch zum Lesen der Bibel fähig sind. Wir lassen uns blenden vom gleißenden Licht der Welt und werden blind dabei, sodass wir auch das wegweisende Licht des prophetischen Wortes Gottes nicht mehr sehen. Wir taumeln ohne erkennbare Ursache und sind nicht mehr nüchtern in der geistlichen Auseinandersetzung. Unsere Urteilskraft lässt nach, Müdigkeit befällt uns und wir verstehen absolut nichts mehr. Wie konnte das geschehen? Wir haben doch so freudig begonnen. Warum sitzen wir wieder im Finstern wie in den alten Zeiten und können uns nicht mehr recht am Herrn erfreuen. Alles wird auf einmal zum Problem. Wir sehen uns mit tausend Meinungen konfrontiert, wie dies oder jenes zu verstehen ist. Jeder unterbreitet uns ein anderes Konzept, aber wenn wir ehrlich sind, ist uns das schlichte einfache wegweisende Wort Gottes abhanden gekommen.

Wenn wir die Bibel aufschlagen, dann sehen wir darin auch nur mehr Versagen und Gericht und keine einzige Frage wird uns mehr richtig beantwortet. Unsere Gebete werden kürzer und leiser, verkommen zu einem müden Seufzen: »Ach ja, waren das noch Zeiten Herr, lass sie doch wiederkommen!« Aber das Gericht Gottes hat begonnen. Die Decke hängt über unserem Herzen.

Das Volk Israel wusste zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht wovon der Prophet hier sprach. Denn noch war es nicht so weit dass das Wort Gottes nicht mehr kam und dem Volk den Weg wies, wenngleich das Gericht bereits begonnen hatte. Israel war hart bedrängt, Jerusalem war damals unter Hiskia belagert worden und beinahe in die Hände der Assyrer gefallen. Aber das aufrichtige Gebet des gläubigen Königs hatte noch einmal Gottes Herz erweichen können und so war das Gericht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, von dem hier Jesaja spricht. Das ist der historische Hintergrund dieses Bibelwortes.

Der spätere Zeitpunkt war dann die Verschleppung des Volkes in die Babylonische Gefangenschaft, aber das war nicht Höhepunkt des Gerichtes, auch die Zerstreuung der Juden in die ganze Welt um 70 nach Christus war dies nicht. Der Höhepunkt des Gerichtes über Israel ereignete sich als die Decke über das Volk Israel gelegt wurde, weil es den Messias verwarf, wie das Paulus im Römerbrief beschrieb, und das Volk Israel von da an keine Propheten mehr hervorbrachte und auch die alten Propheten deren Schriften es im alten Testament bewahrte, nicht mehr verstehen konnte. Welche Tragödie. Da besitzt ein Volk den wertvollsten Schatz der Geschichte, das lebendige Wort Gottes und kann nichts damit anfangen, weil es kein Verständnis dieses Wortes mehr hat. Es ist als ob sie nicht lesen könnten, wie Jesaja es vorausgesagt hat.

Aber hatten sie dieses Verständnis nicht schon zur Zeit Jesu verloren? Wenn wir uns an die Auseinandersetzungen Jesu mit den Schriftgelehrten erinnern. Die verstanden das Wort Gottes nur mehr gesetzlich und hatten keine Ahnung vom prophetischen Wort. Sie verstanden Gott nicht mehr, denn hätten sie ihn verstanden, hätten sie ihn niemals getötet, oder seinen Tod durch der Römerhand zugelassen.

Aber kann das nicht uns auch passieren? Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich Euch sage, dass Gott auch im Leben eines Gotteskindes jederzeit sein Reden einstellen kann. Das Weitere ergibt sich dann von selbst. Wenn Gott nicht mehr zu uns spricht sind wir dahin gegeben bis zu diesem Tag, an dem er sich uns wieder zuwendet. Wir lesen vielleicht noch in der Heiligen Schrift und halten uns religiöse Regeln und Gewohnheiten, auf die wir dann sehr stolz werden, weil wir sie für den Willen Gottes halten. Aber was wir nicht mehr können ist, über unsere Sünden Buße zu tun, dazu fehlt uns die Gnade. Aber ohne die Buße, gibt es keine echten Früchte des Geistes, sondern nur frommes Getue. Beten wir darum, dass Gott uns bald wieder diese Früchte gibt. Denn wenn die Umkehr nicht erfolgt, dann wird die Verwirrung weiter zunehmen und es wird Streit und Not entstehen, weil keine echte Erkenntnis mehr vorhanden ist. Gott schweigt und wir wursteln dahin, mehr recht als schlecht und bieten alles andere als das Bild einer Gemeinde Gottes. Jeder Kaninchenzüchterverein hat dann mehr Solidarität und Gemeinschaftssinn vorzuweisen als wir.

Warum richtet Gott sein Volk?

Wenn wir nach den Ursachen des Gerichtes am Hause Gottes fragen, so beschreibt der in Vers 13 erwähnte Grund wohl nicht einen möglichen Grund dafür, sondern DEN Grund dafür, dass Gott eine Gemeinde richtet, indem er sie links liegen lässt und ihr keine Gnade mehr gewährt. Und dieser Hauptgrund ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist aber nicht sichtbar, denn sie ist kaschiert durch kultische Handlungen, die vorgeben, man führe doch ein recht frommes Leben. Wir gehen jeden Sonntag in den Gottesdienst, vielleicht treuer als andere, wir machen täglich eine sogenannte Stille Zeit und versuchen sogar Gutes zu tun. Aber zugleich sind wir nicht mehr in der Lage, Frieden zu halten und reihenweise zerbrechen unsere Beziehungen.

Zu der Zeit also, als Jesaja diese Worte dem Volk mitteilte, gab es den König Hiskia. Es heißt von ihm, dass er tat was dem Herrn wohl gefiel, ganz wie sein Vater David. Er war der Nachfolger von Ahas, der einen verderblichen Götzenkult in Juda einführte. Hiskia machte dies mit viel Einsatz wieder rückgängig. Er stellte wieder einen vollständigen Gottesdienst im Tempel her, wie Moses es geboten hatte und die jüdische Religion und Kultur erreichte einen neuen Höhepunkt. Er tat alles, was ein König nur tun konnte um den Jahwe Kult zu stärken. Aber offensichtlich war damit nicht wieder das Herz des Volkes Gott zugewendet worden. Wie sehr sich Hiskia auch bemüht hatte, dies war ihm nicht gelungen, denn sonst hätte es diese harte Botschaft nicht gegeben. Äußerlich war der Gottesdienst zwar wieder in Ordnung, wie schon lange nicht mehr. Aber Gott sah hinter die Kulissen und da war jeder gefangen in seiner eigenen Welt und interessierte sich überhaupt nicht für Gott.

Der Gottesdienstbesuch erfolgte aus Tradition. Eine Tradition, die man sicherlich liebte. Wilhelm Busch, der Vater aller Comiczeichner (Max und Moritz) hat den bürgerlichen Sonntag mit den Worten beschrieben: »Gern will man zur Kirche geh‘n, denn da singt man ja so schön.« Auf Gesang wurde in den christlichen Kirchen immer viel Wert gelegt. Und es scheint manchmal, je höher der künstlerische Wert des Kirchengesanges war, desto niedriger war der geistliche Stand des Kirchenvolkes. Auch in Israel war das so. Der Prophet Amos schrieb bereits vor der Zeit des Jesaja: (Amos 5. 21-23)
(21) Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. (22) Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so hab ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. (23) Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! (24) Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Wir wissen doch alle, was Gott wirklich von uns haben möchte. Unsere Lieder können uns begeistern und sie können uns ganz bestimmt auch in unserem Glaubensleben helfen, aber wenn wir mit unserem Herzen uns von Gott entfernt haben, dann werden uns diese Lieder zur Falle. Vielleicht täuschen wir uns selbst und meinen, Gott damit genauso zu erfreuen, wenn wir singen, wie wir uns erfreuen. Aber es ist dies eine folgenschwere Selbsttäuschung. Gott will Gemeinschaft mit uns, echte Herzensgemeinschaft. Er will, dass wir uns für seine Anliegen interessieren, nicht dass wir ihm dauernd die Ohren voll dröhnen.

Gott hat Anliegen? Wieso? Wir sind doch die mit den Anliegen, den Gebetsanliegen. Nein! Es geht um Gottes Anliegen. Der Bau seines Reiches ist noch lange nicht abgeschlossen. Recht und Gerechtigkeit sollen fließen wie Wasser, heißt es. Wo denn? In der Gesellschaft? Nein! Das ist völlig daneben. In der Gesellschaft wird es immer Ungerechtigkeit geben, das wissen wir aus dem prophetischen Wort. In der Gemeinde soll sich das ereignen, dass Menschen die Gerechtigkeit Gottes erkennen und in Christus heil werden. Hier soll sich ereignen, was so ganz nach dem Herzen Gottes ist, nämlich dass sich seine Kinder gegenseitig beistehen und dass sie Zeichen setzen in dieser Welt. Zeichen von seiner Kraft und Gnade, ob das »Gesellschaftsrelevant« ist oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Wenn die Gemeinde ist wie sie sein soll, werden Menschen zum Glauben kommen, wenn nicht, gibt es keine Bündnisse, die uns irgendwie nützen könnten, im Gegenteil, sie werden zum Verhängnis werden.

Ich muss euch ganz ehrlich sagen, ich hatte mit der Predigt am Gemeindetag etwas Probleme, obwohl ich diese Gedanken schon vorher kannte, weil ich das Buch des Predigers gelesen hatte. Wir haben uns nicht darum zu kümmern, ob die Gesellschaft unser Tun für relevant erachtet oder nicht. Wir haben eigentlich nur eine Aufgabe und die lautet: »Wir bitten an Christi statt, lasset Euch versöhnen mit Gott (2. Kor. 5:20)«. Und als Paulus diese Botschaft zwei Jahre lang in Ephesus verkündigt hatte, da empfanden das die Bürger von Ephesus so relevant für das Wohl ihrer Stadt dass sie ihn zum Tor hinaus jagten. Trotzdem hat Paulus an seiner Botschaft nichts geändert.

Wenn wir die Botschaft allerdings so verkündigen und zugleich leben, als hätten wir sie selbst nicht angenommen, indem wir rebellieren, neidisch sind und materialistisch leben, wie alle anderen Menschen auch, dann wird uns ganz einfach niemand glauben, ganz gleich, ob wir einen kulturellen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten oder nicht. Gott sucht die pure Gerechtigkeit und die menschliche Kultur war immer schon eher bereit, Gerechtigkeit zu relativieren und Sünde zu verharmlosen, als etwas zur Gerechtigkeit beizutragen. So ist die Natur des Menschen!

Der Prophet Hesekiel lebte, als Israel bereits in der babylonischen Gefangenschaft war. Er predigt damals in der Diaspora und das Volk strömte ihm zu, denn es war in der Fremde in eine Identitätskrise geraten. Nun war das natürlich sehr wichtig für das nationale Selbstbewusstsein im fremden Land und sie achteten den Propheten Hesekiel mehr als sie die Propheten in Jerusalem je geachtet hatten.

Einerseits ist es sehr tröstlich zu wissen, dass Gott auch mitten im Gericht einen Propheten sendet, der zum Volk spricht, und seine eigentliche Botschaft lautete (33:11):
So wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr: Ich habe kein Gefallen am Tod des Gottlosen, sondern daran, dass der Gottlose umkehre von seinem Weg und lebe! Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen! Warum wollt ihr sterben, o Haus Israel?
Aber im gleichen Kapitel sagt der Herr andererseits zu ihm: (Hes. 33. 30-33)
(30) »Du Mensch, die Leute aus deinem Volk reden über dich, wenn sie vor ihren Häusern beisammen stehen. Sie sagen zueinander: ,Wir wollen zum Propheten gehen und hören, was der Herr zu ihm gesagt hat!‘«
– Das ist doch wunderbar, Herr . Was könnte sich der Prophet mehr wünschen?–
(31) »Und dann kommen sie scharenweise zu dir, sitzen im Kreis um dich und hören, was du sagst;« 
– Das ist ja eine richtige Erweckung würden wir heute sagen, wenn die Leute so in Scharen zu einem Prediger strömen… Doch dann heißt es:
… aber sie nehmen dich nicht ernst, sie reden nur von dem was ihnen am Herzen liegt, nämlich von ihren Geschäften. (32) Wie eingängige Musik klingen ihnen deine Worte, aber sie denken nicht daran sie ernst zu nehmen.

Menschen kann man täuschen, aber Gott nicht. Das Volk war nur gekommen wegen eines sentimentalen Gefühls. Da war ein Prophet aus der Heimat, der sprach wieder von den alten Zeiten und davon wie schön es wieder sein wird, wenn Gott endlich den ersehnten Messias senden wird. Sie, die bereits mitten im Gericht standen, hatten sich aber noch nicht wieder Gott von Herzen zugewendet, sie nahmen ihn nicht ernst sondern redeten nur von ihren Geschäften. Deswegen haben sie auch Christus verpasst.

Wie ist das mit unseren Geschäften. Sind sie wichtiger als unser Leben mit Gott? Vielleicht haben wir wirklich Interesse an der Predigt, und wir lauschen jedes mal gespannt und andächtig. Aber wenn wir dann draußen sind? Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Gericht trifft meist nicht nur Einzelne. Im Volk Gottes, das vom Gericht getroffen wurde, gab es sicher auch damals welche, deren Herzen ungeteilt bei Gott waren und dennoch betraf es auch sie, das ganze Volk war in der babylonischen Gefangenschaft. Aber das ist nicht so schlimm. Denn wenn unser Herz im Glauben geborgen ist bei Gott, dann werden wir die Schicksalsschläge verkraften und Gott wird einen starken Trost für uns haben, der uns nicht verzweifeln lässt. Es wird uns auch im Himmel vergolten werden, wenn wir um seines Namens willen Unrecht erleiden, das wir nicht verursacht haben.

Aber dies ist natürlich die Zeit der Selbstprüfung. Wir wollen uns dafür Zeit nehmen. Es geht nicht darum, den Anderen zu erkennen, sondern sich selbst. Wenn wir dazu nicht mehr in der Lage sind, was soll uns dann noch aus Gottes Hand retten? Gott schenke Euch, dass ihr Euch an seiner Gnade erfreuen könnt und seine Gerichte an Euch vorbei gehen, wie einst als Israel in Ägypten weilte.
Amen.