10. Alles zur Erbauung (1.Kor. 14:1-20)

1. Kor. 14:1 beginnt mit den Worten: »Strebt nach der Liebe, doch bemüht euch auch eifrig um die Geisteswirkungen; am meisten aber, daß ihr weissagt!« In meinen letzten Predigten haben wir gesehen, wie Paulus in 1. Kor. 13 ausführt, dass es außer den »Geisteswirkungen« oder wie manche sagen »Geistesgaben«, etwas noch besseres gibt, das er den vorzüglicheren Weg nennt. Also das, was dem Gebrauch der Geistesgaben vorzuziehen ist, und das ist die Liebe, danach sollen wir streben. Denn ohne die Liebe ist alles andere nichts wert. Erst wenn wir sie haben, können wir uns auch um alles andere bemühen.

 

Denn eines ist klar, dass die Liebe nicht als Alternative zu den Geistesgaben zu verstehen ist, sondern als Grundlage für die Möglichkeit der Geisteswirkungen in unserem Leben. Was meine ich damit? Wie wir auch in der ganzen Predigtserie gesehen haben, besteht hinsichtlich der Begriffe eine ziemliche Verwirrung: Wir sprechen von Geistesgaben und meinen Gnadengaben (Charisma), die uns vom Geist Gottes gegeben sind. Die Bibel spricht nirgends von Geistesgaben und hier in 1. Kor. 12-14 noch nicht einmal von Gnadengaben, sondern Paulus verwendet hier einen anderen Terminus, er spricht von Geisteswirkungen (Pneumatikos). Nun wissen wir aber auch, dass nach Galater 5:22 die Liebe eine Frucht des Heiligen Geistes ist. »Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung.« Wie wir gesehen haben, wird die Liebe in 1. Kor. 13 genau so definiert, wie die Früchte des Geistes insgesamt. Wir könnten das also in Gal.5:22 durch eine Interpunktion verdeutlichen, dass dies das Gleiche ist wie in 1. Kor. 13:4-7
»Die Frucht des Geistes aber ist Liebe: Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung

Daher können wir die Liebe auch als die erste und vorzuziehende Geisteswirkung bezeichnen, die sich in unserer aller Leben zeigen soll. Wir haben also nicht Geistesgaben, mit denen wir machen können was wir wollen, sondern wir sprechen in unserem Leben von Wirkungen des Geistes, und die erste Geisteswirkung muss die Liebe sein, sonst wären alle anderen Geisteswirkungen sinnlos. Das war die Grundaussage von 1. Kor. 13.

Wenn jedoch die Liebe da ist, besteht Grund zur Hoffnung, dass es auch zu weiteren, teils sogar spektakulären Geisteswirkungen in unserem Leben kommen kann. Dies sollen wir auch anstreben, wir sollen uns, im Stande der Liebe, eifrig darum bemühen, dass es zu Geisteswirkungen kommt, denn sie sind das, womit der Geist den Leib Christi aufbaut. Erinnern wir uns an Kapitel 12, wo Paulus das genau erläutert hat: Was tut der Heilige Geist? Er wirkt in jedem Menschen auf besondere Art und Weise. Jeder hat sein eigenes Charisma, das ihm seinen Platz am Leib Christi zuweist, sowie die Glieder eines Leibes ihren Platz und ihre Bedeutung haben. Dabei haben wir gesehen, dass es bei weitem nicht nur spektakuläre Geisteswirkungen gibt, sondern das auch das, was uns ganz banal anmutet, vom Geist Gottes gewirkt sein kann. Das Dienen, Geben, leiten usw. Es gibt keinen Vorzug in dem was der Geist in dem Einen oder dem Anderen wirkt, da es ja der Geist ist und immer nur er, der es tut. Wenn es aber er ist, der mich dazu bewegt, dem anderen »ein Glas Wasser zu reichen, um des Namens Christi willen«, wie Jesus das vorausgesagt hat, dann ist das genauso eine Geisteswirkung, wie das was Petrus getan hat, als er den Gelähmten vor den Toren des Tempels heilte (Apg. 3). Aus der Sicht Gottes ist es das Gleiche und die Sicht Gottes ist ja die einzig relevante.

Oder meinen wir, es wäre für Gott schwerer einen Gelähmten zu heilen, als uns dazu zu bewegen, einem anderen ein Glas Wasser zu reichen? Wenn überhaupt es einen Unterschied macht, dann scheint mir, wäre es für Gott eher ein Problem, uns zum Dienen zu bewegen, als dazu, dass wir uns von ihm gebrauchen lassen einen Kranken zu heilen, da er doch unseren Willen respektiert und wann sind wir von Natur aus schon mal bereit zu dienen? Also ist das eine wie das andere ein Wunder. Wenn wir also hier lesen, dass wir uns um Geisteswirkungen in unserem Leben und in der Gemeinde bemühen sollen, dann müssen wir schon das ganze Spektrum der Gnadengaben im Auge behalten und dürfen uns nicht von einzelnen spektakuläre Gaben verzaubern lassen, wie das bei den Korinthern offensichtlich der Fall war.

Denn nun kommt Paulus zu dem Hauptproblem, um das es ja in den Kapiteln 12 bis 14 und in unserer Predigtserie geht. Das ist das Problem des Gebrauchs der Gnadengaben in Korinth. Denn wie wir nun erfahren, war es vor allem eine spezielle Gabe, die in dieser Gemeinde besonders geachtet und gebraucht wurde. Lesen wir dazu die ersten 5 Verse in 1. Kor. 14, die das Problem beschreiben.

Das Problem

(2) Denn wer in Sprachen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht es, sondern er redet Geheimnisse im Geist. (3) Wer aber weissagt, der redet für Menschen zur Erbauung, zur Ermahnung und zum Trost. (4) Wer in einer Sprache redet, erbaut sich selbst; wer aber weissagt, erbaut die Gemeinde. (5) Ich wünschte, daß ihr alle in Sprachen reden würdet, noch viel mehr aber, daß ihr weissagen würdet. Denn wer weissagt, ist größer, als wer in Sprachen redet; es sei denn, daß er es auslegt, damit die Gemeinde Erbauung empfängt.

Worum geht es? Eigentlich hier nur um zwei Geisteswirkungen, die in ihrer Art gegenübergestellt werden, die Weissagung und die Sprachenrede oder Zungenrede, wie sie auch genannt wird. Es ist an der Zeit, die Gabe der Zungenrede näher zu definieren. Die Weissagung haben wir schon definiert, es ist das Gleiche, was wir schon in 1. Kor. 12.28 unter dem Stichwort Prophetie erläutert haben. Es könnte in V 5b auch übersetzt sein: »wer aber prophezeit, ist größer als wer in Sprachen redet.«

In der 6. Predigt habe ich die Funktion des Propheten beschrieben als einen, der Gottes Wort direkt vermittelt. Was aber bedeutet die Zungenrede? Im griechischen ist der Wortsinn genauso verwirrend wie in unseren deutschen Übersetzungen, weil das hier verwendete Wort »Glossa« genauso für Zunge wie für Sprache steht. Diese Doppelbedeutung gibt es aber in unserer Sprache nicht, deshalb haben wir in einigen Übersetzungen »Zungenrede« und in anderen »Sprachenrede« stehen. Wovon aber ist wirklich die Rede? Von einem Lallen der Zunge, wie der theologische Fachbegriff der »Glossolalie« suggeriert, der für das Zungenrede gebräuchlich geworden ist? (laleô = sprechen, reden) Was sprachen die Leute damals, stammelten oder stöhnten sie unartikuliert, wie manche meinen, oder sprachen sie normale Fremdsprachen, wie sie auf irgendeinem Teil der Erde gesprochen wurden? Das Wort selber lässt beide Deutungen zu. Sowohl Gestammel, als auch Sprache, nur mit »heteroglossa« oder »xenoglossa« wäre eindeutig eine Fremdsprache gemeint. Wenn wir aber wissen wollen, was tatsächlich gesprochen wurde, müssen wir in die Apostelgeschichte blicken, wo diese Gabe zum ersten mal gleich beim Pfingstereignis auftrat (Apg. 2).

Wir wissen ja und haben es exakt berichtet, wie der Geist Gottes in Form von Zungen aus Feuer (auch hier wird das Wort »Glossa« verwendet), auf die versammelte Schar der Jünger fiel. Was dann passierte war äußerst merkwürdig. Die Jünger begannen auf einmal zu den Menschen zu sprechen und zwar in Sprachen, die sie überhaupt nicht kannten. Zu Pfingsten war ja Jerusalem überfüllt mit Menschen jüdischen Glaubens aus allen Ländern der antiken Welt, Juden und Judengenossen werden sie genannt. Sie waren zum Fest gekommen und was sie von den aus Galiläa stammenden Jüngern erwartet hätten, wäre ein aramäischer Dialekt gewesen, der damals von Jesus und seinen Jüngern gesprochen wurde. Höchstens noch hebräisch wäre von ihnen zu erwarten gewesen, und einige wenige waren vielleicht auch des griechischen mächtig. Doch die Jünger sprachen die Menschen in ihrer eigenen Muttersprache an: den Meder, den Ägypter, den Kappadozier, den Phygier usw. Das war das eigentlich Pfingstwunder, das die Leute die gekommen waren damals öffentlich wahrnahmen. Von den Feuerzungen hatten sie ja nichts gesehen, denn da waren die Jünger noch unter sich an einem Ort versammelt. Das Brausen aber hatte die Menschen angelockt. Nemen wir mal an, das Haus oder Grundstück wo die Jünger zusammen waren war zentral gelegen, dann hörte man, dass da was los war und ging hin. Was man vorfand war eine Gruppe von etwa 120 (Apg. 1:15) durcheinander sprechenden Menschen. Das Ereignis war natürlich spektakulär. Es war die erste öffentlich-sichtbare spektakuläre Geisteswirkung die von den Jüngern ausgegangen war. Sie konnten diese Sprache sprechen, die sie nie zuvor gelernt, vielleicht noch nicht einmal gehört hatten.

Das zeigt uns nun, dass es sich um tatsächliche Sprachen der Menschen handelt und nicht um wirres Gelalle. Das Missverständnis entstand nur, weil sich dieses zeitgleiche durcheinander von Stimmen und Sprachen aus dem Munde von einfachen Galiläern, die ja an ihrer Kleidung als solche erkannt wurden, so anhörte, als wäre es sinnloses Zeug was sie sprachen. Aber es stellte sich bald heraus, dass dies nicht so war, denn die Menschen die sie verstanden, machten darauf aufmerksam, dass sie in ihren Sprachen redeten. Einige aber wollten das nicht akzeptieren und spotteten trotzdem, die Jünger wären betrunken.

Nun ergriff Petrus das Wort und was er sagte, war eine Botschaft für die Juden, nun aber in der damals ortsüblichen aramäischen Sprache, nicht in einer Fremdsprache. Er erklärt nun das Ereignis indem er den Propheten Jeol (3:1-5) zitierte, wonach Gott seinen Geist auf alle Menschen ausgießt und deren Söhne und Töchter weissagen werden. Von der Sprachenrede ist zwar in diesem Text nicht die Rede, aber deutlich sagt Petrus, dass es das ist, was sie eben erlebt haben. Also wird auch hier schon klar, dass es sich bei der Sprachengabe um sinnvolle Worte handelt, die sogar Weissagungen darstellen, wenngleich in einer fremden Sprache, die den Juden nicht zugänglich war.

Die Tatsache aber, dass diese Weissagungen in fremden Sprachen erfolgte, war für sich eine klare Botschaft, denn die Propheten sprachen normalerweise in der Sprache des jüdischen Volkes. Die meisten hatten hebräisch geweissagt, nur die späteren Propheten, einschließlich der zur Zeit Jesu lebenden, redeten aramäisch, weil das hebräische seit den Tagen der babylonischen Gefangenschaft bereits eine tote Sprache war – die Sprache des Alten Testamentes. Wenn nun also Gottes Wort nicht mehr hebräisch oder wenigstens aramäisch geweissagt wurde, sondern in den vielen verschiedenen Sprachen der Heiden, dann war etwas außerordentliches geschehen: Gott hatte sich den Heiden zugewendet. Das war das eigentlich Aufregende zu Pfingsten. Mehr ist da gar nicht passiert, aber für die schriftkundigen Juden war es wie ein gewaltiges Erdbeben. Denn sie wussten dass die Zuwendung Gottes zu den Heiden bedeuten würde, dass er sich auch gleichzeitig von seinem Volkes Israel abwenden würde . Petrus nimmt auch in seiner Predigt darauf Bezug darauf und begründet das damit, dass Jesus in Jerusalem gekreuzigt worden war, doch, wie er auch betonte, Gott ließ ihn auferstehen und in den Himmel auffahren.

Diese erste Verkündigung des Evangeliums wurde also zeichenhaft dadurch unterstrichen, dass die Jünger die Sprachen der Heiden sprechen konnten. Das war ein deutlicher Beweis dafür, dass dieses Evangelium für die ganze Welt bestimmt war, wie es dann ja auch in der ganzen Welt verkündet wurde. Einer dieser Gemeinden die dadurch entstanden sind, war die Gemeinde in Korinth und wir lesen, dass es die Gabe der Zungenrede – also dass Menschen in Sprache sprechen konnten, die sie nie gelernt hatten – immer noch gab und dass diese Gabe, weil sie so spektakulär war, sehr begehrt und geachtet war.

Es sieht so aus, als wäre der Gemeindealltag weitgehende davon bestimmt gewesen, dass Menschen dies Gabe auslebten und in der Gemeinde plötzlich wie zu Pfingsten viele verschiedene Sprachen gesprochen wurden, die aber kaum jemand verstand. Das bewirkte natürlich ziemlich chaotische Versammlungen und so betont nun Paulus in seinem Brief, dass das nicht sein soll. Die Zungenrede sollte zugunsten der Weissagung, also der direkten Prophetie in der Sprache, die von den Korinthern gesprochen wurde (das war natürlich griechisch) zurücktreten. In den folgenden Versen begründet Paulus das nun, warum es so sein sollte.

Die Begründung

(6) Nun aber, ihr Brüder, wenn ich zu euch käme und in Sprachen redete, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht zu euch redete, sei es durch Offenbarung oder durch Erkenntnis oder durch Weissagung oder durch Lehre? (7) Ist es doch ebenso mit den leblosen Instrumenten, die einen Laut von sich geben, sei es eine Flöte oder eine Harfe; wenn sie nicht bestimmte Töne geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? (8) Ebenso auch, wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten? (9) So auch ihr, wenn ihr durch die Sprache nicht eine verständliche Rede gebt, wie kann man verstehen, was geredet wird? Denn ihr werdet in den Wind reden. (10) Es gibt wohl mancherlei Arten von Stimmen in der Welt, und keine von ihnen ist ohne Laut. (11) Wenn ich nun den Sinn des Lautes nicht kenne, so werde ich dem Redenden ein Fremder sein und der Redende für mich ein Fremder. (12) Also auch ihr, da ihr eifrig nach Geisteswirkungen trachtet, strebt danach, dass ihr zur Erbauung der Gemeinde Überfluss habt! (13) Darum: Wer in einer Sprache redet, der bete, daß er es auch auslegen kann. (14) Denn wenn ich in einer Sprache bete, so betet zwar mein Geist, aber mein Verstand ist ohne Frucht.

Die Strategie um die Überbetonung der Zungenrede einzudämmen ist klar, Paulus führt das Kriterium der allgemeinen Nützlichkeit der Gabe ein. Das Gesagte soll, was immer es auch ist, dazu beitragen die Gemeinde zu erbauen. Das ist aber nicht möglich, wenn da in Sprachen gesprochen wird, die niemand versteht – es sei denn, es wird übersetzt. Das ist klar und auch üblich, dass etwas übersetzt wird, damit es verständlich ist. Die Frage ist, warum das überhaupt extra betont werden muss? Warum waren die Korinther eigentlich so darauf erpicht, eine fremde Sprache zu sprechen, die sie selber nicht verstanden? Was hatten sie davon?

Denken wir noch einmal kurz an das was Paulus davor sagte: »Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst, wer aber weissagt, erbaut auch die Gemeinde.« Es ist also schon so, dass der Zungenredende selbst etwas davon hatte, selbst wenn er es nicht verstand. Aber was war das? Wenn es nur das Gefühl der Selbstbestätigung wäre – dass nämlich an mir ein Wunder geschieht, durch den Heiligen Geist, indem ich eine Sprache spreche, die ich nicht gelernt habe – dann denke ich hätte Paulus das nicht als auferbauend gewertet. Worin bestand also die Auferbauung bei dem, der in Zungen sprach?

Wenn er es nicht auch auslegen, das heißt übersetzen konnte, dann war es wohl nicht die Erkenntnis die ihn aufbaute, die ja nur über den Verstand möglich ist. Damit aber ist auch ausgesagt, dass es eine Auferbauung jenseits des Verstandes gibt, nämlich die emotionale, nicht oder nicht leicht begründbare Auferbauung. Wie können wir das verstehen? Vielleicht deutet das Paulus in dem Hinweis auf Musikinstrumente an. Musik spricht ja normalerweise nicht den Verstand an, es sei denn sie ist mit einem Text verknüpft der eine Botschaft enthält. Eine Trompete kann aber zum Beispiel auch ein Signal zum Kampf sein, das jeder versteht, weil es vorher so ausgemacht worden ist. Wenn dem so ist, muss die Trompete eine deutliche Melodie spielen, eben genau die, wo jeder weiß, jetzt heißt es: »auf in den Kampf.«

Andere Musikinstrumente haben andere Funktionen aber nicht jede appelliert an den Verstand oder beinhaltet eine Botschaft. Die Töne einer Flöte oder einer Harfe sind unterschiedlich, aber dennoch harmonisieren sie in einem Musikstück miteinander. Musik muss Regeln folgen, sonst ist sie keine Musik, sondern Lärm, den man nicht aushält. Musik muss aber nicht unbedingt eine Botschaft haben, sonst würden wir ja keine reine Instrumentalmusik lieben. Musik spricht eigentlich eine eigene Sprache, die wir verstehen, weil die Harmonien unsere Emotionen positiv berühren. Wir sind bewegt und das gefällt uns. Die emontionale Bewegung baut uns ebenso auf, wie die verstandesmäßige Erkenntnis. Ich denke, dass es das war, was die Menschen beim Zungenreden selbst auch erlebt hatten. Sie waren emotional von dem Ereignis bewegt, und von daher durchaus aufgebaut, aber nicht auf der Ebene des Verstandes, sondern des Gefühles.

Ich habe vor einigen Monaten ganz neu lateinamerikanische Musik für mich entdeckt. Ich finde sie faszinierend, besonders solche mit indigenem Einfluss und obwohl ich kein Wort spanisch oder portugiesisch spreche, also absolut nichts verstehe, berühren mich viele dieser Lieder sehr. Freilich würde ich auch gerne verstehen, was ich höre, wäre ich jünger, würde mich das vielleicht sogar motivieren, spanisch zu lernen. Aber dazu habe ich keine Zeit mehr und trotzdem verzichte ich nicht auf diese Musik, weil sie, wie man so sagt, mein Herz anspricht. In diesem Sinne können wir uns auch die Beliebtheit der Gabe des Zungenredens vorstellen. Sie war einfach auferbauend, selbst dann, wenn man das Gesprochene nicht verstand. Natürlich wurde wahrscheinlich selten gesungen beim Zungenreden, aber man spricht ja auch von einer Sprachmelodie. Jede Sprache hat ihre eigene Schönheit.

Aber nun macht Paulus darauf aufmerksam, dass es ja in den Versammlungen nicht darum geht, dass sich jeder nur selber auferbaut, sondern dass die Gemeinde auferbaut wird und daher muss diese Gabe zurücktreten, hinter andere Gaben, die den Verstand ansprechen. Denn eines ist klar: die Kommunikation des Menschen läuft über Sprache und Verstand! Ohne den Verstand hat Sprache für eine Gemeinschaft keinen Sinn, auch wenn der Einzelne sie noch so schön findet. Darum muss auch jede Sprache übersetzt werden wenn sie nutzbar gemacht werden soll. Schönheit einer Sprache ist nicht genug, Verständlichkeit ist die unabdingbare Forderung. Deshalb fordert Paulus – und es handelt sich hier nicht nur um einen gut gemeinten Rat – »wenn jemand die Gabe der Zungenrede in der Gemeinde ausüben will, soll er zuvor darum beten, dass er auch die Gabe der Auslegung erhält und das was er spricht, auch übersetzen kann!« Warum besteht Paulus darauf so sehr? Man könnte doch meinen, dass das nicht so wichtig ist, ob die Leute auf der emotionalen Ebene aufgebaut werden, oder auf der Ebene des Verstandes. Aber in dem was nun folgt scheint der Verstand gegenüber der Emotion doch einen Vorzug zu haben:

Der Sinn allen geistgewirkten Redens

(15) Wie soll es nun sein? Ich will mit dem Geist beten, ich will aber auch mit dem Verstand beten; ich will mit dem Geist lobsingen, ich will aber auch mit dem Verstand lobsingen. (16) Sonst, wenn du mit dem Geist den Lobpreis sprichst, wie soll der, welcher die Stelle des Unkundigen einnimmt, das Amen sprechen zu deiner Danksagung, da er nicht weiß, was du sagst? (17) Du magst wohl schön danksagen, aber der andere wird nicht erbaut. (18) Ich danke meinem Gott, daß ich mehr in Sprachen rede als ihr alle. (19) Aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand reden, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer Sprache. (20) Ihr Brüder, werdet nicht Kinder im Verständnis, sondern in der Bosheit seid Unmündige, im Verständnis aber werdet erwachsen.

Hier unterscheidet Paulus nun allerdings zwischen dem privaten und dem in der Gemeinde öffentlichen Verhalten. Privat, sozusagen daheim »im Stillen Kämmerlein«, wie Jesus das formuliert hat, kannst Du Gott anbeten wie Du willst. Deine Worte müssen keinen Sinn ergeben, Gott sieht ja in das Herz und weiß was Du meinst. Mit Gott kannst Du theoretisch sogar nonverbal kommunizieren, also ganz ohne Laute. Aber in der Gemeinde geht das nicht. Jeder von uns hat zwar eine Zunge und zwei Ohren, (ein Beweis dafür dass wir doppelt so viel hören sollen als sprechen) aber die Kommunikation ist trotzdem nur gewährleistet, wenn wir mit dem Verstand die Sprache des anderen verstehen. Sonst könnten wir auch hundert Ohren haben, es würde nichts nützen, denn Sprache spricht den Verstand an, nicht die Ohren. Sprache ist Code und unser Verstand muss das, was der andere uns mitteilt decodieren können. Das lernen wir von Kindesbeinen an mit unserer Muttersprache und später sehr viel mühsamer mit Fremdsprachen. Ohne dem können wir uns gegenseitig nicht befruchten und auferbauen, das ist ein Naturgesetz.

Wie kann ich also Amen sagen, zu einem Gebet das ich nicht verstehe? Hier wird uns die Bedeutung des Amens im Gebet vor Augen geführt. Dieser Begriff hat sich ja auch verselbständigt und wird oft gedankenlos nach jedem Gebet dahergeplappert als wollte man sagen: »Gott sei dank ist es endlich fertig.« Aber in Wirklichkeit bedeutet ein Amen eine ausdrückliche Zustimmung zu dem Inhalt eines Gebetes. Bei der Zungenrede, die nicht verstanden wird, ist solch eine Zustimmung, jedoch gar nicht möglich.

Denken wir in diesem Zusammenhang auch an das, was wir in der dritten Predigt bei 1. Kor. 12:3 festgestellt haben, wo es heißt:
»Darum lasse ich euch wissen, daß niemand, der im Geist Gottes redet, Jesus verflucht nennt; es kann aber auch niemand Jesus Herrn nennen als nur im Heiligen Geist.« Wie können wir Amen sagen, wenn wir nicht einmal wissen, ob jemand Jesus einen Herrn nennt, oder ihn verflucht, weil wir nicht verstehen was er sagt? Der Sinn allen geistgewirkten Redens ist, dass wir uns untereinander verständigen und damit auferbauen. Wir sollen gemeinsam wachsen und erwachsen werden. Welche eine wunderschöne Formel, bildet doch Paulus hier in V 20: »gemeinsam im Verständnis erwachsen werden, aber in der Bosheit Kinder zu werden.« Kinder können zwar sehr eigensinnig sein, das liegt auch teilweise daran dass sie die Zusammenhänge noch nicht verstehen, ihre soziale Intelligenz ist noch unterentwickelt, wenn sie aber verstehen lernen, dann sind sie auch lieber gehorsam, weil sie wissen worum es geht.

Was lernen wir aus diesem Text für uns? Wir sollten davon ausgehen, dass das Verstehen für uns als Gemeinde wichtiger ist als das Erleben. Wir leben heute in einer Zeit, in der das emotionale Erleben viel an Bedeutung gewonnen hat. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, wo tatsächlich Gefühle oft unterdrückt wurden, stellen wir heute einen Zug der Menschen zum Irrationalen fest. Es ist egal, ob wir etwas verstehen, Hauptsache wir fühlen und wohl dabei. Diese Einstellung, die übrigens auch im heidnischen Korinth Mentalität war, finden wir leider nicht nur bei Esoterikern und spirituellen Abenteurern, sondern zunehmend auch bei Kindern Gottes. Heute wird oft zugunsten eines gemeinsamen emotionalen Erlebnisses auf ein ausgeprägtes theologisches Verständnis verzichtet. Mach spricht nicht mehr Klartext miteinander, weil man sonst als der dasteht, der das gemeinschaftliche Erlebnis stört.

Das ist Verhängnisvoll, denn wie wir hier sehen, empfiehlt uns Paulus gerade das Gegenteil. Wir sollten uns gegenseitig durch Erkenntnis und Mitteilung von Offenbarung aufbauen. Das heißt, dass die Ratio, der Verstand oder die Vernunft in den Mittelpunkt unseres Gemeindealltags gestellt werden muss. Andererseits aber negiert Paulus auch nicht das emotionale Erlebnis. Soweit es nicht ausreichend durch die Begegnung in der Versammlung abgedeckt wird, ist Paulus durchaus auch ein Befürworter der Zungenrede zur persönlichen Auferbauung. Wir dürfen die emotionale Komponente unseres Daseins natürlich nicht unterdrücken, sie darf und muss vorhanden sein, aber sie darf die Vernunft nicht überlagern. Es ist die Frage, inwiefern wir heute noch die Zungenrede brauchen, um auch emotional auf unsere Kosten zu kommen und ob es da nicht adäquatere Mittel gibt, zum Beispiel Musik. Ich glaube, wir decken in diesem Bereich vieles durch eine reichhaltige Musiktradition ab, die uns Gott geschenkt hat, welche die Menschen im ersten Jahrhundert gar nicht hatten. Zwar wurde schon seit den Zeiten des Moses im Gottesdienst auch gesungen, seit Miriam die Schwester Mose zum Tamburine griff und das Lied des Moses sang. Aber die Entwicklung des Liedes hat in den Jahrhunderten des Christentums eine Wandlung erfahren, die beachtlich ist. Ich würde meinen, dass dies durchaus einen adäquater Ersatz für die emotionale Ansprache durch die Zungengabe darstellt, der noch dazu für die ganze Gemeinde auferbauend ist.

Wir werden aber beim nächsten mal noch über einen anderen Aspekt des Zungenredens nachdenken müssen, den wir heute nur anschneiden konnten, bevor wir uns ein endgültiges Bild davon machen, wie nützlich diese Gabe uns als Gemeinde heute noch sein kann. Wer also will kann sich bis zum nächsten mal schon mit den Versen 21 bis 33 auseinandersetzen. Danach will ich auch ein Resumee über die ganze Predigtserie ziehen.

Ich hoffe und bete, dass uns der Herr Gnade schenkt, unsere Gaben wirklich zu erkennen und sie so einzusetzen, wie er es haben will. Oder sagen wir besser: dass die Geisteswirkungen in unserem Leben sichtbar werden, die der Herr uns zugedacht hat. Mehr brauchen wir nicht. Amen!

11. Ein Gott der Ordnung (1. Kor. 14:21-33)