Was Gott gefällt (die Jünger und die Schriftgelehrten)

Ich habe einmal eine E-Mail erhalten, darin stand folgendes: »…Sehr oft aber hatte ich unter Christen folgenden Eindruck: diese Gemeinschaft unter sogenannten Christen ist nicht das, von dem die Bibel berichtet. … ich meine damit, dass es mir sehr oft so vorkam wie ein Spiel mit dem Namen: wer weiß mehr – und jener ist dann der beste Christ. So ein Spiel erinnert aber an den Bibelvers: »Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber erbaut.« Aus diesen aufgeblähten Erkenntnissen sind dann viele Streitigkeiten über die richtige Lehre entstanden und die Liebe zueinander, durch die uns die Welt erkennen sollte, war nicht vorhanden oder ist verloren gegangen. Auch ich bin nicht unschuldig in dieser Sache!« Ich meine, dass diese kritische Analyse, die ja nicht nur mit dem Finger nur auf andere zeigt, sondern sich selbst auch mit einbezieht, durchaus zutreffend ist. Es gibt diese Spielchen unter den Christen und sehr oft wird biblische Lehre dazu missbraucht.

Aber der Sinn biblischer Lehre, wie auch Lehre überhaupt, ist es nicht, den Wissensstand zu vermehren, sondern denen, die lernen, soll ein taugliches Rüstzeug gegeben werden, mit dem sie ihren Alltag meistern können. Das ist im Leben eines Christen nicht anders, als im Berufsleben. Es geht immer um den Menschen und nicht eigentlich um Lehre als Selbstzweck.


Ich möchte heute einmal das Motiv hinterfragen, das hinter solchen Streitigkeiten steht. Und ich denke da geht es wohl sehr oft um die eigene Ehre. Zwar, wenn man fragt, erhält man die Antwort: »ich möchte nur tun, was Gott gefällt.« Aber im Grunde meint man doch, dass man dies besser tun möchte als andere. Man möchte Gott mehr gefallen als man meint, dass die Anderen es tun, und jeder denkt, so wie er dies versteht und praktiziert, müsste er von Gott die allerhöchste Anerkennung ausgesprochen bekommen. Dies Problem ist nicht neu, schon bei den Jüngern finden wir diesen Wettstreit, wer denn von ihnen der Größte sei, wem der Platz an Jesus Seite gebührt. Auch unter den ersten Christen in den ersten Gemeinden war dies so. Wer schon einmal die sieben Sendschreiben des Herrn Jesus in der Offenbarung gelesen hat, der weiß wie die ersten Gemeinden auch damit gerungen haben.

Gott gefallen zu wollen ist sicherlich grundsätzlich ein lobenswertes Ziel. Doch man muss dabei sehr vorsichtig sein. Denn Erstens kann es nicht darum gehen, in dieser Sache einen Konkurrenzkampf zu entwickeln, das würde doch dem Prinzip widersprechen, dass wir einander dienen sollen, ein jeder mit der Gabe, die er von Gott empfangen hat. Wir können also gar nicht als Einzelpersonen Gott gefallen, sondern erst im Zusammenspiel, im Funktionieren der Einheit des Leibes Christi können wir sagen, dass wir Gott gefallen. Das ist die Idee der Gemeinde, wie Jesus uns gelehrt hat.

Und Zweitens können wir uns, in dem was Gott wirklich gefällt, arg täuschen. Wie sehr das möglich ist, das wollen wir uns heute in unserem Predigttext in Matthäus 12:1-8 ansehen:

(1) Zu der Zeit ging Jesus durch ein Kornfeld am Sabbat; und seine Jünger waren hungrig und fingen an, Ähren auszuraufen und zu essen. (2) Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist. (3) Er aber sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als ihn und die bei ihm waren hungerte? (4) Wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die doch weder er noch die bei ihm waren essen durften, sondern allein die Priester? (5) Oder habt ihr nicht gelesen im Gesetz, wie die Priester am Sabbat im Tempel den Sabbat brechen und sind doch ohne Schuld? (6) Ich sage euch aber: Hier ist Größeres als der Tempel. (7) Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt (Hosea 6:6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt. (8) Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat.

Wir finden also hier Jesus, wie er mit den Jüngern durch ein Kornfeld geht. Heute ist man das ja nicht mehr so gewohnt, wie damals. Denn wir sind viel im Auto unterwegs, wenn wir durch die Landstraßen fahren und kommen kaum noch mit der Landwirtschaft in Berührung. Doch damals gingen die Straßen, die man meist zu Fuß durchwanderte, direkt durch bebaute Felder hindurch. Ich erinnere mich an meinen Schulweg, den ich auch noch auf einem Fußweg durch ein Feld zurücklegte und es kam auch damals noch vor, dass wir als Kinder die reifen Ähren abrissen und zwischen unseren Händen zerrieben. Das reife Korn konnte man ganz gut essen, es hatte einen sehr guten Geschmack. Nur erinnere ich mich auch, dass es eigentlich sehr mühsam war und ich kann mir schwer vorstellen, dass man auf diese Weise wirklich satt werden könnte, man müsste schon viel Zeit damit verbringen. Es gibt sicher bessere Methoden seinen Hunger zu stillen.

Doch wir lesen hier, dass die Jünger hungrig waren und deshalb nach den Ähren griffen. Wahrscheinlich dachten auch sie nicht, jetzt ihren Hunger stillen zu können, sondern betrachteten dies nur als eine notdürftige Überbrückung, ein kleiner Snack zur Beruhigung des knurrenden Magens, bis sie an einen Ort kämen, wo eine ergiebigere Malzeit zu bekommen war. Doch wie auch immer, jedenfalls wurde diese harmlose Tat zu einem Problem. Diejenigen, die es zum Problem machten sind altbekannte Leute. Die Pharisäer hatten bis dahin schon manchen Streit mit Jesus ausgefochten. Manchesmal scheint mir, dass der Streit mit den Pharisäern und Schriftgelehrten einen Hauptteil der ganzen Berichterstattung der Evangelien darstellt. Immer wieder finden wir diese Auseinandersetzungen. Dabei müssen wir nun erst einmal festhalten, dass die Schriftgelehrten allgemein und die Pharisäer, die ja eine religiöse Partei in Israel waren, ganz besonders, durchaus bestrebt waren, mit allem was sie lehrten und praktizierten, Gott zu gefallen. Es ging also genau um diese Art von Konflikt, von der ich am Anfang gesprochen habe.

Nun, wenn wir uns den Text genauer ansehen, entdecken wir, dass es in diesem Streit eine neue Qualität gab, bzw. dass die Art wie er ausgetragen wurde einen neuen Tiefpunkt erreicht hatte. Es ging nicht mehr darum, herauszufinden, was die Wahrheit ist und wer Recht hatte, sondern darum, dass sich die Pharisäer zu Richtern über die Jünger erhoben um Jesus und seine Jünger anzuprangern. Wie es scheint hatten die Pharisäer zu diesem Zweck einen regelrechten Spitzeldienst organisiert. Wie anders ist es zu erklären, dass sie das überhaupt sahen? Jesus war ja nicht auf einem Marktplatz und präsentierte sich öffentlich. Er war mit seinen Jüngern unterwegs, von einem Ort zum anderen, auf einer Straße zwischen hohen Getreidefeldern. Doch dabei wurde er anscheinend verfolgt und beobachtet. Der Sabbath mit seinen vielen Vorschriften bot einen besonderen Anlass dafür, jemanden ein Fehlverhalten nachweisen zu können, und genau darum ging es auch.

»Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbath nicht erlaubt ist!«
Ob den Jüngern die Körner im Halse stecken geblieben sind, als sie das hörten? Jedenfalls ist anzunehmen, dass sie an nichts Böses dachten, als sie die Ähren abgerissen hatten. Dennoch wurden sie zurechtgewiesen. War dies gerechtfertigt? Um was ging es eigentlich bei dieser Frage? Wir finden das Sabbatgebot in der Heiligen Schrift im Alten Testament ziemlich genau definiert. Generell durften die Israeliten keine Arbeit an diesem Tag verrichten. Doch an einer Stelle in 2. Mose 12:16 steht auch: »Keinerlei Arbeit darf an diesem Tage verrichtet werden; nur was einer zum essen nötig hat, das alleine darf von euch zubereitet werden.«
Dies ist eigentlich eine ganz klare Aussage, nach der man sich fragt, was die Pharisäer eigentlich wollten. Doch so einfach ist das nicht. Die Schriftgelehrten hatten nämlich in ihren eigenen schriftlichen Kommentaren zum Alten Testament ziemlich genau festgelegt, was am Sabbat getan werden durfte und was nicht. Es gab dazu 39 allgemeine Regeln. Anscheinend war dabei irgendwo auch das Ährenausraufen nicht als Stillen des Hungers definiert worden, sondern eher als eine Erntearbeit, und die war eben nicht erlaubt.

Es galt auch im Gesetz, dass der Rand eines Kornfeldes den Armen vorbehalten sein sollte, sie durften davon essen, nur durften sie nichts in einem Gefäß oder einer Tasche mitnehmen, das wäre Diebstahl gewesen (5.Mose 23:25-26). Nun war es aber eine Streitfrage, ob dies nun als Stillen des Hungers gewertet werden sollte, oder ob es sich dabei um eine Ernte handelte, die am Sabbat eben nicht erlaubt war, Hunger hin oder her. Obwohl dazu nichts Eindeutiges in der Schrift gesagt wird, war die Position der Pharisäer anscheinend ganz klar: Es ist ein Erntevorgang und darf so nicht geschehen, es ist ein Verstoß gegen das Gesetz.

Was gefällt Gott wirklich?

Das ist die Frage, die wir uns ja heute gestellt haben. Ist es die Erfüllung des Gesetzes auf Punkt und Komma, wie dies die religiösen Führer des Judentums zur Zeit Jesu forderten? Oder gab es da noch andere Kriterien zu berücksichtigen?

Das Beispiel Davids

Jesus antwortet nun auf diese Frage indem er eigentlich die Schwächen des Gesetzes aufzeigt. Zunächst einmal in einem Beispiel aus der biblischen Geschichte. Wir finden sie in 1. Samuel 21 und sie spielt in einer sehr kritischen Zeit der Geschichte Israels: Als nämlich der König Saul von Gott bereits abberufen worden war, er aber den Thron nicht räumen wollte, für den neuen von Gott gesalbten König David. David musste damals sogar vor Saul flüchten, weil dieser ihm nach dem Leben trachtete, und auf dieser Flucht kommt er nun nach Nob, das war damals die Stadt in der die Priester ihren Dienst verrichteten. David hatte nun nicht wie die Jünger nur ein kleines Hungerproblem, sondern ein großes. Er brauchte dringend Verpflegung für sich und seine Männer, und da der Priester Ahimelech nichts anderes hatte, als die gottesdienstlichen Schaubrote, die eigentlich nur die Priester essen durften, gab er sie ausnahmsweise aus der Hand und half so David in seiner Not.

Was wir hier lesen ist das, was man einen ethischen Konflikt nennt, in den der Priester hineingeriet. Er musste eine Entscheidung treffen, zwischen zwei Dingen. Auf der einen Seite stand das Gesetz mit seiner Forderung auf Erfüllung, dem er verpflichtet war, aber auf der anderen Seite stand ein Mensch in einer Notlage, dem er nicht anders helfen konnte, als durch das Brechen gerade dieses Gesetzes. Der Priester entschied sich nun, nachdem er sich die Sachlage genau hatte schildern lassen, gegen das Gesetz. Denn es gibt ein wichtiges Prinzip, das da lautet, dass in einem ethischen Konflikt das höherwertige Gut zu schützen ist. Als höherwertig betrachtete er aber das Leben Davids und seiner Männer und nicht das Gesetz. Und Jesus bestätigt hiermit die Richtigkeit des Verhaltens des Priesters.

Soweit so gut. Damit war nun geklärt, dass man das Gesetz unter bestimmten Umständen doch würde brechen können. Aber war diese Notwendigkeit bei den Jüngern auch so gegeben, wie bei David? Diese Frage war noch offen. Denn der Hunger der Jünger war zwar da, aber eine ausgesprochene Gefahr für Leib und Leben war sicherlich nicht gegeben. Man befand sich nicht auf der Flucht. Man wechselte nur den Ort des Aufenthaltes und selbst bei einem mehrstündigen Marsch konnte man durchaus verlangen, dass der Hunger einfach ausgehalten wird, bis man in einer Herberge angelangt ist und dort darf man sich ja dann ein Essen zubereiten. Bis dahin könnte man ja auch Fasten, das ist ja schließlich auch eine Tugend.

Das Beispiel der Priester im Tempel

Aber Jesus nimmt auch diesem Argument den Wind aus den Segeln, und zwar mit einem überraschenden Gegenargument. Er erinnert nämlich an die vielen Tätigkeiten der Priester im Tempel, die von der Sabbatruhe ausgenommen waren, denn sonst wäre ja der Gottesdienst zum Erliegen gekommen und das konnte ja gerade am Sabbat keinen Sinn ergeben. Bei den vielen Opferungen, die da ausgeführt wurden, war nämlich ziemlich viel handfeste Arbeit notwendig.

Wenn nun auch jede Tätigkeit verboten war, dann galt das ganz bestimmt nicht für eine auf den Betrieb des Gottesdienstes gerichtete Arbeit, da würden die Pharisäer ihm doch zustimmen. Aber jetzt bezieht Jesus das auf sich indem er sagt: »Hier aber ist Größeres als der Tempel!« Damit nimmt er seine Jünger in Schutz und sagt nichts anderes als: »Wenn diese hier bei mir sind und mir dienen, dann stehen sie nicht mehr länger unter diesem Gesetz. Denn der mit dem sie sind, ist größer als der Tempel und somit stehen seine Jünger in einem höheren Dienst, der sie ebenfalls vom Sabbatgebot ausnimmt.« Außerdem ist der Menschensohn, also Christus, der Herr über den Sabbat. Wenn also jemand das Recht gehabt hätte, das Sabbatverhalten der Jünger Jesu zu kritisieren, dann der Herr selbst, er tat es aber nicht, also hatten auch die Schriftgelehrten kein Recht dazu, die doch nur Diener und nicht Herren des Sabbatgebotes waren. Daher kritisiert Jesus die Pharisäer mit einem Zitat des Propheten Hosea in Vers 7: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ „Wenn sie diese Stelle im alten Testament wirklich verstanden hätten“, dann hätten sie, wie Jesus es ihnen sagte: „ … die Unschuldigen nicht verdammt.“

Barmherzigkeit steht über dem Gesetz

Da haben wir es also. Was Gott wirklich gefällt ist eigentlich klar. Doch weil die Menschen es nicht verstehen, darum streiten sie und beschuldigen sich gegenseitig immer wieder aufs Neue. Ist das nicht traurig? Die Erfüllung des Gesetzes, das man noch dazu selber interpretiert, steht über der Tugend der Barmherzigkeit und dadurch wird sogar ein Opfer wertlos. Es wird Gott nicht gefallen, auch wenn man sich noch so sehr an das Gesetz hält. Das ist die Konsequenz, das sollte uns unser Bibeltext heute bewusst machen.

Menschen die zur Gesetzlichkeit, oder theologisch gesagt zum Dogmatismus neigen – Denn wir wissen ja, dass wir nicht unter dem mosaischen Gesetz stehen, aber wir fühlen uns gewissen theologischen Dogmen verpflichtet und die sind uns mindestens genauso wichtig wie den Juden ihr Gesetz wichtig war – Menschen die also dazu neigen, halten sich nach folgender Prämisse, die ich einmal in einer Predigt genau so gehört habe: »Wenn Du einem Abgrund entlang gehst, dann ist nicht die Frage, wie nahe darf ich an diesen Abgrund herantreten, damit ich nicht hineinfalle, sondern ich halte mich von diesem Abgrund sicherheitshalber so weit wie nur irgend möglich entfernt, damit ich gar nicht erst hineinfallen kann.«

Das erscheint sehr einleuchtend zu sein, bis zu jenem Tag, an dem man erkennt, dass an diesem Abgrund Menschen hängen. Nun haben wir ihn wieder, diesen ethischen Konflikt. Wie nahe darf ich jetzt rangehen, um diesen Menschen zu helfen? lautet nun die Frage. »Nur zu« sagt uns das Wort Gottes, »geh ran, Glaube ist Risiko!«. Was ist das für ein Glaube, der immer auf Nummer sicher geht, ängstlich besorgt, nur ja immer das Richtige zu tun, um Gott zu gefallen, selbst dann, wenn man dadurch an der Not eines Menschen vorbei gehen müsste? Klar laufen wir theoretisch in Gefahr selbst in den Abgrund zu stürzen, wenn wir uns engagieren. Doch ist das Leben das der Herr von uns fordert nicht ohnehin eine Gratwanderung? Und liegt nicht die Verheißung darauf, dass wir nicht stürzen werden, sondern dass er uns halten wird, wenn wir in seiner Liebe bleiben?

Das Gesetz oder das Dogma erscheint uns manchesmal als eine willkommen Stütze, das uns Sicherheit gibt und uns davor bewahrt im Glauben Schiffbruch zu erleiden. Doch es ist eine trügerische Stütze. Es ist wie bei Israel, das sich mit Ägypten verbündete, als die Macht der Assyrer im Norden immer größer wurde. Der Bund mit Ägypten vermittelte den Juden ein Gefühl der Sicherheit. Doch es war ein trügerische Sicherheit und Ägypten wurde von den Propheten als der Rohrstab bezeichnet der jedem, der sich auf ihn stützt, zerbricht und die Hand durchbohrt. Ein schreckliches Bild, für mich gilt das irgendwie auch für das Gesetz, wenn man sich darauf verlässt. Israel hätte besser getan zu glauben und allein zu bleiben, wie der Stammvater Abraham es getan hatte, in den Jahren seiner Wanderschaft. Und wir sollten auch glauben anstatt uns nur auf ein Gesetz zu verlassen.

Die Bedeutung des Gesetzes:

Wir wollen uns nun auch noch ansehen, was die richtige Bedeutung des Gesetzes ist. Denn es ist ja von Gott gegeben und zwar nicht dafür, dass wir es missachten. Der Missbrauch einer Sache darf ja nicht dazu führen, sie gar nicht mehr zu gebrauchen, sondern dazu, sie richtig zu gebrauchen.

Dazu möchte ich noch 1. Tim. 1:3-11 lesen:
(3) Du weißt, wie ich dich ermahnt habe, in Ephesus zu bleiben, als ich nach Mazedonien zog, und einigen zu gebieten, dass sie nicht anders lehren, (4) auch nicht Acht haben auf die Fabeln und Geschlechtsregister, die kein Ende haben und eher Fragen aufbringen, als dass sie dem Ratschluss Gottes im Glauben dienen. (5) Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben. (6) Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnützem Geschwätz, (7) wollen die Schrift meistern und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten. (8) Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn es jemand recht gebraucht, (9) weil er weiß, dass dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, sondern den Ungerechten und Ungehorsamen, den Gottlosen und Sündern, den Unheiligen und Ungeistlichen, den Vatermördern und Muttermördern, den Totschlägern, (10) den Unzüchtigen, den Knabenschändern, den Menschenhändlern, den Lügnern, den Meineidigen und wenn noch etwas anderes der heilsamen Lehre zuwider ist, (11) nach dem Evangelium von der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut ist.

Nun haben wir hier die hochoffizielle Stellungnahme des Apostel Paulus zum Thema Gesetz, die er seinem Schüler Timotheus übermittelt. Das Gesetz ist gut, nur muss man es recht gebrauchen und darf eines nicht vergessen: »nicht dem Gerechten gilt das Gesetz, sondern dem Ungerechten!« Ja Paulus geht sogar einen Schritt weiter. In dem kleinen Wörtchen »kein« (9) steckt die ganze Kraft dieses Verses. Denn hier geht es nicht nur um das Gesetz des Moses, sondern überhaupt und generell um irgendein Gesetz. »Kein Gesetz gegeben«, das heißt: es gibt keine Vorschriften, es gelten keine verbindlichen Regeln, keine Zäune, keine Stäbe auf die man sich stützen kann, nichts für den Gerechten.

Das ist eine ziemlich revolutionäre Aussage und wir müssen uns gut überlegen, was wir mit ihr machen. Zunächst einmal aber wollen wir erfassen, für wen denn dann das Gesetz gilt, wenn nicht für den Gerechten. Da listet Paulus eine ganze Anzahl von Vergehen auf, die als Beispiel von Ungerechtigkeit dienen, also dem Gegenteil von Gerechtigkeit. Das erhellt die Sache gleich sehr. Denn nun ist es einleuchtend wovon Paulus spricht. Das Gesetz identifiziert den Ungerechten in seiner vielfältigen Erscheinung, als Ungehorsamen, als Gottlosen, als Totschläger, als Unzüchtigen usw, die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden, und all das was man aufzählen könnte wiederspräche auch der heilsamen Lehre des Evangeliums, wie es Paulus formuliert. Die Notwendigkeit des Heils wird durch diesen Auf¬deckungs-Charakter des Gesetzes geradezu greifbar, und das ist auch die eigentliche Aufgabe des Gesetzes. Deshalb ist es auch für den Gerechten gar nicht geeignet. Denn wenn einer all das nicht ist, ist damit noch lange nicht gesagt, was er denn nun wirklich sein soll, in seiner Gerechtigkeit, worin seine Gerechtigkeit besteht und wie er zu ihr gekommen ist.

Ich will versuchen das an einem Beispiel aus der Technik zu erklären. Wenn ein elektrisches Gerät kaputt ist, dann gibt es Messgeräte, mit denen kann man herausfinden, wo genau der Fehler liegt. Ein erfahrener Fachmann der damit umgehen kann findet ihn schließlich. Nun ist damit aber die Arbeit noch nicht getan, denn es gilt ja das Gerät zu reparieren und dazu ist das Messgerät nun überhaupt kein geeignetes Werkzeug mehr. Wenn jemand versuchen würde, es dazu zu missbrauchen, der würde nicht sehr weit kommen.

Doch im Geistlichen geschieht genau das. Das Gesetz – das uns eigentlich nur gegeben worden ist, um unsere Ungerechtigkeit zu identifizieren, also uns zu sagen, dass wir nicht mehr richtig funktionieren und der Fehler zweifellos bei uns liegt – diese Gesetz wird nun dafür verwendet, um ein gottgefälliges Leben führen zu wollen, wozu es aber nie gedacht war. Der Versuch durch Vorschriften – scheinbar raffiniert ausgeklügelten Verhaltensregeln, die bis ins Detail alles vorgeben, was wir sagen, glauben, denken und tun sollen – Gerechtigkeit zu erlangen und Gott zu gefallen, ist genau so unsinnig, wie der Versuch ein Gerät mittels eines Messinstrumentes zu reparieren. Natürlich brauchen wir das Messinstrument immer wieder einmal, um herauszufinden, wo genau es hakt. Doch was wir dann brauchen ist ein anderes Werkzeug und das finden wir in Vers 5 beschrieben: »Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen, aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben.«

Wie funktioniert der Gerechte?

Die falsche Unterweisung liegt darin, dass ein Gesetz oder die eigene Dogmatik weitergegeben wird, und daraus feste Verhaltensnormen entwickelt werden. Dieser Streit um Buchstaben und Worte ist aber endlos und verschleiert nur den Ratschluss Gottes. Gerade in der heutigen Zeit finden wir einen gewissen Überdruss an biblischer Unterweisung, der genau daher kommt, dass man lange Zeit solchen gesetzlich strukturierten Unterweisungen gefolgt ist und sich dann enttäuscht wieder abgewendet hat. Was bleibt, ist dann ein individueller Mystizismus, der jeder Fähigkeit entbehrt, sich in den Leib Christi als funktionierendes Glied einzufügen, wenn man sich nicht ohnehin ganz vom Glauben abgewendet hat. Wir sollten klar erkennen: die Antwort liegt nicht darin, nun keine Unterweisung mehr zu suchen, sondern die richtige Unterweisung oder Lehre, die nämlich einzig und allein die Liebe zum Ziel hat. „Die Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungefärbtem Glauben.“ Wenn wir diese Liebe haben, brauchen wir das Gesetz nicht, weil wir funktionieren. Was heißt das nun konkret?

Das reine Herz ist die Vorraussetzung. Dazu kommen wir ja zu unserem Herrn und Heiland Jesus Christus, dass er unsere Herzen reinigt von der Sünde. Mit dem reinen Herzen einher geht auch das gute Gewissen. Es ist eine Instanz in uns, die darüber wacht, dass das Herz auch rein bleibt. Noch bevor wir sündigen, mahnt es uns schon zur Besonnenheit in unseren Taten, damit wir nichts Falsches tun. Wir tun gut daran, sehr genau auf unser Gewissen zu achten. Unser Gewissen hat nichts mit Gesetzlichkeit zu tun. Erst wenn wir unser Gewissen als allgemeinverbindlich erklären, werden wir gesetzlich, weil wir es dann meistens einem Gesetz unterworfen haben.

Und das dritte ist der ungefärbte Glaube. Ungefärbt heißt ungeheuchelt. Wir sollten uns nicht die Glaubenshelden spielen, wenn wir keine sind. Jesus verlangt von uns nur den Glauben, der so groß ist wie ein Senfkorn, dann werden wir schon alles erreichen, was uns Gott zugedacht hat. Selbst wenn dazwischen Berge stünden – Gott wird sie versetzen!
Ein geheuchelter Glaube ist vor allem dann gegeben, wenn man sich nicht auf Christus verlässt, sondern eben auf ein Gesetz oder eine bestimmte Dogmatik. Das lässt den Glauben schwinden, obwohl dies nach aussen nicht gleich sichtbar ist. Denn man kennt ja die Anforderungen der christlichen Gemeinschaft genau und man kann das alles auch heucheln. Freude, Liebe ja selbst Demut lässt sich heucheln. Gesetzliche Menschen haben sehr gut begriffen wie das geht. Doch das ist es nicht, was Gott will und die Heuchelei wird spätestens im Versagen deutlich, wenn es dann nämlich um echte Anforderungen von Liebe und Barmherzigkeit geht, wie unsere Geschichte mit den Jüngern im Ährenfeld und den Pharisäern gezeigt hat. Da versagt der Gesetzesmensch, wie das übrigens auch beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter anklingt.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal herausstreichen: es ist dem Gerechten kein Gesetz gegeben. Wir sollen uns daran halten und uns in unserem Bemühen Gott zu gefallen daher viel mehr an der Liebe orientieren. Das meine ich auch im Bezug auf die Auslegung des neuen Testamentes. Es gibt viele Aussagen zu vielen Themen in der Schrift. Wenn wir gesetzlich agieren, dann werden wir, dem Buchstaben verhaftet, uns in viele theologische Auseinandersetzungen und Grundsatzdebatten verfangen, so als ob das neue Testament wieder ein Gesetz darlegt und nicht vielmehr Wege aufzeigt, wie wir durch tätige Liebe Menschen gewinnen können.

Sicherlich müssen wir jede einzelne Aussage in der Schrift ernst nehmen und sie auch miteinander vergleichen. Doch sind das nicht Gesetze, sondern hilfreiche Prinzipien, die uns da begegnen und die dazu da sind, der ganzen Gemeinde und jedem einzelnen Gläubigen die Möglichkeit zu geben, sich in der Liebe Christi voll zu entfalten, mit allen von Gott geschenkten Gaben und Möglichkeiten die vorhanden sind.

Das ist der Geist des Wortes, der lebendig macht. Möge der Herr schenken, dass wir diesen erfassen. Denn der Buchstabe alleine tötet, selbst wenn es der Buchstabe aus der Heiligen Schrift ist. Wie Christus selbst, ist auch das Wort Gottes ein Stein des Anstoßes. Wir können in ihm das Leben finden, aber auch den Tod, das sollten wir zutiefst bedenken.

In Gesetzlichkeit hinein zu geraten ist ziemlich leicht und es waren, wie ich auch aufgezeigt habe, nicht nur die Pharisäer davon betroffen, sondern auch die Jünger und die ersten Gemeinden. Wie kommt das? Es ist eigentlich so eine Art Rückzugsgefecht. Ich denke, dass man im Glaubensleben, wenn die Bekehrung echt war, immer mit der ersten Liebe beginnt. Doch dann stößt man auf Schwierigkeiten und man merkt, dass nicht alles so läuft, wie man sich das vorgestellt hat. Und anstatt in der Liebe noch offensiver zu reagieren, zieht man sich zurück auf ein vermeintlich abgesichertes Terrain – überschaubar und für einen selbst leistbar – und schon ist man in der Gesetzlichkeit. Man hinterfragt nicht mehr, man stellt sich auch selbst nicht mehr in Frage, und so besteht auch keine Chance zu einer Rückkehr zur ersten Liebe. Aber das können wir überwinden, wenn wir uns neu öffnen für den Geist Gottes, der uns in der Liebe immer wieder neue Wege zeigen möchte.

Dieses Thema ist damit natürlich noch lange nicht ausgereizt. Ich verweise auf meine 5 weiteren Predigten zum Thema Gesetz auf dieser Website (soweit sie schon veröffentlicht sind).

Gott schenke, dass wir das Leben in seiner ganzen Fülle haben. Amen!