Die bittende Witwe (Luk. 18:1-8)

In letzter Zeit hört man viel von Anbetung. Es hat den Anschein, dass ein lange vernachlässigtes Thema wieder zu neuen Ehren gekommen ist. Aber ich denke, dass Anbetung auch in der heutigen Zeit nicht immer dem biblischen Vorbild entspricht. Sondern wie auch schon zuvor bestimmt ist von modischen Zeiterscheinungen. Zudem ist Anbetung ja nur ein Teil, wenn auch ein sehr wichtiger, des Gebetes. Wir beten Gott an, weil wir ihn bewundern und lieben. Wir könnten auch sagen er ist unser Superstar, und wenn wir uns der Gegenwart des Herrn bewusst sind, den wir lieben, dann geht es uns wie den Fans in einem Konzert ihres Idols, sie sind begeistert und singen mit. So kommt Anbetung zustande, ob mit oder ohne Musik. Aber die Mittel des Ausdrucks der Anbetung können sehr verschieden sein und sie sind auch nicht so wichtig wie manche denken. Anbetung ist ohnehin nicht etwas, was wir produzieren können und sie ist auf keinen Fall eine religiöse Pflichtübung, durch die wir Gott gefallen könnten.

 

In unserem natürlichen Gebet geht es meistens nicht nur Anbetung, sondern um das was uns persönlich sehr oft viel mehr bewegt, nämlich um die Erfüllung unserer Anliegen, die wir vor Gott bringen, damit er uns erhört. »Gott erhört Gebet!«, das sagen wir ja auch mit großer Über-zeugung wenn wir unsere Anliegen konkret formulieren, ob in der Gebetsgemeinschaft oder allein in der Stille. Aber einmal ganz ehrlich: fügen wir insgeheim nicht manchesmal auch ein »vielleicht« hinzu? Beten wir, vielleicht erhört uns Gott! Denn davon haben wir schon gehört, dass er das tut, zumindest für andere. »Aber warum denn nicht auch für mich?« – denken wir manchmal und die, nach aussen vertretene Überzeugung, will sich in unserem Herzen nicht so recht einnisten.

»Ruf mich an, so will ich dir antworten, …«
so lesen wir in Jer. 33:3. Aber der Zweifel nagt an uns, besonders wenn sich nicht gleich was tut: »Schön wäre es, wenn es so leicht ginge. Ich warte doch schon so lange, wann kommt denn eine Antwort auf mein Gebet?« Und dann kommen uns zu all den schönen Verheißungen, dass Gott uns sein Ohr zuneigt, noch andere Schriftstellen in den Sinn, welche anscheinend aussagen: »hartnäckig muss man bitten, sonst hat man keine Chance! Gott ist doch nicht so einfach verfügbar!«

Einer dieser Stellen ist auch das Gleichnis, das wir uns heute anschauen werden, ein Gleichnis von einer Witwe, die durch wiederholtes und hartnäckiges Betteln, und vielleicht sogar mit Drohung einen ungerechten Richter bezwungen hat, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen:
(1) Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis, um ihnen zu zeigen, daß es nötig ist, allezeit zu beten und nicht nachlässig zu werden; (2) und er sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und sich vor keinem Menschen scheute. (3) Es war aber eine Witwe in jener Stadt; die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegenüber meinem Widersacher! (4) Und er wollte lange nicht; danach aber sprach er bei sich selbst: Wenn ich auch Gott nicht fürchte und mich vor keinem Menschen scheue, (5) so will ich dennoch, weil mir diese Witwe Mühe macht, ihr Recht schaffen, damit sie nicht unaufhörlich kommt und mich plagt. (6) Und der Herr sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! (7) Gott aber, wird er nicht seinen Auserwählten Recht schaffen, die Tag und Nacht zu ihm rufen, wenn er auch lange zuwartet mit ihnen? (8) Ich sage euch: Er wird ihnen schnell Recht schaffen! Doch wenn der Sohn des Menschen kommt, wird er auch den Glauben finden auf Erden?

Die Geschichte ist sehr anschaulich, und für die damalige Zeit sehr realistisch. In größeren Orten funktionierte die Justiz ähnlich wie auch bei uns heute, mit einem Tribunal von drei Richtern. Dadurch war gewährleistet, dass möglichst unparteiisch geurteilt wurde. In kleineren Orten aber war nur ein Richter zuständig, und da war Fairness nicht immer eine garantierte Sache. Es konnte durchaus geschehen, dass ein armer Mensch, wie diese hilflose Witwe nicht zu ihrem Recht kam, vor allem nicht, wenn der Gegner einflussreich war und dem Richter mehr anzubieten hatte als der Arme aufbringen konnte. Auf jeden Fall haben wir es in dieser Geschichte mit dem Fall eines Richters zu tun, der eigentlich korrupt war. Jesus nennt ihn ja auch ganz deutlich den »ungerechten Richter«.

Zuerst wird in der Geschichte dieser Richter beschrieben. Ihm war weder Gott noch sein eigener Ruf besonders wichtig. Er sagt ja von sich selbst in Vers 4: »Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht! …« Zu solch einem Mann kommt also eine arme Witwe mit einer Bitte. Wir dürfen wohl annehmen, dass sie arm war, denn in der Regel waren das die Witwen in der damaligen Zeit, die keine Sozialversicherung kannte, und wo auch verpflichtende familiäre Bindungen bei Frauen oft mit dem Tod des Mannes endeten. Diese Witwe aber hatte noch eine Forderung gegen irgend jemanden, was genau, wird uns nicht gesagt, ist für das Gleichnis auch unwichtig. Deutlich gesagt wird hingegen, dass diese Frau nichts anderes als ihr Recht wollte: »Verschaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!« Ein Prozess sollte also stattfinden, eine Gerichtsver¬handlung mit Argumenten, Beweisen und Gegenbeweisen, Zeugen¬befragung und Studium der Gesetzestexte. Eine mühseelige Arbeit für einen Richter, von der er persönlich nicht viel zu erwarten hatte. Das alles nur für eine arme Frau. Der Fall hatte keinerlei beruflichen Anreiz für ihn und er scheint vorerst nicht gewillt zu sein, sich zu angagieren.

Die Hilflosigkeit der Frau bewegte das Herz des Richters auch kein bisschen, auch nicht, dass das Recht auf ihrer Seite war – es gab so viel Unrecht in dieser Welt, er konnte sich nicht um alles kümmern, was sollte er denn noch alles tun! Und dennoch hatte die Witwe am Ende Erfolg. Wie war das denn so plötzlich zustande gekommen? War ihr Flehen so herzenszerreißend geworden? Nein! Waren ihre Beweislage stichhaltiger gweorden? Nein!

Der Richter sagt es uns selbst: »Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht, trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, damit sie mir nicht eines Tages ins Gesicht schlägt.« Anscheinend war diese Frau immer wieder zu ihm gekommen und als er nicht hören wollte, da hatte sie ihm gedroht. Aber was konnte so eine kleine schwache Frau schon ausrichten gegen so einen mächtigen einflussreichen Mann? Was könnte das sein? Wenn wir den Text wörtlich übersetzen würden, müsste da etwas von einem schwarzen Auge stehen. In einer konkordanten Übersetzung habe ich gelesen: »damit sie nicht zum Abschluss mich verbleue«. Also der Richter befürchtete anscheinend allen ernstes ein blaues Auge von dieser Frau. Würde sie ihm tatsächlich auflauern und in einem günstigen Moment anfallen, um ihm öffentlich die Faust ins Gesicht zu schlagen? Kann schon sein, dass die Frauen damals so temperamentvoll waren, wenn es um die Durchsetzung ihrer Rechte ging.

Aber vielleicht war das ja auch nur symbolisch gemeint – eine geflügelte Redewendung dafür, jemanden in Verruf zu bringen. Der Richter fürchtete sich zwar grundsätzlich nicht davor, was Menschen über ihn dachten, doch besonders angenehm war es ihm auch nicht, dass dann seine Hartherzigkeit eine Zeit lang zum Thema des Tages werden würde, weil die Frau sich überall über ihn auslassen würde. Sie konnte ihm nicht wirklich schaden, doch andererseits, wer läuft schon gerne ein paar Tage mit einem blauen Auge herum, auch wenn es nur symbolisch ist. Da ist es doch einfacher nachzugeben und die lästige Frau loszuwerden, indem man ihr gibt, was sie begehrt. So hatte die Frau doch noch ihr Ziel erreicht und Recht bekommen. Sie hatte das durch Hartnäckigkeit und Drohung geschafft.

Und so ist Gebet?

Jetzt haben wir aber ein Problem: zumindest ich hatte eines, als ich das Gleichnis so verstanden hatte. Denn Jesus spricht ja hier über das Gebet, und: so soll Gebet sein? Also ich habe mir das bis jetzt eigentlich anders vorgestellt. Schauen wir noch einmal auf Vers 1, vielleicht haben wir uns geirrt und es geht gar nicht um Gebet. doch tatsächlich: Jesus sprach über Gebet und darüber, dass wir darin nicht nachlassen sollten! Lukas betont das und es gibt gar keinen Zweifel. Aber wie haben wir das zu verstehen? Ist das die Art und Weise, wie Gebet funktioniert? Wir rufen zu Gott und er neigt sich uns zu, wenn wir nur lange genug lästig waren?

Anscheinend geht es hier darum wie wir beten sollen. Das Gleichnis lehrt uns beten, allezeit beten, unablässiges Beten. Und so versuchen wir auch, das gelernte in die Praxis umzusetzen. Wir beginnen ein unaufhörliches Mantra für das, was wir uns unbedingt wünschen... Doch war da nicht noch etwas anderes? Eine biblische Warnung in Math. 6.7-8, da sagte Jesus: »Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen, denn euer Vater weiss, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.« Das waren auch Jesu Worte, kurz bevor er uns das »Vater unser« gab, als ein Beispiel dafür, wie wir beten sollen. Und das Vater unser ist ein sehr kurzes einfaches Gebet.

Und wie war das doch auch bei Elia, als er die Priester des Baals-kultes versammelte und sie aufforderte zu ihrem Gott zu beten, damit er ihr Opfer annehme (1.Könige 18). Was taten diese Priester? Sie riefen von morgens bis mittag unablässig zu ihrem Gott, mit theatralischen Gesten. Aber es heißt: »da war weder Stimme noch Antwort.« Da verspottete Elia sie und rief ihnen zu: »ihr müsst lauter rufen, denn er ist ja ein Gott. Vielleicht ist er in Gedanken versunken oder zu beschäftigt. Oder er ist gerade nicht zu Hause oder er schläft, ruft lauter, damit er aufwacht.« Und als weitere Stunden vergangen waren, trat Elia an seinen Altar auf dem auch ein Opfer lag und betete ein kurzes Gebet, er sagte nur: »Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, lass heute kundwerden, dass Du Gott in Israel bist und ich dein Knecht und dass ich das alles nach deinen Worten getan habe! Erhöre mich, Herr, erhöre mich, damit dies Volk erkennt, dass du Herr Gott bist und ihr Herz wieder zu Dir kehrst!« Das war alles was er sagte, nicht einmal mehr Amen am Schluss, da fiel auch schon das Feuer vom Himmel herab auf das Brandopfer und verzehrte es, obwohl es zuvor von 12 Eimern Wasser durchtränkt worden war. Es blieb nichts übrig, weder vom Opfer, noch von dem Altar aus Stein gebaut.

So ist das also mit dem Gebet. Nicht viele Worte machen, keine andauernde Beschwörungen wie bei den Heiden! Dann müssen wir dieses Gleichnis von dem ungerechten Richter und der Witwe irgendwie anders verstehen, denn sonst widerspräche sich das Wort Gottes ja. Tatsächlich erkennen wir nun ja auch, dass das Bild nicht stimmen kann, denn Gott ist doch nicht wie der ungerechte Richter, oder? Er ist gerecht, unbestechlich. Er ist nicht unbarmherzig. Und es ist ihm auch nicht egal, was wir über ihn denken. Gott ist doch eigentlich das genaue Gegenteil von dem Richter. Was ist dann aber der Sinn des Gleichnisses?

Das Gleichnis will uns nicht sagen, wie wir zu Gott beten müssen, sondern gerade, wie wir es nicht zu tun brauchen. Und es tut dies in der Weise, dass es uns von einer alltäglichen Wirklichkeit berichtet, die im krassen Gegensatz von dem steht, was die Wahrheit über Gott ist. Das überrascht uns, weil wir das vom Anfang der Geschichte an nicht gedacht haben. Dieser Überraschungseffekt ist auch die Absicht dieses Gleichnisses. Die »Paradoxe Intention« soll uns solange in die falsche Richtung führen, bis wir verstehen: Halt, so kann es ja gar nicht sein, das geht ja in Wahrheit gerade andersherum. Das negative Beispiel führt uns zum positiven Gegenteil und da sind wir dann richtig. Dass Jesus in diesem Gleichnis diese rhetorische Taktik anwendet scheint in dem Umstand begründet zu sein, dass es keinen Kompromiss geben kann in dieser Sache. Entweder ist Gott so, oder anders, keinesfalls kann er aber sowohl als auch sein. Wir müssen uns entscheiden: halten wir Gott für so, wie Jesus den Richter schildert? Oder meinen wir, er wäre das Gegenteil davon?

So wie der Richter die Witwe behandelt hat, so würde Gott uns niemals behandeln. Daran brauchen wir nicht einmal zu denken. Und wenn doch schon der gleichgültige ungerechte Richter dieser armen Frau geholfen hat, obwohl er es nicht hätte müssen, nur auf Grund der Tatsache, dass sie ihm lästig war und für eine üble Nachrede gesorgt hätte, wieviel mehr, sollte dann nicht ein liebender und gerechter Gott uns helfen. Das ist die Botschaft! Denn Er, Gott im Himmel, ist nicht ungerecht. Ihm ist nicht egal, wenn Menschen Tag und Nacht zu ihm rufen! Er wird einschreiten und helfen! Und vor allem, ER wird es nicht in die Länge ziehen, er wird sich beeilen und in Kürze denen Recht schaffen, die er auf Erden auserwählt hat, zu seinen Kindern.

Denn ebenfalls ganz anders als im Gleichnis, wo der Richter zu der Frau keinerlei Beziehung hatte, hat Gott uns ja auserwählt.
Gott hat sich durch diese Erwählung schon im Voraus verpflichtet, uns zu helfen und uns Recht zu verschaffen. Was brauchen wir dann noch mehr? Welchen Sinn hat denn dann ein endloses Bitten und Betteln um jede Kleinigkeit? Warum sollten wir Gott so behandeln, als müssten wir ihn belästigen, oder bedrohen damit er uns erhört. Wieso sollte unser Gebet, wenn doch Gott das Gegenteil ist von dem, was irdische Machthaber repräsentieren, noch irgendwelche Ähnlichkeit haben mit den heidnischen Beschwörungsformeln? Nein, Gott ist nicht so wie der Richter und wenn Gott nicht so ist, wie der Richter, dann dürfen wir auch nicht wie die Witwe sein, oder? Aber was lehrt uns dann dieses Gleichnis über das Bitten?

Es ist klar, dass alle Zuhörer Jesu wussten: Der Gott Israels ist das Gegenteil von dem ungerechten Richter, er hilft geduldig sogar seinem untreuen Volk. Seine eigene Ehre steht auf dem Spiel und das ist Gott nicht egal. Und dennoch ist Gott ein Richter. Wie der Richter eigentlich zuständig war dafür, der Witwe Recht zu verschaffen und es nur widerwillig tat, so ist Gott für unsere Anliegen zuständig und tut es gerne, dass er uns Gerechtigkeit verschafft. Das ist es was uns Jesus lehren will. Wir brauchen nicht mit verzagtem Herzen und mutlos vor Gott zu treten. Wir brauchen auch nicht zu resignieren und zu meinen: Gott ist doch viel zu groß, als dass er sich um die Probleme von mir kleinem Würstchen kümmern würde. Nein: wir können mit erhobenem Haupt vor ihn treten, in dem Bewusstsein, dass er uns in allem erhören wird, was uns rechtmäßig zusteht. Er wird uns Recht verschaffen, denn wir sind keine armen Würstchen, sondern seine auserwählten Kinder.

In diesem Sinne haben wir auch den Vers 1 zu verstehen, dass wir »allezeit beten und nicht nachlassen« sollen.
Das Wort »nicht nachlassen« heißt im Urtext »enkakeō« und meint eigentlich nicht müde oder mutlos werden, oder nicht in Depression zu verfallen und dann mit dem Beten aufzuhören. Es geht also nicht um die Länge und Häufigkeit unseres Betens, sondern darum, dass wir einfach nicht aufhören damit, unsere Anliegen vertrauensvoll vor ihn zu bringen. Das Gleichnis wendet sich weder gegen kurze noch gegen lange Gebete, sondern dagegen, dass man überhaupt aufhört zu beten, weil man resigniert hat.

Ist es nicht so, dass wir jedes Mal, wenn wir ungerecht behandelt werden, jedes Mal, wenn wir auf Gottes Hilfe angewiesen sind, eine neue Entscheidung treffen müssen? Entweder: zu resignieren, müde und mutlos dazustehen, die Sache laufen zu lassen oder vielleicht sogar selbst in der Hand nehmen und unser Recht einfach durchzusetzen. Oder aber: die Sache wieder, wie schon bei anderer Gelegenheit, im Gebet vor Gott zu legen, vertrauensvoll, dass er uns »unverzüglich Recht verschafft«. Diese Tatsache, das wir das bei jedem Problem auf's Neue machen müssen, ist gemeint mit anhaltendem Gebet und nicht dass wir immer wieder um das Gleiche beten, von dem wir meinen, dass wir es unbedingt von Gott erhalten müssten, und das immer wieder tun, weil wir meinen, wenn wir genügend oft gebetet haben, dann wird uns das Eine, das wir uns so sehr wünschen, endlich einmal geschenkt werden. Nein, sondern was uns das Gleichnis sagt ist: wenn wir irgendein Problem haben, dann können wir immer und überall und zu jeder Zeit zu Gott kommen und ihn vertrauensvoll bitten, er wird sein Ohr nicht verschließen und unsere Sache nicht hinauszögern.

Ja, aber wie oft kommen wir wirklich zu Gott mit einem Anliegen, von dem wir wissen, dass wir ein Recht darauf haben, dass es erfüllt wird? Jesus sagte in Joh. 15.16 »Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.« Selbstverständlich bitten wir immer um das was wir wollen. Es käme uns nicht in den Sinn, um etwas zu bitten was wir gar nicht wollen. Doch worauf es Jesus ankommt ist, dass wir in seinem Wort bleiben und dass unser Wille in dem wir bitten, auch mit seinem Willen übereinstimmt. Wenn wir so in seinem Namen um etwas bitten, können wir uns sicher sein, dass wir es bekommen, nicht erst, wenn wir zum dritten mal darum gebetet haben, nicht erst beim siebenten mal, nicht beim hundertsten mal, sondern beim ersten mal. Haben wir solches vertrauen zu Jesus, dass wir beim ersten mal schon aufhören zu beten, weil wir wissen, dass das was wir wollen, auch das ist, was Jesus will und er unser Gebet schon erhört hat?

Dann sollen wir also nicht öfter für eine Sache beten? Ich glaube dass das einfach keine Rolle spielt, wie oft wir ein Gebetsanliegen vor Gott bringen. Wenn uns danach ist, dass wir es öfter tun, können wir es natürlich machen, vielleicht ist es für unsere Psyche gut, aber für Gott spielt das keine Rolle. Bilden wir uns jedenfalls nicht ein, dass unser Gebet deshalb erhört wird, weil wir sehr oft gebetet haben. Das ist es, was Heiden auch denken und davor warnt uns die Bibel. Wenn es uns zusteht und es im Willen Gottes liegt, genügt ein einzige Bitte, und der Vater gibt uns gerne.

In Vers 7 heißt es, dass seine Auserwählten Tag und Nacht rufen. Das sagt uns, dass es egal ist, ob wir am Tag oder in der Nacht zu ihm rufen. Gemeint ist nicht notwendigerweise Tag UND Nacht. Ob es ein »Taggebet« ist, ODER ein »Nachtgebet«, das, meint Jesu hier, spielt keine Rolle. Gott erhört beides und es ist leicht vorstellbar, wie ein Taggebet aussehen könnte und wie ein Nachtgebet.

Am Tag begegne ich den Herausforderungen meines Lebens. Vielleicht habe ich einen »Gegner«, der mich ungerecht behandelt (vielleicht denke ich aber auch nur, dass ich ungerecht behandelt werde). Vielleicht ist irgend ein anderes Problem zu lösen. Was mache ich? Wie gehe ich damit um? Nehme ich die Sache selbst in die Hand, denke überhaupt nicht an Gott und verlasse ich mich ausschließlich auf meine eigene Kraft und meinen eigenen Verstand? Oder bete ich zu Gott? Wenn ich zu Gott bete, wie bete ich? Mache ich ihm Vorwürfe, weil er mich in diese Situation gebracht hat? Oder nütze ich die Gelegenheit in den kleinen Momenten dazwischen – zu einem vertrauensvolle Stossgebet: »Herr, du weißt, jetzt brauche ich dich, hilf mir da heraus!« – und kann dann ruhig weitermachen, im Vertrauen darauf, dass Gott mein jeweiliges »Tagesgebet« unverzüglich erhört?

Und in der Nacht kann ich vielleicht nicht schlafen. Ich grüble über die Ungerechtigkeiten des Lebens, über die verworrene Situation, in der ich verwickelt bin. Was mache ich? Schmiede ich Pläne, wie ich mein Schicksal wenden kann? Verbringe ich eine schlaflose Nacht in Selbstmitleid und Verzweiflung? Oder höre ich auf Jesu Wort und lege alles im Gebet vor Gott, vertrauensvoll, dass er sein Versprechen halten wird und überwinde so die Furcht, die sich in der Nacht meiner bemächtigen wollte.

Ist es ein Tagesgebet, ist es ein Nachtgebet – Gott erhört beides! Weder am Tag noch in der Nacht brauchen wir einen unwilligen Gott mit Hartnäckigkeit und Drohungen zu überreden. Denn er ist nicht so wie der Richter, dem man nicht anders beikommen kann, weil ihm sein Ruf eigentlich egal ist. Dieser hat nur reagiert, damit er das Geschrei der armen Witwe und ihr Angesicht nicht mehr ertragen muss. Mit Gott ist das aber ganz anders. Seine Ehre steht auf dem Spiel, weil er sich uns gegenüber verpflichtet hat. Selbst wenn seine Liebe für uns nicht ausreichen würde – was eigentlich undenkbar ist – so würde er doch – anders als der ungerechte Richter – um seines heiligen Namens willen eingreifen und uns helfen.

Wir haben also gesehen, dass das Gleichnis einen Gegensatz aufbaut: Gott ist nicht wie der Richter; wir sind nicht wie die Witwe; Gebet ist nicht hartnäckiges bedrohliches Wiederholen einer Forderung. Nein, Gott erhört das vertrauensvolle Beten seiner Auserwählten und reagiert unverzüglich.

Die Eckpunkte dieses Gleichnisses stimmen, sonst wäre es ja kein Gleichnis: Gott ist der, der die Macht hat uns Recht zu verschaffen, und wir sind die, die vor ihn treten und begehren müssen, was uns auf Grund der göttlichen Verheißungen zusteht. Wir müssen aber festhalten, dass es in diesem Gleichnis nicht darum geht, wie wir Gott überreden können, uns die schönen Dinge des Leben zu geben, die wir gerne hätten – ein tolles neues Auto, einen sonnigen Urlaub, oder doch zumindest anhaltende Gesundheit und wachsendes Einkommen. Nein, sondern es geht von Anfang bis Ende um das was uns zusteht, was uns aber ein starker Gegner streitig machen will. Gott hat es uns versprochen und wir wollen darauf nicht verzichten. Nur er kann uns zu unserem Recht verhelfen und er wird es auch tun.

Aber auch auf den letzten Vers wollen wir noch eingehen, es geht in diesem Gleichnis nicht nur um Beten und um Recht-Verschaffen. Hier ist auch von der Wiederkunft des Menschensohnes die Rede. Das wird sowohl im letzten Satz (V8), wie auch im literarischen Zusammenhang deutlich. Vor dem Gleichnis spricht Jesus bereits vom Kommen des Gottesreiches (Luk 17:22-37). Das hilft uns dann auch das Wort »in Kürze« besser zu verstehen. (V8 Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.)
Das griechische Wort heißt »tachei« (=bald). Andere Übersetzer haben es mit unverzüglich wiedergegeben. Oft wird dieses griechische Wort im Zusammenhang mit dem zweiten Kommen des Herrn Jesus verwendet (Off. 22,6.7.12.20;).

Wir müssen eben auch aufpassen, dass wir nicht die falsche Art von »Recht-Schaffen« erwarten! Ich fühle mich ungerecht behandelt. Auf was hoffe ich? Dass ich am Ende des Tages als der Unschuldige erkannt werde? Will ich nur, das mein Gegner möglichst gleich bloßgestellt wird? Oder will ich gar, dass Gott für mich Rache ausübt? Gott will sein Reich aufrichten und es wird ein Reich der Gerechtigkeit sein, in der jeder bekommt was ihm zusteht. Und Gott sagt: »bald!« soll es geschehen. Ihr müsst die Ungerechtigkeiten dieser Welt nur noch eine kleine Weile aushalten. Dann kommt die Zeit der Gerechtigkeit und auch der Vergeltung. Aber vor allem kommt dann eine neue Zeit, in der es kein Leid mehr gibt. Das wird nach biblischen Begriffen in Kürze geschehen!

Natürlich kommt es uns nicht kurz vor und viele von uns schreien, so wie die Heiligen unter dem Altar in Off. 6: „Wie lang zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten?“ Aber genau so wie ihnen wird auch uns gesagt, „Nur noch kurze Zeit, bis die Vollzahl erreicht ist!“ (Off. 6,9-11) ... dann wird alles anders werden. Wenn es dann geschehen sein wird und Leid und Schmerz hinter uns liegt, im Lichte der ewigen Herrlichkeit, dann werden wir sagen: wahrlich, der Herr kam unverzüglich, es war nur eine kurze Zeit gewesen sein. Und er ist »bald« wieder gekommen.

Und so wie die Stimme Gottes in Offenbarung 6 seinen verfolgten Auserwählten Trost und Zuversicht spendete und es heute noch tut, so soll auch Jesu Gleichnis in Lukas 18 seinen entmutigten Nachfolgern den Weg des Gebets zeigen. »Wenn ihr Euch auf dem Weg der Nachfolge ungerecht behandelt fühlt, betet! Gebt nicht auf, Gott ist nicht unwillig, sondern er eilt, das Werk zu vollenden, damit das neue Reich Gottes sichtbar werden kann.« Schiebt von euch alle trüben Gedanken, er wird es tun und wir werden es erleben, wie unsere Sonne aufgeht und uns neu aufleben lässt.

Lukas 18 enthält eine große Ermutigung zu beten und nicht in Hoffnungslosigkeit zu versinken. Wir sind aufgerufen, uns Tag und Nacht (zu jeder Zeit, egal was uns bedrückt) Gott zuzuwenden, voller Vertrauen, dass er hört und antwortet. Wir kommen nicht zu ihm mit unendlichen Wiederholungen unserer Gebete, hoffend, dass wir Gott noch zu irgend etwas überreden können, sondern wir beten, weil wir darin Trost finden, wissend, dass Gott zur Ehre seines eigenen Namens handelt wird – bald! Und wenn dann Jesus auch heute fragt,
»Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?«, was werden wir dann antworten können? »Ja, Herr.?« Antworten wir doch heute jeder für sich: »Ja, Herr, ich vertraue Dir!«

Amen!