Jesus, Spielball der Mächte

April 2004: Heuer ist es doch irgendwie anders. In einer Woche ist Ostern und es scheint nicht wie sonst die Frage im Vordergrund zu stehen, ob der Osterhase seine Eier selber legt, ob er sie bei einer glücklichen Freilandhenne kauft oder en gros von einer Hühnerfarm mit Käfighaltung bezieht. Nein, es ist heuer tatsächlich die Rede von der Kreuzigung Christi. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendetwas darüber in den Medien verlautbart wird. Dies ist allerdings nicht so sehr dem gesteigerten Eifer der Christen zu verdanken, in der Osterzeit besonders aktiv zu evangelisieren, sondern einem katholischen Regisseur Mel Gibson aus den USA, der dies mit dem spektakulären Film über die Kreuzigung Jesu erreicht hat (Die Passion Christi), in dem mehr Blut fließt als in so manchem brutalen Actionfilm, der in den vergangenen Jahren die Missbilligung und Ablehnung vieler Christen erfahren hat.

 

Die Frage die sich stellt ist, wieviel Sinn macht es, die Passion Jesu, die letzten 12 Stunden seines Lebens und seinen grausamen Tod derart im Detail nachzustellen. Wird das Mysterium des Kreuzes dadurch einsehbarer und verständlicher? Manche meinen dass das der Fall ist. Ich persönlich bin da skeptisch. Der Versuch mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die Via Dolorosa, den Leidensweg in Jerusalem, möglichst eindrücklich darzustellen ist ja in der Geschichte immer wieder gemacht worden. Albrecht Dürer und viele andere große Maler haben mit Ihren Mitteln durchaus das Gleiche bezwecken wollen. Und dann gibt es noch auf der ganzen Welt diese Spiele, in denen sich Menschen mehr oder weniger überzeugend in die Rolle Jesu versetzen, ein Kreuz tragen und sich daran festbinden lassen, um jährlich auf‘s Neue Entsetzen und Betroffenheit zu provozieren. Dies ist nun um einiges schwieriger geworden. Schon diskutiert man in Pitsburg, dem amerikanischen Gegenstück der Oberammergauer Passionsspiele, ob man nicht die ganze traditionelle Regie überdenken sollte, weil sich nach dem Film von Mel Gibson die Zuschauer bei derartigen Aufführungen zu langweilen beginnen. Die müssten sich eigentlich nur ein Beispiel an den Philippinos nehmen, die diese Bedenken nicht zu haben brauchen, denn dort findet sich traditionell in jedem Jahr ein Verrückter, der sich tatsächliche mit echten Nägeln an ein Kreuz heften lässt, um so angeblich dem Geheimnis des Leidens Christi auf die Spur zu kommen.

Aber was sagt eigentlich die Bibel, die uns in vierfacher Weise das einzige authentische Zeugnis der Kreuzigung Jesu liefert? Hat Mel Gibbson sich wirklich an diese Vorlage gehalten? Oder hat er manches doch einseitig und verzerrt dargestellt? Die Juden zumindest protestieren heftig und sehen die Rolle ihres Volkes zu negativ und die des Pilatus, des römischen Vertreters zu positiv dargestellt. Am besten wir lesen das im Evangelium nach: Lukas 23. 6-12
(6) Als aber Pilatus das hörte, fragte er, ob der Mensch aus Galiläa wäre. (7) Und als er vernahm, dass er ein Untertan des Herodes war, sandte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen auch in Jerusalem unterwegs war. (8) Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr; denn er hätte ihn längst gerne gesehen; denn er hatte von ihm gehört und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen. (9) Und er fragte ihn viel. Er aber antwortete ihm nichts. (10) Die Hohenpriester aber und die Schriftgelehrten standen dabei und verklagten ihn hart. (11) Aber Herodes mit seinen Soldaten verachtete und verspottete ihn, legte ihm ein weißes Gewand an und sandte ihn zurück zu Pilatus. (13) An dem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher waren sie einander feind.

Die Predigt zu diesem Bibeltext habe ich nicht ganz neu geschrieben. Ich hatte sie bereits 1997 einmal ausgearbeitet und sie nun aus dem Anlass des Filmes neu überarbeitet. Sie ist also keine Reaktion auf den Film, aber ich gebe zu, dass der Film ein Anlass ist, sie wieder hervor zu holen, weil ich der Meinung bin, dass diese Botschaft ein wichtiges Gegengewicht zu diesem Film darstellen kann, denn viele werden ihn gesehen haben und unter dem Eindruck des Gezeigten könnte leicht die Tendenz entstehen, der Kreuzigung in ihrer Ausführung mehr Gewicht beizumessen, als dies die Heilige Schrift tut.

Damit kein Missverständnis entsteht. Die Bedeutung der Kreuzigung kann man gar nicht hoch genug einschätzen, wenn man sie mit der Auferstehung als Einheit sieht. Hat doch Jesus damit dem Tod den Stachel genommen und damit unser Heil bewirkt. Doch die Details der Ausführung der Kreuzigung sind weit weniger wichtig, als dies besonders in der katholischen Tradition immer wieder angenommen wurde. Mel Gibson ist ja ein bekennender erzkonservativer Katholik und so ist es nicht verwunderlich, dass ich mich, während ich diesen Film sah, in meine Ministrantenzeit zurückversetzt fühlte, in der ich Jahr für Jahr auf der so genannten Kreuzwegsprozession in der Karwoche die gleichen detaillierten Schilderungen zu hören und in Bildern zu sehen bekam, wie in diesem Film, wenn auch mit weniger drastischen Mitteln.

Es hat mich sicherlich als Kind beeindruckt, aber nicht im Glauben geprägt. Als ich die Bibel gelesen habe, fand ich die Hinter¬gründe und Zusammenhänge der ganzen Passionsgeschichte und der Auferstehung viel aufschlussreicher als die Leidensgeschichte selbst. Und tatsächlich finden wir auch in den Evangelien das Leiden und Sterben Jesu nicht sehr ausführlich geschildert. Wohl sind einige Details erwähnt, aber im Großen und Ganzen waren die Evangelisten sehr sparsam mit der Beschreibung der einzelnen Szenen. Was aber sehr genau beschrieben wird, sind die historischen Hintergründe und die Machtstrukturen, die zu der damaligen Tragödie führte, die dank des Eingreifen Gottes, der Jesus von den Toten auferweckte, doch noch zu einem glücklichen Ende für uns alle führte.

Die Protagonisten der Handlung sind uns schon vorher bekannt und es wird sehr aufschlussreich sein, wenn wir auf dieses Wissen bei der Auslegung zurückgreifen: Herodes, Pilatus und die religiöse Führerschaft der Juden werden in allen Evangelien immer wieder erwähnt. Ihr Verhalten gegenüber Jesus wird genau registriert und dokumentiert. In beinahe jedem Kapitel der Evangelien wird die Reaktion der damaligen regionalen Machthaber auf das Wirken Jesu mit beschrieben. Wie es dazu kam, dass sie ihn ablehnten und ans Kreuz nagelten, erscheint mir deshalb bei weitem wichtiger zu sein, als die Art und Weise wie sie es getan haben. Darüber gibt aber der Film absolut keine Auskunft. Wer dieses Wissen nicht schon mit sich bringt, ist von dem Film schlicht überfordert und es bleibt mehr als fraglich, ob er sich danach wirklich noch dafür interessieren wird. Darum will ich in meiner Predigt heute das Augenmerk auf diese Zusammenhänge lenken. Vielleicht kann ich hier ein bisschen was zurecht rücken.

Die Machtstrukturen zur Zeit Jesu

Wir steigen also in unserem Text beim Verhör Jesus durch Pilatus ein, da wo dieser ihn zu Herodes schickt. Die erste Frage, die sich uns stellt ist: um welchen Herodes handelt es sich denn? Denn Herodes war sozusagen der Familienname einer idumäischen Fürstendynastie von römischen Gnaden. Da sich die Herrschaftsverhältnisse im damaligen Israel sehr oft veränderten, habe ich eine Übersicht gemacht, an der wir uns orientieren können.

Es gab 6 Herrscher mit Namen Herodes: Herodes der Große, Her. Archelaus, Her. Philippus, Her. Antipas, Her. Agrippa I, Her. Agrippa II. (Tabelle) Nur vier sind in der Bibel erwähnt. Der erste war Herodes der Große. Das ist der Herodes von Weihnachten, der den Weisen aus dem Morgenland den Weg weisen lies und den Kindermord in Bethlehem zu verantworten hatte. Herodes der Große war König über das ganze Gebiet Judäa, Galiläa, Samaria, und die angrenzenden kleineren Landstriche. Nach seinem Tod wurde das Reich auf seine Söhne aufgeteilt, Archelaus, Antipas und Philippus. Archelaus fiel aber bereits nach wenigen Jahren bei den Römern in Ungnade. Er wurde verbannt und sein Gebiet Judäa und Samaria wurde dem Protektorat der römischen Provinz Syrien zugeteilt, Pontius Pilatus war der Prokurator (in Lutherdeutsch: Landpfleger).

Der Herodes zur Zeit Pilatus von dem in unserem Text die Rede ist, war Herodes Antipas. Er wird am häufigsten erwähnt. Er setzte sich mit Johannes dem Täufer auseinander und enthauptete diesen nach dem berüchtigten Tanz der Salome auf deren Wunsch hin. Zu diesem Herodes wird also Jesus von Pilatus gesendet. Ein anderer Herodes, der noch in der Bibel erwähnt wird, ist Herodes Agrippa I, der herrschte zur Zeit der ersten Gemeinde in der Apostelgeschichte die er auch verfolgte (er ließ sich auch als Gott verehren und starb bald darauf an einer Wurmkrankheit). Es ihm für kurze Zeit noch einmal gelungen, das ganze Herrschaftsgebiet Herodes des Großen von den Römern zugesprochen zu bekommen. Als er gestorben war kam als letzter Herodes Agrippa II, der mit dem Paulus in Apg. 25. und 26 diskutierte.

Jesus ein Spielball der Mächte?

Wir dürfen also nicht vergessen, dass die Zeiten damals sehr verworren waren. Die Römer hatten zwar die Herrschaft, aber die tatsächliche Ausübung der Macht in den Provinzen war aufgeteilt und es war nicht immer sicher, wo sie gerade lag. Jesus war also vom Hohen Rat gefangen genommen worden. Der Hohe Rat oder Sanhedrin war ein Richterkollegium, bestehend aus 71 Mitgliedern, unter dem Vorsitz des amtierenden Hohenpriesters, der zu dieser Zeit Kaiphas war. Sie richteten das Volk nach ihrer Auslegung des Gesetzes und waren nur bei Todesurteilen auf die Zustimmung der Römer angewiesen. Deshalb mussten sie auch zu Pilatus, der wie auch Herodes zu dieser Zeit wegen des Festes in Jerusalem war.

Die Frage nach der Herkunft Jesu: V6

Pontius Pilatus war wohl eher gekommen, um durch seine Präsenz Unruhen vorzubeugen, die bei einer derartigen Ansammlung von Menschenmassen leicht ausbrechen könnten. Er war sozusagen für Ruhe und Ordnung verantwortlich und musste Rom Rechenschaft ablegen. Der Bruch der Pax Romana, des römischen Friedens, konnte ihn den Job kosten. Also war er von seinem Amtssitz, in Cäserea aufgebrochen um die Festtage in jenem Jerusalem zu verbringen, das er bereits mehrmals bewusst provoziert hatte.

Pilatus kommt im Film von Mel Gibbson tatsächlich sehr gut weg. Er wird dargestellt als etwas überforderter, aber durchaus um Ausgleich und Gerechtigkeit bemühter Mann, der sich schließlich der Übermacht beugt und seine Hände in Unschuld wäscht. Was von dieser Handwaschung zu halten ist, wissen wir aber, wenn wir Luk. 13. 1 lesen, wo die Jünger Jesus berichten, dass Pilatus das Blut einiger Tempelbesucher aus Galiläa mit ihrem eigenen Opfer vermischte. Diese besonders provokante Hinrichtung von Juden war ein Sakrileg, dass ihm nicht nur die erbitterte Feindschaft der Juden einbrachte, sondern auch die Gegnerschaft des Herodes. Auch sonst tat Pilatus alles, um allen zu zeigen, wer die Herrschaft im Lande innehatte, wobei er nicht vor Gewalt zurückschreckte. Das führte zu mehreren Aufständen und schließlich wurde er sogar nach einer Beschwerde der Juden von Rom verwarnt. Seitdem musste Pilatus vorsichtig sein und durfte sich nicht mehr viel erlauben. Er war im großen Spiel um die Macht isoliert und vor diesem Hintergrund muss man auch sein Handeln in dieser Geschichte sehen.

Pilatus sendet also Jesus zu Herodes und es stellt sich schon die Frage, was er damit beabsichtigte. Wollte er ihn nur loswerden? War die Herkunft Jesus aus Galiläa wirklich der Grund, oder war sie nur ein Vorwand? Die Respektierung der herodianischen Gerichtshoheit war jedenfalls bis dahin nicht die Art des Pilatus. Mit diesem hatte er sich auch überworfen, als gegen seinen Willen im Palast des Herodes des Großen in Jerusalem eine Anzahl goldener Schilde aufstellen ließ mit der Aufschrift: zu Ehren des Tiberius. Wofür er ebenfalls von Rom eine Rüge erhielt. Wieso also nun dieser Gesinnungswandel? Es stellt sich die Frage, ob Jesus hier nicht in der Stunde seiner scheinbaren Niederlage zum Spielball im Ränkespiel der Mächtigen werden sollte. Spekulierte Pilatus damit, in Herodes einen neuen Verbündeten zu gewinnen, den er dringend brauchte?

Herodes in Jerusalem: V 7

Herodes war auch nach Jerusalem gekommen. Das war nichts Außergewöhnliches. Sein Vater, Herodes der Große hatte schließlich diesen alten Tempel aus der Zeit Esras und Nehemias auf das prächtigste renoviert, sodass dies faktisch einem Neubau gleichkam. Es war nun der herodianische Tempel, in dem Jahr für Jahr die jüdischen Feste gefeiert wurden.

War denn Herodes der König der Juden? Das wäre er gerne gewesen, aber da hatte er ein Problem. Er war selbst kein Jude, sondern ein Idumäer, also ein Nachkomme der Edomiter, der einstigen erbitterten Feinde Israels. Dies wäre kein Beinbruch gewesen, wenn er nur dem Volk Israel angehörig sein hätte wollen. Denn das Proselytentum war in Israel ein alter und weit verbreiteter Brauch, jeder konnte Jude werden, wenn er zum mosaischen Glauben konvertierte. Doch eines konnte die herodianische Dynastie niemals: Israels Könige werden. Denn nach den Propheten konnte nur ein Nachkomme Davids König werden. Und der Nachweis der genealogischen Königswürde war von einem Idumäer nicht zu erbringen. So blieben die Herodianer nur Fürsten unter der Gunst der römischen Kaiser und wurden von den Juden als solche nur widerwillig geduldet.

Dennoch bemühte sich Herodes Antipas sehr um die Anerkennung der Juden und war bemüht seine mosaische Gesinnung, wie schon sein Vater Herodes der Große, eifrig zur Schau zu stellen. Deshalb war für ihn die Teilnahme am Fest wohl eine Pflicht gewesen.

Jesus vor Herodes V 8

Aus Luk 9:7-9 wissen wir, dass Herodes Antipas Jesus schon lange kennen lernen wollte. Es ging ein Gerücht um, dass Jesus der auferstandene Johannes sei. Und in Luk. 13. 31-34 lesen wir davon, dass ausgerechnet die Pharisäer Jesus warnen, dass er von Herodes gesucht würde, weil dieser ihn töten wolle. Sie gaben ihm den guten Rat, vor ihm zu fliehen. Aber Jesus hatte ihnen nur geantwortet:
Geht hin und sagt diesem Fuchs (Herodes): Siehe, ich treibe böse Geister aus und mache gesund, heute und morgen, und am dritten Tag werde ich vollendet sein. Doch ich muss heute und morgen und am dritten Tag noch wandern; denn es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb von Jerusalem umkomme.

Herodes zeigte schon an Johannes dem Täufer großes Interesse. Aber Herodes hatte die Frau seines Halbbruders Philippus zu sich genommen, obwohl er bereits mit der Tochter des Araberfürsten Aretas IV verheiratet war, die er dann verstieß. Johannes kritisierte das öffentlich und das war der Grund, warum er von Herodes gefangen genommen wurde. Doch er tötete ihn zunächst nicht, es heißt sogar, dass er ihn gerne hörte. Doch als ihn seine neue Frau Herodias mit Hilfe ihrer Tochter Salome übertölpelte, die Geschichte ist bekannt, ließ er ihn schließlich doch enthaupten.

Nun war da wieder einer, dessen Auftreten Herodes nicht ganz einordnen konnte und er war wahrscheinlich sehr beunruhigt. Wer war dieser Jesus, von dem er gehört hatte, dass er über außer¬gewöhnliche Kräfte verfügte? Er sollte es dank der respektvollen freundlichen Geste des Pontius Pilatus bald erfahren.

Jedenfalls freute er sich sehr, Jesus zu sehen, aber wie wir gelesen haben in erster Linie darum, weil er erwartete, nun selbst ein Wunder zu erleben. Vielleicht fühlte er sich schon in seiner Ehre gekränkt, dass alle Welt über diesen Mann und seine Fähigkeiten sprach und ausgerechnet er als Fürst ihn noch nicht erlebt hatte. Zweifellos wollte Herodes aber auch wissen, ob von diesem Jesus irgendeine Gefahr für ihn ausging. Welche Rolle spielte er in diesem labilen Machtdreieck zwischen Römern Juden und ihm selbst? War er zu fürchten, oder konnte man sich mit ihm verbünden? Vergessen wir nicht den Einzug Jesus in Jerusalem. Dieser hat deutlich gezeigt, dass er durchaus zu einem vierten politischen Machtfaktor im Lande werden konnte, wenn er wollte. In dieser Situation musste es Herodes als Glücksfall empfunden haben, diesen Jesus nun zu Gesicht zu bekommen.

Viele Fragen, keine Antwort! V 9

Herodes stellte Jesus dann auch viele Fragen. Aber Jesus schwieg. Warum schwieg Jesus? Ist es das Schweigen eines Angeklagten der ohne einen Verteidiger in schwacher Position war und alles was er sagte, würde sich ohnehin wieder gegen ihn richten, also schwieg er? Viel wahrscheinlicher ist, dass Jesus schwieg, weil er bereits alles gesagt hatte. Wie wir vorhin gelesen hatten, war die Botschaft auch ganz persönlich an Herodes ergangen, als dieser angeblich versuchte, nach den Angaben der Pharisäer, ihn zu töten. Hatte Herodes diese Botschaft erhalten? Und wenn, hatte er sie verstanden? Ich denke wir können davon ausgehen, dass Herodes nicht nur wusste was Jesus getan, sondern auch was er gesagt hatte. Besonders dann, wenn Jesus sich öffentlich über ihn geäußert hatte. Doch verstanden wird er es ebenso wenig haben wie alle anderen. Doch Jesus erklärt nichts mehr und fügt dem Gesagten nichts mehr hinzu. Jedes weitere Wort würde seinen Auftrag gefährden, besonders in dieser Situation der Schwäche und höchsten Anfechtung. Wie leicht hätte Jesus ein Wunder tun können, doch er tat es nicht. Er tat nichts und sagte nichts, was ihn auch nur ansatzweise zu einem Verbündeten des Herodes hätte machen könnte. Er ließ sich nicht einbeziehen in ihre Machtspiele, auch wenn er dadurch hätte sein Leben retten können.

Harte Anklagen, keine Verteidigung! V 10

Warum aber verteidigte er sich nicht in Bezug auf die Anklagen, die auch vor Herodes erneut von Seiten der Schriftgelehrten vorgebracht wurden? Dazu bestand kein Anlass, denn es galt auch damals schon als Recht des Angeklagten zu schweigen, denn nicht der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, sondern der Kläger muss die Schuld des Angeklagten beweisen. Dass es aber keine Beweise gab, hatte schon Pilatus festgestellt und ihn dennoch an Herodes überstellt, weil er in ihm ein nützliches Werkzeug sah, mit dem er sich bei Herodes wieder beliebt machen konnte.

Wir können aber auch davon ausgehen, dass Herodes die Verteidigung des Herrn Jesus ebenso wenig interessiert hätte wie die Anklage der Schriftgelehrten ihn interessierte. Der Fuchs lauerte nur, er wollte ein Wunder sehen und wenn möglich aus der Situation zur Festigung seiner eigenen Macht Nutzen ziehen. Doch Jesus gab ihm dazu, wie schon Pilatus zuvor, keinerlei Anlass.

Wer Schwäche zeigt wird verachtet und verhöhnt V 11

So war die Begegnung mit Jesus für Herodes einerseits eine Enttäuschung: soll das der Mann gewesen sein, von dem er so viel wunderbares gehört hatte? Andererseits war es vielleicht auch eine Erleichterung: nein, diesen Jesus brauchte er offensichtlich nicht zu fürchten, und er und seine Soldaten zeigten ihm seine Verachtung und verspotteten ihn. Für Jesus aber war gerade dieser Spott ein Sieg. Nach dem Sanhedrin und Pilatus war er nun auch vor Herodes standhaft geblieben. Er hatte sich keinem untergeordnet sondern war seiner Passion treu geblieben. Auch wenn ihm die schwersten Prüfungen noch bevorstanden, einen guten Teil hatte er schon geschafft.

Einer hat scheinbar sein Ziel erreicht V 12

Dennoch scheinen beide, Pilatus und Herodes von der Angelegenheit profitiert zu haben, denn sie waren nun Freunde geworden. Das sollte die Position beider gegenüber den religiösen Autoritäten stärken. Dennoch ging die Rechnung nicht auf, wie wir aus der Geschichte wissen. Denn das Temperament des Pilatus ging mit ihm erneut durch und im Jahre 36, nach der übertrieben blutigen Niederschlagung einer Demonstration von Samaritern, musste er sich in Rom verantworten. Er wurde verbannt und nahm sich schließlich selbst das Leben. Herodes Antipas ereilte ein ähnliches Schicksal. Er wurde von Agrippa I, 40 n. Chr., ausgebotet und musste ebenfalls in die Verbannung nach Gallien ins heutige Frankreich, das damals noch ein recht raues unzivilisiertes Land war.

Die religiösen Führer aber hatten noch eine Frist bis 70 n. Chr. Dann wurde der Tempels zerstört und auch sie waren ihrer Machtgrundlage beraubt. Die meisten mussten wohl das Land verlassen.

Römer, Juden und, wenn wir so wollen, Heiden in der Gestalt des Herodes dem Idumäer, haben Jesus hingerichtet. Ob sie aktiv seine Kreuzigung verlangten, überzeugt von seiner Schuld, oder ob sie passiv aus reinem Machtinteresse seinen Tod nicht verhinderten, das spielt gar keine Rolle. Als Exekutivorgane war jeder von ihnen verantwortlich zu machen. Für die Anklage waren sie die Beweise schuldig geblieben und für eine Freilassung waren sie zu feige, da hilft auch kein Waschen der Hände in Unschuld.

Was können wir von Jesus lernen?

Luk. 6.40 „Der Jünger steht nicht über dem Meister, wenn er vollkommen ist, dann ist er wie sein Meister.” Was wir hier in der Passionsgeschichte gesehen haben, ist die Zuspitzung eines Konfliktes zwischen Jesus und den provinziellen Machthabern, der sich in den Evangelien Schritt für Schritt aufbaut und ziemlich gut dokumentiert ist. Mehr als einmal versuchten die ver¬schiedenen Parteien und Gruppierungen, Jesus vor ihren Karren zu spannen, aber es gelang ihnen nicht. Das war es schließlich, was de-facto zu seinem Tod führte. Wer diesen Einfluss auf Menschenmassen gewinnt, wie ihn Jesus durch seine Wunderzeichen gewonnen hatte, der muss sich entweder mit den Mächtigen arrangieren, oder er gerät zwischen die Mühlsteine.

Und wir sollten erkennen, dass jede Gemeinde und jede Konfession, die eine gewisse Größe erreicht, ebenso zu einem gesellschaftlich relevanten Faktor wird und es eigentlich nur natürlich ist, wenn der Druck wächst, in das Spiel um Macht und Einfluss mit einbezogen zu werden. Wie klären wir aber dieses Verhältnis zu den Mächtigen dieser Welt? Eine Kooperationsbereitschaft von der Seite Jesus hätte es ihm unmöglich gemacht, seinen Erlösungsauftrag auszuführen. Gleichwohl hatte er keine der Institutionen angegriffen oder in Frage gestellt und hat sich ihren Gesetzen untergeordnet, wenn diese nicht dem Wort Gottes widersprachen. Er war kein Sozialrevolutionär. Rebellion oder auch nur Anstiftung dazu konnte man ihm nicht nachweisen, sodass sie ihn am Ende nicht wirklich beschuldigen konnten.

Der Auftrag der Gemeinde und die Klärung des Verhältnisses zu den öffentlichen Institutionen:

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Antwort Jesu auf die Frage des Pilatus: »Bist Du der König der Juden?« In Johannes 18.36 lesen wir, dass Jesus ihm antwortete: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt!«

Das muss auch die Stellung der Gemeinde sein, wenn es um irdische Macht geht. Der Machtverzicht ist so offensichtlich bei Jesus, der diese doch vom Anfang an, jederzeit und absolut hätte haben können, dass man eigentlich die ganze Lebensgeschichte Jesu in seine Passion mit einbeziehen muss. Es geht nicht an, die letzten 12 Stunden isoliert zu betrachten, dann versteht man gar nichts. Jesus ist mehr als nur ein Märtyrer, der für seine Überzeugungen zu sterben bereit war und dem man Unrecht getan hat. Jesus war der, der durch seine Wehrlosigkeit die Phalanx der Mächtigen durchbrochen hat und bereit war, dafür auch den vollen Preis zu bezahlen. Dem Preis aber folgte der Lohn. Das war die Auferstehung und das wird das neue Reich Gottes sein, das kommt und in dem er alleine unangefochtener und uneingeschränkter Herrscher sein wird. Diese Herrschaft aber wird er sich nicht geraubt haben, wie so viele auf Erden, sondern er hat sie von Gott empfangen, als der einzige, der dazu als würdig erachtet wurde (Off. 19).

Diese Passion galt aber nicht nur für Jesus, sie gilt auch für uns, für jeden Einzelnen und für seine Gemeinde. Daher ist auch unsere Mission immer eine Passion, eine Leidensgeschichte, die wir hinzunehmen haben. Jede Verstrickung in das Ränkespiel der Mächtigen bewirkt, dass das Salz, das wir sein sollen, kraftlos wird und das Licht verlischt.

Schenke Gott uns Gnade, so standhaft zu sein wie unser Herr, damit wir substantiellen Anteil erhalten an dem zukünftigen Friedensreich unseres Herrn Jesus Christus. In Luk. 16.16 sagt Jesus, und damit möchte ich schließen: Das Gesetz und die Propheten reichen bis Johannes. Von da an wird das Evangelium vom Reich Gottes gepredigt und jedermann drängt mit Gewalt hinein.
Doch mit Gewalt geht das nicht, nur mit Demut, Nächstenliebe und Machtverzicht, wie das auch die Passion Christi war.
Amen!