Psalm 105 – Gottes Heilstaten in Israels Frühzeit 

Die Bibel ist ein Geschichtsbuch. Das ist eine Tatsache, die viel zu wenig beachtet wird. Viele meinen, die Bibel ist ein Lehrbuch. Das AT lehrt die jüdische Religion und das NT die christliche. Doch das ist nicht richtig. Die Bibel enthält nur wenig systematische Lehrkapitel, wie etwa die 10 Gebote in den Mosebüchern, oder im Neuen Testament den Römerbrief. Und selbst diese Kapitel sind eingebettet in eine Geschichte. Die Mosebücher sind historische Berichte darüber, was gläubige Menschen mit Gott erlebten. Also schon im Alten Testament war die Lehre in die Historie eingebettet. Man lehrte indem man die Geschichten erzählte. Es ist offensichtlich Gottes Wille, dass wir nicht durch theoretische Abhandlungen und dem Auswendig-lernen von Dogmen lernen, sondern durch das was andere Menschen ganz praktisch mit Gott erlebten. Das ist es, was uns zur Weisheit führt die viel höher ist als alles erlernte Wissen.

Auch der Römerbrief, in dem Paulus seine ganze, ihm von Gott gegebene Theologie ausbreitete, so wie zu seiner Zeit es nur er konnte, auch dieser Brief ist eben ein Brief, geschrieben in eine ganz bestimmte geschichtliche Situation hinein, an die Gläubigen in der Weltstadt Rom, in der damaligen Zeit. Am Ende grüßt er sogar einzelne Personen mit Namen und teilt seine Reiseplänen mit, also alles, was man in einer dogmatischen Abhandlung nicht machen würde. Das hat auch seinen Sinn. Denn es geht auch in dieser Zeit des Neuen Testaments immer in erster Linie um die Begegnung mit Gott. Es geht um die Geschichte Gottes mit den Menschen. Ja wenn ich es zugespitzt ausdrücken möchte, muss ich sagen, es geht um Deine und meine persönliche Geschichte mit Gott. Wie stellt sich diese dar? Jeder von uns, wenn er berechtigterweise in dieser Gemeinde ist, hat eine Geschichte mit Gott zu erzählen. Ein ganz persönliches Zeugnis, das nur er hat, das lassen wir uns ja erzählen, bevor wir jemanden taufen. Da gibt es zwar Übereinstimmungen, Gott widerspricht sich nicht in seinen Handlungen, deshalb kann man ja aus der Summe der Erfahrungen die Menschen mit Gott gemacht haben, durchaus Lehren ziehen, wie wir das ja auch tun, bei den Berichten der Bibel, die wir für hunderprozent zuverlässig halten. Dennoch bleiben die Zeugnisse eines jeden Einzelnen persönlich und individuell verschieden. Gott handelt nicht mit allen gleich.


Das alles können wir auch bei den Psalmen beobachten, den Gebeten und Liedern des alten Testaments. Sie sind das was man als Reflexionen, als Antworten der Menschen bezeichnen kann auf ihre wahrgenommene Geschichte mit Gott. Ein Mensch erkennt, dass Gott gehandelt hat, er fühlt sich von Gott angesprochen und er antwortet, schreibt nieder was er empfindet und denkt. Wir finden in ihnen Dankbarkeit, Anbetung, aber auch Zweifel, Bitten und Flehen – dann wenn man zwar Gottes Handeln wahrnimmt und glaubt, aber es nicht versteht. Ein Psalmist schreibt nieder, was er empfindet und kommt im Zuge dessen auch zu Gedanken, die in ihm Erkenntnisse bilden, auch diese finden ihre Niederschrift und werden somit späteren Generationen als Lehre weitergereicht. Das ist eine natürliche Art des Lernens, die dem Wesen des Menschen sehr viel mehr entspricht, als die schulische Wissensvermittlung unserer modernen Zeit. Menschen lasen die Geschichten und erzählten sie sich. Geschichten sind leicht zu merken und transportieren die Erkenntnisse und Lehren weit besser als theoretische Abhandlungen das tun. Diese Art des Lernens war und ist charakterbildend und deshalb tun wir gut daran, die biblischen Geschichten immer und immer wieder zu lesen.

Gottes Geschichte mit seinem Volk

Aber noch etwas müssen wir beachten, dass es nämlich nicht nur um die Geschichte Gottes mit einzelnen Menschen geht, sondern immer auch um die Geschichte Gottes mit einem ganzen Volk. Es ist schon etwas besonderes, wenn sich im Leben einzelner Menschen das Handeln Gottes erkennen lässt. Wenn es aber ein ganzes Volk ist, dann ist das noch etwas viel Bedeutenderes. Wer kann schon von einem Einzelnen sagen, wie zuverlässig seine Berichte sind. Er muss nicht einmal ein falscher Prophet sein, es kann ja auch sein, dass jemanden die eigene Fantasie einen Streich gespielt hat. Wie soll man da wissen, ob ein Bericht ernst zu nehmen ist? Wenn aber mehrere übereinstimmend Ähnliches berichten, dann ist das schon überzeugender. Aber nichts ist so überzeugend, als wenn eine Gruppe von Menschen – ein Volk eben – in seiner Geschichte nachweisen kann – und hier geht es nicht um Legenden – dass Gott seine Hand im Spiel hatte.

Im Neuen Testament würden wir sagen, dass die Gemeinde das Volk Gottes ist. Von ihr hat Christus aber gesprochen als von einem Geheimnis, denn die Gemeinde ist nicht gleichzusetzen mit dem Christentum. Wenngleich auch das Christentum an sich ein Wunder ist, wie es sich über die zwei Jahrtausende ausgebreitet und viele Völker und Kulturen beeinflusst hat. Aber die Geschichte des Christentums ist doch auch so durchsetzt von Irrtümern und Merkwürdigkeiten die sich nicht mit dem vertragen, was die Bibel uns von Gott sagt, dass es kaum jemanden einfallen würde, diese Geschichte aufzuschreiben und ihr den Stellenwert eines Heiligen Buches, ähnlich dem des Alten Testaments zuzuweisen. Nein, die Beschreibung der Geschichte der Gemeinde, dem neutestamentlichen Volk Gottes hat mit dem Abschluss des neuen Testaments sein Ende gefunden und ist seither ein geschichtliches Geheimnis, das seine Offenbarung am Ende der Zeit erfährt, wenn Jesus wiederkommt und mit ihm, wie es heißt, seine Heiligen. Jesus hat ja im Bezug auf die Gemeinde das Bild geprägt von dem Feld, auf das der gute Same gestreut ist, der auch aufgeht. Doch dann kommt der Feind und sät den schlechten Samen dazwischen und die weise Entscheidung des Herrn der Ernte ist, die Trennung erst nach der Ernte vorzunehmen, in dieser Zeit wächst also beides ungehindert, das Echte und das Falsche und das macht es schwierig, die Frucht zu sehen. Es ist uns auch nicht erlaubt, dieses Gericht vorweg zu nehmen.

Im Alten Testament war das aber ein wenig anders. Da war das Volk Gottes ein ethnisches Volk. Es waren die Nachkommen Abrahams, an denen Gott gehandelt hat und daraus ergab sich ein ganz besonderes Zeugnis in der Geschichte der Menschheit, das Zeugnis des Volkes Israel, von dem uns die Bibel berichtet. Wir wollen uns heute und in meinen nächsten beiden Predigten mit drei Psalmen beschäftigen, die uns diese ganze Geschichte Israels, mit seinen Höhen und Tiefen sozusagen im Zeitraffer vor Augen führt. Es sind dies die Psalmen 105, 106 und 107.

In meiner Lutherbibel sind diese Psalmen folgendermaßen betitelt:
105 Lob Gottes für seine Heilstaten in Israels Frühzeit
106 Gottes Gnade und Israels Undank
107 Danklied der Erlösten
Das zeigt uns schon, dass diese drei Psalmen zusammen gehören. sie bilden die gesamte Zeit der Geschichte Israels ab.
Psalm 105 reicht von der Erwählung Abrahams bis zum Auszug der Nachkommen Jakobs aus Ägypten unter Moses. Der Psalm 106 beschäftigt sich mit der Zeit des Moses, dem Abfall des Volkes im Lande Kanaan und dem darauffolgenden Gericht Gottes durch die Zerstreuung. Der Psalm 107 aber spricht zuletzt von der Wiederannahme des Volkes und der Zurückführung in das Land der Verheißung.

Alles zusammengenommen fühlt man sich an die Aussage des Apostel Paulus in 2. Tim. 3:13 erinnert: »Sind wir untreu, so ist er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.«

Ein ganzes Volk erlebt also im Verlauf der Geschichte der Menschheit Erwählung, Verwerfung auf Grund von Sünde, und Wiederannahme. Dies ist so einzigartig, dass man es nicht anders deuten kann, als ein Wunder vor unseren Augen, wenn man die Heilige Schrift ernst nehmen will.

Es gibt eine Anekdote von Friedrich dem Großen – dieser war ein große Spötter und Religionsverächter. Dass er auch gesagt hatte: »in meinem Reich kann jeder nach seiner Fasson selig werden«, war wohl nicht das Ergebnis großer Einsicht, sondern weil ihm theologische Fragen schlicht auf die Nerven gingen. Aber schließlich musste auch er als König sich damit gelegentlich auseinandersetzen und dabei wollte er einmal den Theologen Christian Fürchtegott Gellert in Verlegenheit bringen indem er ihn fragte: „Nenne Er mir einen einzigen Gottesbeweis, aber kurz, ich habe wenig Zeit!“ Da antwortete der kluge Mann mit einer Verbeugung: „Majestät, die Juden“.

Diese Wahrnehmung ist sozusagen universell. Da gibt es ein Volk, das hat im Gegensatz zu anderen ethnischen Völkern eine außergewöhnliche Geschichte und es existiert heute noch, obwohl es immer viele Feinde hatte und hat. Andere Völker sind längst unter gegangen, aber die Juden gibt es noch und sie scheinen als Volk alle Widerwärtigkeiten zu überstehen, die in ihrer Geschichte zahlreich sind. Die Juden machen heute mit ca. 14 Millionen Menschen, nur 0,2% der Weltbevölkerung aus. Davon leben 6,1 Mio. in Nordamerika, 5,3 Mio. in Israel wo sie ca. 76% der Bevölkerung bilden, und 2 Mio. leben in Europa. Also immer noch ein eher kleines Volk, selbst nach einer mindestens dreieinhalb Jahrtausend alten Geschichte, aber niemand würde sie als ein unbedeutendes Volk bezeichnen, das waren sie nie und werden es nie sein.

Israels große Zeit unter David und Salomo liegt beinahe 3000 Jahre zurück. Es war eine sehr kurze Zeit der Herrlichkeit. So kurz, dass es davon nur wenige archäologische Spuren gibt, weniger als von anderen Hochkulturen die oft viele Generationen in einer Region dominierten, wie zum Beispiel die Ägypter oder Babylonier. Das Schicksal dieses Volkes war ja auch die meiste Zeit schwer und was Gott sich erwählte, war nicht groß, herrlich und stark, sondern die meiste Zeit schwach und unscheinbar. Deshalb offenbart die Geschichte Israels auch fortwährend die Gnade Gottes und sein barmherziges Wesen. Lesen wir nun die ersten 15 Verse des 105. Psalmes, der uns die Erwählung Israels berichtet:

(1) Danket dem Herrn und rufet an seinen Namen; verkündigt sein Tun unter den Völkern! (2) Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern! (3) Rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen! (4) Fraget nach dem Herrn und nach seiner Macht, suchet sein Antlitz allezeit! 5 Gedenket seiner Wunderwerke, die er getan hat, seiner Zeichen und der Urteile seines Mundes, (6) du Geschlecht Abrahams, seines Knechts, ihr Söhne Jakobs, seine Auserwählten! (7) Er ist der Herr, unser Gott, er richtet in aller Welt. (8) Er gedenkt ewiglich an seinen Bund, an das Wort, das er verheißen hat für tausend Geschlechter, (9) an den Bund, den er geschlossen hat mit Abraham, und an den Eid, den er Isaak geschworen hat. (10) Er stellte ihn auf für Jakob als Satzung und für Israel als ewigen Bund (11) und sprach: »Dir will ich das Land Kanaan geben, das Los eures Erbteils«, (12) als sie noch gering waren an Zahl, nur wenige und Fremdlinge im Lande. (13) Und sie zogen von Volk zu Volk, von einem Königreich zum andern. (14) Er ließ keinen Menschen ihnen Schaden tun und wies Könige zurecht um ihretwillen: (15) »Tastet meine Gesalbten nicht an, und tut meinen Propheten kein Leid!«

Alle drei Psalmen fangen an mit den Worten »Danket dem Herrn«. Israels Geschichte, so leidvoll sie auch stellenweise war, ist ein Grund zur Dankbarkeit und zwar nicht nur für Israel, sondern wie wir hier lesen, für alle Völker. Unter allen Völkern soll sein Tun verkündigt werden und es ist klar, dass damit gemeint ist, was er an Israel getan hat. Warum hat er sich denn ein Volk erwählt? Weil er an diesem Volk sich exemplarisch verherrlichen wollte, so wie er dies zwar an allen Völkern tun will, aber da war und ist kein Volk, das ihn erwählt hätte, deshalb hat er sich selber eines erwählt. Seine Wunderwerke, wie es hier heißt, seine Macht und sein Ruhm, sollten dadurch allen Völkern kund werden, damit sie ihn preisen.

Als Abraham aus seines Vaters Haus ging. Zu einer Zeit in der es schon viele Völker gab, aber keines, das dem Herrn, dem Schöpfer Himmels und der Erde diente, da sprach Gott zu ihm, einem einzelnen Mann: »gehe in ein Land das ich Dir zeigen werde, Du wirst dort ein Fremder sein, aber Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben auf immer und ewig.« Das war die Verpflichtung die Gott eingegangen ist, er schwor es nicht nur Abraham, sondern auch danach dessen Sohn Isaak und seinem Enkelsohn Jakob, aus dessen 12 Söhne dann dieses Volk Israel wurde. Alles das, was wir im 1. Buch Moses nachlesen können, ist hier in diesen ersten Versen des Psalms erfasst, auch die vielfache Bewahrung, die die Erzväter – wie Abraham, Isaak und Jakob auch genannt werden – erlebten. Keiner konnte den Fremden, den Hebräern (Fremdlinge), wie sie geringschätzig genannt wurden, auch nur ein Haar krümmen. Sie lebten in einem Land das ihnen noch nicht gehörte, aber sie lebten in Wohlstand und Frieden. Wann immer sich einer mit ihnen anlegte, zog er den kürzeren, ob das der Pharao von Ägypten war, der sich in Abrahams Frau Sarah verliebte, oder jene Gruppe von Königen, die mit den Sodomitern Krieg führten. In diese Auseinandersetzung geriet der Neffe Abrahams, Lot. Und Abraham befreite ihn in einer spektakulären Aktion, was ihm den Ruf eines Propheten Gottes einbrachte, dem man nicht schaden konnte, und dieser Ruf ging auch über auf seine Kinder. Eigentlich lebten sie ganz gut in dem Land, das ihnen noch nicht gehörte.

Aber die Geschichte nahm dann eine Wende und führte zunächst einen von ihnen nach Ägypten, wir lesen in V. 16-23
(16) Und er ließ eine Hungersnot ins Land kommen und nahm weg allen Vorrat an Brot. (17) Er sandte einen Mann vor ihnen hin; Josef wurde als Knecht verkauft. (18) Sie zwangen seine Füße in Fesseln, sein Leib musste in Eisen liegen, (19) bis sein Wort eintraf und die Rede des Herrn ihm Recht gab. (20) Da sandte der König hin und ließ ihn losgeben, der Herr über Völker (gemeint ist der Pharao), er gab ihn frei. (21) Er setzte ihn zum Herrn über sein Haus, zum Herrscher über alle seine Güter, (22) dass er seine Fürsten unterwiese nach seinem Willen und seine Ältesten Weisheit lehrte. (23) Und Israel zog nach Ägypten, und Jakob ward ein Fremdling im Lande Hams.

Diese Menschen, die Gott sich da erwählt hatte, sie waren nicht das, was man sich unter Heiligen vorstellt. Wusste Gott das nicht? Doch, er wusste es. Schon bei Abraham und Isaak können wir Fehler entdecken, mehr noch bei Jakob und seinen Söhnen. Einer von den zwölf Brüdern, nämlich Josef, wurde von den anderen als Sklave verkauft, es war der Lieblingssohn Jakobs und sie taten es aus purer Eifersucht. So gelangte Joseph nach Ägypten. Aber diese Geschichte ist keine Fehlentwicklung, sondern es zeigt sich, dass sie dazu gehört und der Psalm stellt es auch so dar, als etwas, was Gott so geführt hatte, denn über Kanaan sollte eine große Hungersnot kommen.

Hier beginnt nun eigentlich erst das Wirken Gottes an seinem Volk. Denn nicht in Kanaan, sondern in Ägypten sollte Israel zu einem großen Volk werden und seine Geschichte als ethnische Nation beginnen. Der Anfang dieser Geschichte sollte aber typisch werden für das weitere Schicksal Israels und seiner Nachkommen: Josef gelangte von der Knechtschaft zur Herrschaft. So sollte es auch dem ganzen Volk einst ergehen und so ergeht es ihm immer noch. Es wird hier von vornherein ein geistliches Prinzip festgelegt. Diesem Prinzip sollte sich einst sogar Jesus Christus, der Messias selber unterwerfen. Man sagt nicht von ungefähr, dass das Leben Josefs eine Typologie auf Jesus ist. Eine typologisches Bild, deren es viele in der Bibel gibt, nimmt vorweg, was später in einen größeren Ausmaß wieder geschehen wird. Es ist wie der Schatten eines Ereignisses der vorausgeworfen wird.

Dieser Joseph, der also von den eigenen Brüdern verkauft wurde, hätte in Ägypten keine Chance gehabt. Zuerst ging es noch tiefer bergab. Er landete unschuldig im Gefängnis, wo Gott ihm zu einen Propheten machte. Und als der Pharao das erfuhr und ihn in seinen Dienst rief, da geschah das, was hier in V. 19 so schön ausgedrückt wird: »Sein Wort traf ein und die Rede des Herrn gab ihm recht!« Wir kennen ja die Geschichte, die uns berichtet wird, von dem Traum des Pharao, den niemand deuten konnte, als allein Joseph. Das war ein Ereignis, das den König dazu veranlasste, Joseph die ganze Herrschaft im Lande zu unterstellen. Kein Aufstand war dazu nötig gewesen, keine Intrigen und kein menschliches Eingreifen. Gottes Wort erfüllte sich und brachte Joseph zur Herrschaft. Das ist es, was wir auch bei Jesus finden. Als er kam, war er der Gottesknecht, der diente und litt. Er kam in großer Armut auf die Welt und wurde trotz seiner Weisheit verraten und verkauft. Nichts und niemand setzte sich für ihn ein und half ihm. Aber Gottes Wort erfüllte sich auch in ihm und er erweckte ihn von den Toten, wie es von ihm vorausgesagt worden war. Nun herrscht er zur Rechten Hand Gottes und wartet, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden, wie es in Psalm 110:1 heißt. Wer aber waren die Feinde Josefs in diesem typologischem Bildereignis?
Es waren seine Brüder, die tatsächlich zu seinen Füßen lagen, ohne es zu wissen und um ihr Leben flehten. Sie waren gekommen um der Hungersnot zu entrinnen und waren Josef der inzwischen Großkanzler von Ägypten war, in die Hände gelaufen. Hier zeigt sich nun die Größe Josefs, der seinen Brüdern nicht nur vergab, sondern sie und den alten Vater Jakob nach Ägypten holte, wo sie vor dem Hungertod sicher waren.

Das Schicksal Israels ist in dieser Frühgeschichte bereits in seiner prophetisch-historischen Dimension vorgezeichnet. Haben wir ein Recht auf die Juden mit Finger zu zeigen und sie anzuklagen, weil sie den Herrn Jesus an die römischen Henker auslieferten? Den Juden wurde das als Volk oft zum Vorwurf gemacht, dass sie Jesus getötet hätten. Aber so wie die Brüder Josefs nicht wussten, dass Gott ihn dazu erwählt hatte, um sie zu retten, so wussten das auch die Juden zur Zeit Jesu nicht, wenn sie nicht im Glauben Einsicht erlangten und diese Einsicht hatte Gott nur wenigen Juden geschenkt. Abgesehen davon, waren es schlussendlich die Römer die ihn hinrichteten und die taten das in Vertretung der Heidenvölker ausdrücklich wider besseres Wissen, wie an Pilatus deutlich wird. »Ich finde keine Schuld an ihm«, waren seine Worte und dann ließ er ihn doch kreuzigen. Aber wie immer es auch war, auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen und es wird sich erfüllen, dass Israel Gnade widerfährt und zwar ausgerechnet von dem, den sie ausgeliefert hatten. Wie damals bei Josef, wird es wieder sein, wenn Jesus kommt, das bezeugt das prophetische Wort.

Warum aber diese Gnade, trotz der Schwere der Schuld? Das ist ganz einfach zu erklären: Das, wovon hier die Rede ist, ist ja noch nicht der Bund des Gesetzes, den Israel später gebrochen hat, sondern es ist der Bund der Erwählung. Diesen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob kann Israel aber gar nicht brechen, weil er keine Bedingungen stellt, die zu brechen wären. Dieser Bund lautet ganz schlicht und einfach: (1. Mose 17:8) »Und ich will dir und deinem Geschlecht nach Dir, das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz, und will ihr Gott sein.« Das ist eine Verheißung, ein Versprechen Gottes, das nicht aufgehoben werden kann. Eine Missetat kann es vielleicht verzögern, aber nicht aufheben. Die Schandtat der Brüder Josefs führte diese nach Ägypten, also weg vom Lande der Verheißung, aber nicht, weil Gott es sich anders überlegt hatte, sondern weil Gott dieses Volk in Ägypten für seine Zwecke vorbereiten wollte. Gott war noch lange nicht am Ziel mit ihm. Lesen wir weiter.

(24) Und der Herr ließ sein Volk sehr wachsen und machte sie mächtiger als ihre Feinde. (25) Diesen verwandelte er das Herz, dass sie seinem Volk gram wurden und Arglist übten an seinen Knechten. (26) Er sandte seinen Knecht Mose und Aaron, den er erwählt hatte. (27) Die taten seine Zeichen unter ihnen und seine Wunder im Lande Hams. (28) Er ließ Finsternis kommen und machte es finster; doch sie blieben ungehorsam seinen Worten. (29) Er verwandelte ihre Wasser in Blut und tötete ihre Fische. (30) Ihr Land wimmelte von Fröschen bis in die Kammern ihrer Könige. (31) Er gebot, da kam Ungeziefer, Stechmücken in all ihr Gebiet. (32) Er gab ihnen Hagel statt Regen, Feuerflammen in ihrem Lande (33) und schlug ihre Weinstöcke und Feigenbäume und zerbrach die Bäume in ihrem Gebiet. (34) Er gebot, da kamen Heuschrecken geflogen und gekrochen ohne Zahl; (35) sie fraßen alles, was da wuchs in ihrem Lande, und fraßen auch die Frucht ihres Ackers. (36) Er schlug alle Erstgeburt in Ägypten, alle Erstlinge ihrer Kraft.

Was Israel erleben musste, war, dass Ägypten eben nicht ihr Land war. Die 400 Jahre in denen sie sich darin aufhielten, machten zwar aus den 12 Stämmen Israels ein starkes Volk, doch sie blieben die Hebräer, die Fremdlinge als die sie gekommen waren, auch nach so langer Zeit. Eine Integration war nicht möglich, wahrscheinlich auch wegen zu unterschiedlichen Ansichten über Glaubensfragen. Wir kennen ja die Mythologie der Ägypter sehr gut und wissen, wie sehr sie sich von dem unterscheidet, was uns die Bibel über Gott berichtet. Weil das Volk Israel aber doch stark und mächtig wurde, begannen Neid und Missgunst das Klima im Lande Hams, wie Ägypten hier genannt wird, zu vergiften und zur Zeit des Moses war Israel in eine unerträgliche Sklaverei geraten, aus der es sich nicht mehr befreien konnte.

Genau hier nun, am ersten Tiefpunkt der Geschichte des Volkes Gottes, kommt es auch zum ersten großen Machterweis Gottes. Hier steht nun Gott zu seinem Volk und er beruft Moses, stellt ihm seinen Bruder Aaron zur Seite und fordert durch diese beiden Männer vom Pharao, das Volk frei zu geben und es ziehen zu lassen, damit er sein Versprechen, das er Abraham gegeben hat, wahrmachen könne. Vierhundert Jahre sind ja nach menschlichen Maßstäben keine kurze Zeit. Die meisten Leute in Israel könnten das alles schon vergessen haben. Doch Moses wußte offensichtlich darum und er glaubte der Verheißung, sonst hätte er sich dem Pharao nicht entgegen gestellt. Moses war kein Draufgänger, kein revolutio¬närer Haudegen, sondern ein einfacher Mann, der am liebsten bei den Schafen seines midianitischen Schwiegervaters Jithro geblieben wäre, fernab von dem Elend seiner Volksgenossen und der ihm verhassten Eitelkeit des ägyptischen Hofes, an dem er aufgewachsen war. Aber schlussendlich folgte er doch dem Ruf Gottes und wurde nicht enttäuscht.

Enttäuschend aber ist das Verhalten des Pharaos. Wie kann sich ein Mensch Gott so entgegenstellen? Wie kann er dieser Macht so frech trotzen? Er ist zu einem markanten Beispiel dafür geworden, wie sich Menschen gegen Gott verhärten können. Diese Plagen, die da über das ganze Land kamen und es ruinierten, sie bewegten den stolzen Pharao nicht, der in seiner Selbstherrlichkeit jeden Realitätssinn verloren hatte. Nach diesen Auseinandersetzungen hatte Ägypten für viele Jahrhunderte seine weltpolitische Vormachtsstellung verloren. Dies alles aber geschah, ohne das ein einziger Israelit zur Waffe gegriffen hätte. Es war Gott, der für sie in den Kampf gezogen ist. Auch hier erwies sich wieder die Treue Gottes an seinem Volk.

Weiter heißt es:
(37) Er führte sie heraus mit Silber und Gold; es war kein Gebrechlicher unter ihren Stämmen. (38) Ägypten wurde froh, dass sie auszogen; denn Furcht vor ihnen war auf sie gefallen. (39) Er breitete eine Wolke aus, sie zu decken, und ein Feuer, des Nachts zu leuchten. 40 Sie baten, da ließ er Wachteln kommen, und er sättigte sie mit Himmelsbrot. (41) Er öffnete den Felsen, da flossen Wasser heraus, dass Bäche liefen in der dürren Wüste. (42) Denn er gedachte an sein heiliges Wort und an Abraham, seinen Knecht. (43) So führte er sein Volk in Freuden heraus und seine Auserwählten mit Jubel (44) und gab ihnen die Länder der Heiden, dass sie die Güter der Völker gewannen, (45) damit sie seine Gebote hielten und seine Gesetze bewahrten. Halleluja!

Nun waren sie also wieder frei und die Ägypter waren froh, wie es heißt, sie los geworden zu sein. Nicht der Pharao, denn der hetzte noch überflüssigerweise seine ganze Armee in den Tod, wie wir aus dem 2. Buch Moses wissen. Aber für das einfache Volk in Ägypten war der Kampf zuende und sie überschütteten die abziehenden Israeliten mit Gold und Silber, damit sie nur ja gingen. Gott führte das Volk nicht auf dem direkten Weg ins verheißene Land, zuerst ging es in die Wüste. Denn nun war es Zeit, dass dieses Volk, das er erwählt hatte, von ihm lernen sollte. Sie waren zwar ohne Vorbedingungen erwählt worden, aber Gott hatte doch ein Ziel, eine Absicht mit ihnen. Er wollte an diesem Volk seinen Willen verwirklicht sehen und ihm ein Gesetz übergeben, nach dem sie leben und handeln sollten.

Dieses Gesetz erhielten sie noch in der Wüste, einem Ort an dem nichts wuchs, an dem sie auf Gedeih und Verderb auf ihren Gott angewiesen waren. An diesem Ort erlebten sie die Fürsorge Gottes und die Schilderung dieser Fürsorge ist der Abschluss des ersten Psalmes über die Geschichte Israels. Die Wolken und die Feuersäule, mit der er Israel den Weg wies, das Manna und die Wachteln, und das Wasser aus dem Felsen, das alles erlebte das Volk Israel in der Wüste, noch bevor sie auch nur ein Gesetz, ein Gebot, eine einzige Bedingung vorgelegt bekamen. Sie erlebten die Gnade Gottes noch immer ohne irgendeinen Verdienst. Keine Stiftshütte, kein Tempel, keine Thora. Sie standen allein im Glauben, dass Gott sein heiliges Wort an Abraham, seinen Knecht erfüllen würde. Darum ist das Volk Israel nicht in erster Linie ein Volk des Gesetzes, sondern ein Volk der Verheißung, das müssen wir immer im Auge behalten. Mit Freuden und mit Jubel wurden sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Deshalb ist Psalm 105 ein Dankespsalm, der mit einem kräftigen Halleluja endet.

Aber es wird auch schon angedeutet, dass Gott mit diesem Volk etwas vor hat. Sie sollten sich darauf einstellen, das er für sie eine Aufgabe hätte, die nicht leicht zu erfüllen sein würde. Davon und von den inneren Kämpfen, die Israel rund um diese Erwählung durchfechten musste, handelt der zweite historisch Psalm 106, von dem im zweiten Kapitel die Rede ist.

Was hat das alles mit uns zu tun, fragt vielleicht einer und ich hoffe dass es nicht allzu viele sind. Denn eigentlich ist es offensichtlich. Wir leben mit demselben Gott. Unser Schicksal verläuft nicht viel anders als das Israels. Wir können aber im Gegensatz zu ihnen an ihrem Beispiel lernen. Wir dürfen nicht urteilen über dieses Volk, denn an welchem Beispiel hätten sie lernen können? Haben sie nicht schon alles exemplarisch vor uns durchmachen müssen, damit wir in den Genuss der Erkenntnis kommen? Es ist die Erkenntnis der Güte und Treue Gottes, aber auch die Erkenntnis, dass Gott ein Ziel hat, mit seinem Volk und mit einem jeden aus dem Volk Gottes und dass er dieses Ziel erreichen will und wird.

Er wird sein Ziel erreichen mit Dir und mit Mir, wenn wir uns wirklich zu seinen Auserwählten zählen dürfen, das ist sicher und das ist bei allem Schweren und Widerwärtigen, was uns in diesem Leben widerfahren kann, ein Grund zu danken.
Danket dem Herrn! Halleluja!
Amen!