Psalm 106 – Gottes Gerechtigkeit und Israels Untreue

Geschichte ist ein heiliges Buch, das noch von niemanden geschrieben wurde, außer die Geschichte Israels. Was möchte ich damit sagen? Es ist nicht nur Israels Geschichte, die bei Gott registriert wird. Wir lesen in der Bibel vom Gericht Gottes und da heißt es, dass Bücher aufgetan werden, eines davon ist das Buch des Lebens, das die Namen aller jenen beinhaltet, die gerettet werden. Aber es gibt offensichtlich noch andere Bücher und ich denke, dass darin auch die Historien der Völker aufzeichnet sind. Es wird ja nicht nur ein Gericht über jeden Einzelnen geben, sondern auch ein Völkergericht, sagt uns die Bibel.

 

Jesus sprach davon in seinen Endzeitreden in Kap. 24 bis 25 des Matthäusevangeliums. Da sagt er in 25:32, dass, wenn er kommen wird: »alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.« Es gibt also ein Geschichte, die unverfälscht ist, die kein Historiker je so erfasst hat. Ich habe ja nicht Geschichte studiert, aber ich kann sagen, dass mir die Beschäftigung mit der Geschichte verschiedenster Epochen und Völker eine Leidenschaft geworden ist. Im allgemeinen versuchen Historiker objektiv zu sein und interpretieren die Fakten sehr vorsichtig. Das müssen sie auch, denn ihr Wissen hat viele Lücken. Bei allem Bemühen, wird es wohl kein Werk der Geschichtsschreibung geben, das wirklich der vollen Wahrheit entspricht und die Urteile der Historiker sind zwangsweise mangelhaft. Ich frage mich immer, wenn ich etwas lese, oder mir in Dokumentationen ansehe, wie würde Gott die Dinge darstellen, oder beurteilen?

Wenn ich die Bibel richtig verstehe, dann tut er das auch, aber sein Urteil wird erst am Ende der Zeiten gesprochen. Bis dahin muss vieles im Verborgenen bleiben und das ist auch gut so, denn wir sind nicht berufen, die Gerichte Gottes vorweg zu nehmen. Es wird eines Tages ohnehin alles ans Licht kommen, davon bin ich überzeugt. Es wird letztendlich nichts geben, weder eine individuelle Tat, noch irgendeinen Vorgang in der Geschichte das sich der Beurteilung Gottes am jüngsten Gericht entziehen kann und sei es noch so gut geheim gehalten worden. Für Menschen, die nach Gerechtigkeit verlangen sei es gesagt, Menschen können sich irdischen Gerichten entziehen, aber nicht dem Gericht Gottes.

Was die Geschichte der Völker betrifft, so ist dieses heilige Buch also versiegelt, wir können zwar manches erahnen, aber haben keinen wirklichen Einblick. Doch es gibt ein Volk, dessen Geschichte wurde laufend von solchen Menschen dokumentiert, die sich Gott zu seinen Propheten erwählt hat. Der wesentlicher Auftrag der Propheten des Volkes Israels war eigentlich nicht die exakte Vorhersage der Zukunft, sondern vor allem das Festhalten der historischen Ereignisse im Volk, in seiner Beziehung zu Gott. So gesehen war jeder Schreiber der Bibel ein Prophet. Propheten waren Historiker die ihre Werke mit Hilfe des Geistes Gottes aus der Sicht Gottes verfassten.

Als Gott sich dieses Volk Israel erwählte, wie wir dies im letzten Kapitel, bei der Betrachtung von Psalm 105 gesehen haben, da hat er zugleich auch Propheten ernannt, durch die er sich dem Volk mitteilte und mit Hilfe derer er dieses Buch von der Geschichte Israels entstehen ließ, das wir heute mit dem Alten Testament in den Händen halten. Wir haben also die Geschichte eines ganzen Volkes, beurteilt aus der Sicht Gottes und das ist etwas ganz Faszinierendes. Wer das Alte Testament nicht in diesem Bewußtsein liest, wird seine Botschaft nicht verstehen. Beim letzten mal haben wir in Psalm 105 die Frühzeit Israels kennen gelernt. Von der Erwählung Abrahams, bis hin zur Volksbildung unter Joseph und dem Auszug aus Ägypten unter Moses. Das Wichtigste an dieser Zeit war der Bund Gottes mit Abraham, der Eid, den Gott ihm geschworen hatte, dass er ihm und seinen Nachkommen das Land schenken werde, in dem Abraham ein Fremdling war, das Land Kanaan. Diese Psalmen sind natürlich keine Geschichtsschreibung, sondern poetische Aufarbeitungen der Geschichte Israels. Da kann es schon sein, dass die Schwerpunkte anders gesetzt sind. So war der 105. Psalm fast in verklärender Weise auf die Frühzeit Israels eingegangen, so als ob da alles noch so problemlos war. Dass das nicht ganz so war, wissen wir ja aus den historisch orientierten Mosebüchern.

Der nächsten Psalm 106, den wir uns heute ansehen wollen, handelt nun von der Zeit in der Israel unter der Leitung des Moses sich auf dem Weg zu Berg Gottes, dem Horeb im Gebirge Sinai machte, wo sie das Gesetz in Empfang nahmen, bis zur Einnahme des Landes und dem was danach geschah. Das ist eine ganz andere Geschichte und mit der Verklärung ist es hier erst einmal vorbei wie wir sehen werden. In bemerkenswerter Ehrlichkeit spricht der Psalmist hier nun offen über das vielfältige Versagen Israels. Lesen wir einmal den ganzen Psalm:

(1) Halleluja! Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. (2) Wer kann die großen Taten des Herrn alle erzählen und sein Lob genug verkündigen? (3) Wohl denen, die das Gebot halten und tun immerdar recht! (4) Herr, gedenke meiner nach der Gnade, die du deinem Volk verheißen hast; erweise an uns deine Hilfe, (5) dass wir sehen das Heil deiner Auserwählten und uns freuen, dass es deinem Volke so gut geht, und uns rühmen mit denen, die dein Eigen sind.

(6) Wir haben gesündigt samt unsern Vätern, wir haben unrecht getan und sind gottlos gewesen. (7) Unsre Väter in Ägypten wollten deine Wunder nicht verstehen. Sie gedachten nicht an deine große Güte und waren ungehorsam am Meer, am Schilfmeer. (8) Er aber half ihnen um seines Namens willen, dass er seine Macht beweise. (9) Er schalt das Schilfmeer, da wurde es trocken, und führte sie durch die Tiefen wie durch trockenes Land (10) und half ihnen aus der Hand dessen, der sie hasste, und erlöste sie von der Hand des Feindes. (11) Und die Wasser ersäuften ihre Widersacher, dass nicht „einer“ übrig blieb. (12) Da glaubten sie an seine Worte und sangen sein Lob.

(13) Aber sie vergaßen bald seine Werke, sie warteten nicht auf seinen Rat. (14) Und sie wurden lüstern in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde. (15) Er aber gab ihnen, was sie erbaten, und sandte ihnen genug, bis ihnen davor ekelte.

(16) Und sie empörten sich wider Mose im Lager, wider Aaron, den Heiligen des Herrn. (17) Die Erde tat sich auf und verschlang Datan und deckte zu die Rotte Abirams, (18) und Feuer wurde unter ihrer Rotte angezündet, die Flamme verbrannte die Gottlosen.

(19) Sie machten ein Kalb am Horeb und beteten das gegossene Bild an (20) und verwandelten die Herrlichkeit ihres Gottes in das Bild eines Ochsen, der Gras frisst. (21) Sie vergaßen Gott, ihren Heiland, der so große Dinge in Ägypten getan hatte, (22) Wunder im Lande Hams und schreckliche Taten am Schilfmeer. (23) Und er gedachte, sie zu vertilgen, wäre nicht Mose gewesen, sein Auserwählter; der trat vor ihm in die Bresche, seinen Grimm abzuwenden, dass er sie nicht verderbe.

(24) Und sie achteten das köstliche Land gering; sie glaubten seinem Worte nicht (25) und murrten in ihren Zelten; sie gehorchten der Stimme des Herrn nicht. (26) Da erhob er seine Hand wider sie, dass er sie niederschlüge in der Wüste (27) und würfe ihre Nachkommen unter die Heiden und zerstreute sie in die Länder. (28) Und sie hängten sich an den Baal-Peor und aßen von den Opfern für die Toten (29) und erzürnten den Herrn mit ihrem Tun. Da brach die Plage herein über sie. (30) Da trat Pinhas hinzu und vollzog das Gericht; da wurde der Plage gewehrt; (31) das wurde ihm gerechnet zur Gerechtigkeit von Geschlecht zu Geschlecht ewiglich.

(32) Und sie erzürnten den Herrn am Haderwasser, und Mose ging es übel um ihretwillen; (33) denn sie erbitterten sein Herz, dass ihm unbedachte Worte entfuhren.

(34) Auch vertilgten sie die Völker nicht, wie ihnen der Herr doch geboten hatte, (35) sondern sie ließen sich ein mit den Heiden und lernten ihre Werke (36) und dienten ihren Götzen; die wurden ihnen zum Fallstrick. (37) Und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den bösen Geistern (38) und vergossen unschuldig Blut, das Blut ihrer Söhne und Töchter, die sie opferten den Götzen Kanaans, sodass das Land mit Blutschuld befleckt war. (39) Sie machten sich unrein mit ihren Werken und wurden abtrünnig durch ihr Tun. (40) Da entbrannte der Zorn des Herrn über sein Volk, und sein Erbe wurde ihm zum Abscheu. (41) Er gab sie in die Hand der Heiden, dass über sie herrschten, die ihnen gram waren.

(42) Und ihre Feinde ängsteten sie, und sie wurden gedemütigt unter ihre Hand. (43) Er rettete sie oftmals; aber sie erzürnten ihn mit ihrem Vorhaben und schwanden dahin um ihrer Missetat willen. (44) Da sah er ihre Not an, als er ihre Klage hörte, (45) und gedachte an seinen Bund mit ihnen, und es reute ihn nach seiner großen Güte. (46) Und er ließ sie Barmherzigkeit finden bei allen, die sie gefangen hielten.

(47) Hilf uns, Herr, unser Gott, und bring uns zusammen aus den Heiden, dass wir preisen deinen heiligen Namen und uns rühmen, dass wir dich loben können! (48) Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk spreche: Amen! Halleluja!


Was wir hier lesen, ist also die Beurteilung Israels als Volk durch den Propheten, denn auch die Psalmisten – wir wissen ja nicht, wer Psalm 105 bis 107 geschieben hat – sind als Propheten anzusehen. Es geht also letztendlich um die Beurteilung des Volkes Gottes durch den Geist Gottes, der durch die Propheten sprach. Und da stellen wir fest, dass es in der Geschichte Israels jede Menge Schuld und Sühne gegeben hat. Da war Versagen und da war Gericht. Es stellt sich also heraus, dass es keineswegs einfach ist, ein Volk Gottes zu sein und dass Gott mit seinem Volk in keinster Weise schonend umgeht. Sein Volk zu sein, war zwar ein Privileg, aber auch eine Last. Denn an diesem Volk sollte das Gericht Gottes über die Völker exemplarisch vorweggenommen werden. Jeder sollte sehen, was Gott von einem Volk erwartet, das sich sein Volk nennt.

Wir sehen aber auch, dass der Psalm dennoch als ganzes nicht Negativ ist. Denn es wird auch sichtbar, dass bei aller Härte und bei allem Gericht, Gott doch sein Volk liebt und sich immer wieder erbarmt. Es zeigt sich, dass Gott dieses Volk zu seinem Ziel bringen kann und dass es sich lohnt, das Gericht Gottes anzunehmen und bei ihm zu bleiben, denn sein Erbarmen ist größer als sein Gericht, wenn es um sein Volk geht und es ist zu jederzeit Hilfe von ihm zu erwarten.

So beginnt der Psalm auch, wie schon der 105. geendet hat, mit einem kräftigen Halleluja!, also einem Lobpreis und er fordert auf, dem Herrn zu danken, genau damit hat auch der 105. Psalm begonnen. Das verbindet die drei Psalmen auch, nicht nur, dass sie sich alle drei intensiv mit der Geschichte Israels beschäftigen, sondern auch dass sie eine Aufforderung darstellen, Gott für diese Geschichte Israels in ihrem vollen Umfang zu danken. Denn was dann folgt sind eine Aufzählung einer Reihe einzelner Ereignisse, in denen immer wieder deutlich wurde, wie Gott trotz des Versagens seines Volkes zu ihm stand.

Freilich ist es nur eine kleine Auswahl der Geschichten, die uns dieser Psalm berichtet. Denn, »wer kann die großen Taten alle erzählen und seinen Lob genug verkünden?« heißt es in Vers 2. In diesem Rahmen eines gottesdienstlichen Psalms ist es natürlich nicht möglich und auch nicht in dieser Predigtserie. Aber es ist wichtig, dass wir es uns doch immer so weit als möglich bewusst machen, was Vers 5 sagt, zu: »sehen, das Heil seiner Auserwählten und sich daran freuen, dass es seinem Volke so gut geht«, das ist eine therapeutische Übung gegen Mutlosigkeit, die wir immer wieder dringend notwendig haben.

Wir sind in unserer Sicht doch immer wieder auf das Gegenwärtige fixiert. Was innerhalb eines kleinen Zeitraumes in unserem Leben geschieht, kann oft sehr erdrückend sein und es raubt uns die Freude. Doch die Ermahnung des Psalms ist, dass wir eben auf das sehen, was war und wie es in der Vergangenheit doch immer wieder sichtbar wurde, dass Gott zu seinem Volk stand, dann werden wir auch in den Zeiten der Not zu seiner Freude durchdringen. Denn vergessen wir nicht, dieser Psalm will uns die Augen öffnen für das Wunderbare an der Erwählung Israels, auch wenn seine Geschichte durchsetzt ist von vielen negativen Ereignissen, von denen hier einige berichtet werden. Nicht weil dies ein Volk war, das so überragend besser war als andere Völker, hat Gott es sich erwählt, sondern gerade weil dies ein Volk war, das so widerspenstig, so eigensinnig und eigentlich so normal war, wie alle anderen Völker. Daran wird die Gnade Gottes deutlich, dass er gerade mit so einem Volk sein Ziel erreicht hat und noch erreichen wird, wie wir sehen werden.

Der Weg Israels aus der Sklaverei brachte es bereits an den Tag, dass ein Volk sich nicht alleine dadurch positiv verändert, dass man ihm die drückende Last einer Gewaltherrschaft von den Schultern nimmt. Das wird in den Versen 6-12 deutlich, in der Geschichte am Schilfmeer:
(6) Wir haben gesündigt samt unsern Vätern, wir haben unrecht getan und sind gottlos gewesen. (7) Unsre Väter in Ägypten wollten deine Wunder nicht verstehen. Sie gedachten nicht an deine große Güte und waren ungehorsam am Meer, am Schilfmeer. (8) Er aber half ihnen um seines Namens willen, dass er seine Macht beweise.

Es zeigt sich, dass Gott hier kein Volk erwählt hatte, das schon wusste was Dankbarkeit bedeutet. Es waren nicht viele, die Gott vertrauten, obwohl sie die großen Taten gesehen hatten, die Gott durch Mose getan hatte, als er sie aus der Hand des Pharaos befreite. Denn noch hatten sie Ägypten kaum verlassen, waren sie schon ungehorsam und verzagten, anstatt zu vertrauen. Sie waren nämlich aus der Sicht der Ägypter in eine Falle geraten. Vor ihnen das Meer, das sie nicht überqueren konnten und hinter ihnen die Armee, das letzte Aufgebot des Pharao, mit dem er sich an den Israeliten rächen wollte. Als sie diese Heerschar heranstürmen sahen, machten sie Moses bittere Vorwürfe, dass er sie in diese Lage gebracht hatten. »Es wäre besser gewesen den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben«, schleuderten sie ihm entgegen. (2. Mose 14:10-12). Mose versuchte zu beruhigen indem er sagte: »Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.« Doch das half nichts, sie glaubten es nicht, bis sie sahen, wie Moses seinen Stab ausstreckte und sich das Meer teilte. In V 9-12 wird es hier berichtet:
(9) Er schalt das Schilfmeer, da wurde es trocken, und führte sie durch die Tiefen wie durch trockenes Land (10) und half ihnen aus der Hand dessen, der sie hasste, und erlöste sie von der Hand des Feindes. (11) Und die Wasser ersäuften ihre Widersacher, dass nicht „einer“ übrig blieb. (12) Da glaubten sie an seine Worte und sangen sein Lob.

Sie gingen trockenen Fußes hindurch und hinter ihnen verschlangen die Wellen Pharao und seine Soldaten. Erst dann, heißt es in Vers 12, glaubten sie, als sie das erlebten. Diese Erfahrung, möchte man meinen, sollte nun auch gereicht haben, um Gott und Moses endgültig zu vertrauen. Doch dem war nicht so, denn wir lesen weiter:
(13) Aber sie vergaßen bald seine Werke, sie warteten nicht auf seinen Rat. (14) Und sie wurden lüstern in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde. (15) Er aber gab ihnen, was sie erbaten, und sandte ihnen genug, bis ihnen davor ekelte.

Auch nach dem Zug durch das geteilte Schilfmeer und der Vernichtung Pharaos und seiner Armee, war dies Volk ein Sklavenvolk geblieben in seinem Herzen. Sie wurden von Gott mit dem Manna in der Wüste versorgt. Eine nahrhafte Speise, aber zugegeben im Geschmack ziemlich eintönig. Und schon bald waren sie wieder am Murren und sprachen zu Moses: »Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen und an die Kürbisse, die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna.« (4. Mose 11:5-6)

Das sind nicht die Worte eines Volkes, das ein hohes Bewußtsein hat von seiner Berufung. Es sind die Worte eines Volkes, das die Lust an Essen und Trinken dieser Berufung vorgezogen hätte, selbst wenn es dafür wieder in der Sklaverei hätte leben müssen. Denn was sie hier behaupten stimmt ja so nicht: umsonst haben sie das alles nicht gegessen bei den Ägyptern! Es kostete sie Freiheit und Gerechtigkeit. Aber wenn sich die Lust des Fleisches regt, dann ist der Mensch offensichtlich sogar bereit die Sklaverei zu ertragen. Ist das nicht verrückt? Aber es ist immer so und durchaus eine allgemeine Erfahrung: wir ertragen es, von so vielen Dingen versklavt zu werden, unfrei zu sein, süchtig, nicht mehr Herr über unseren Willen, sondern getrieben nach der Befriedigung der Lust. Was wir hier sehen ist symptomatisch und offenbart das was in uns allen steckt.

Es ist nicht leicht, sich seiner Berufung bewußt zu werden und ihr zu entsprechen, das ist es, was uns Israels Geschichte lehrt. Wir müssen jetzt nicht alle Storys durchgehen, die noch in diesem Psalm stehen. Sie sind alle nachzulesen. In den Bibeln sind die Stellen angegeben, in denen man die Geschichten nachlesen kann, die hier in diesem Psalm erwähnt sind. Sie sind sehr lehrreich, und es ist lohnend, sich damit auseinander zu setzen.

Worüber wir aber noch sprechen müssen, ist die Berufung Israels an sich. Denn wenn wir die nicht verstehen, dann werden wir keine richtigen Schlüsse ziehen können. Dazu wollen wir noch einmal zum Anfang des Psalmes zurückkehren und den Vers 3 betrachten: (3) Wohl denen, die das Gebot halten und tun immerdar recht!

Gott hat sich dieses Volk nicht erwählt, weil es irgendwie besser gewesen wäre als andere Völker, das haben wir das letzte mal schon festgestellt, sondern weil er ein Volk haben wollte, um mit ihm ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Das Ziel Gottes mit Israel war, Recht und Gerechtigkeit sichtbar werden zu lassen. Das Gebot oder das Recht Israels wurde also am Berg Horeb im Sinai-Gebirge von Gott selbst festgelegt und Moses übergeben. Gebote waren damals nichts Neues. Gesetze und Verordnungen, wie Menschen miteinander in einem Volk zu leben hätten, gab es schon genug. Das älteste Gesetz das von Archäologen gefunden wurde ist jene des Sumerer-Königs Hammurapi zur Zeit Abrahams. Auf dieser Stele, die man im Pariser Museum Louvre bewundern kann, befinden sich 282 Paragraphen mit verschiedensten Rechtsvorschriften samt exakter Strafmaße für deren Übertretung. Es ist ja kaum eine Zivilisation denkbar, ohne Recht und Gesetz. Die Frage ist nur, was soll das für ein Gesetz sein? Was muss geboten sein, damit man von Gerechtigkeit sprechen kann? Die Gesetze der Völker damals waren zum großen Teil drastisch. Es ging mehr um die Absicherung von Besitztümern und Machtverhältnissen, als darum, jedem sein Recht zukommen zu lassen. Natürlich ging es auch um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, denn kein Herrscher kann sich in einer Anarchie behaupten, aber die Motive waren doch nicht rein und vor allem Minderheiten hatten meistens gar keine Rechte, wohingegen starke, vielleicht auch bewaffnete Gesellschaftsschichten, viele Privilegien besaßen um Aufstände zu verhindern.

Nun haben wir aber eine gerechten Gott und ein Volk Gottes muss auch gerecht sein in seiner gesellschaftlichen Existenz. Es soll sich deutlich von den anderen Völkern unterscheiden. Gott ließ also dieses Volk vor sich aufmarschieren und gab ihm SEIN Gesetz, das nach SEINER Gerechtigkeit gebildet war, das sich von dem der Völker bedeutsam unterschied.

Doch Gott erlegte Israel dieses Gesetz nicht einfach nur auf. Er fragte sie um ihr Urteil und wollte wissen, ob sie bereit waren, dieses Gesetz anzunehmen. Und sie nahmen es an, wie wir in 2. Mose 24:1-8 lesen können, es ist wichtig, dies nachzulesen:
(1) Und der HERR sprach zu Mose: Steig zum HERRN herauf, du und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels, und betet an von ferne! (2) Aber Mose allein soll zum HERRN herantreten, sie aber dürfen nicht herantreten, und das Volk soll nicht mit ihm heraufsteigen. (3) Darauf kam Mose und erzählte dem Volk alle Worte des HERRN und alle Rechtsbestimmungen. Und das ganze Volk antwortete mit einer Stimme und sagte: Alle Worte, die der HERR geredet hat, wollen wir tun. (4) Da schrieb Mose alle Worte des HERRN auf. Am nächsten Morgen aber machte er sich früh auf und errichtete einen Altar unten am Berg und zwölf Denksteine nach den zwölf Stämmen Israels. (5) Dann sandte er junge Männer aus den Söhnen Israel hin; die brachten Brandopfer dar und schlachteten Stiere als Heilsopfer für den HERRN. (6) Und Mose nahm die Hälfte des Blutes und tat es in Schalen, die andere Hälfte des Blutes aber sprengte er an den Altar. (7) Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes. Und sie sagten: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen. (8) Darauf nahm Mose das Blut, besprengte damit das Volk und sagte: Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR auf all diese Worte mit euch geschlossen hat!

Das alles, war also vom ganzen Volk angenommen worden. Später lesen wir auch davon, dass Moses ihnen sogar Segen und Fluch vorlegte: für den Fall, dass sie sich an das halten wollten – den Segen, und für den Fall, dass sie die Gebote Gottes übertreten würden – den Fluch, denn ein Gesetz, das nicht exekutiert wird, ist kein Gesetz. Dies war aber ein Gesetz und zwar eines, das mit dem Blut von Tieropfern besiegelt wurde. Das heißt, dass Übertretungen neues Blut fordern würde, wenn nicht das Blut der Übertreter, dann zumindest das Blut von weiteren Tieren. Daher auch die vielen Opfergesetze. Es ging ja nicht darum, dass nun jede Sünde sofort bestraft wurde. Nein, hier kommt die Barmherzigkeit Gottes ins Spiel, denn es war ein Weg geschaffen, wie ein reuiger Sünder Vergebung erlangen konnte. Doch worum es trotzdem ging war, dass sich Israel nun als heiliges Volk erweisen sollte. Sie sollten trotz der Existenz der Sünde im Volk, die Gerechtigkeit Gottes umsetzen. Das war das Ziel Gottes. Die Forderung des Gesetzte lautete: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« (3. Mose 19:2)

Es kam also zu dem Bund den Gott mit Abraham geschlossen hatte, noch der Bund hinzu, den Gott mit dem ganzen Volk geschlossen hatte. Wohlgemerkt, es war kein Bund mit Moses, dieser war nur der Vermittler. Es war ein Bund mit dem ganzen Volk. Ein Bund, der von Israel aber leider zu keiner Zeit seiner Geschichte so gehalten wurde, wie es gefordert war. Erst war es die beschwerliche Reise in der Wüste, dann war es die Angst vor den Völkern Kanaans, die ihnen zum Verhängnis wurde, sodass sie 40 Jahre brauchten, bis sie in das verheißene Land kamen. Dann waren es die Auseinandersetzungen mit den Feinden. Auch die Richter Israels in der schwierigen Richterzeit, waren alles andere als perfekte Menschen. Wie es halt so ist bei uns Menschen, es gibt immer Ausreden. Aber schließlich gab ihnen Gott einen Samuel, einen David, einen Salomon und schenkte, dass sich das Reich festigte und zur beherrschenden Macht in der Region wurde. Doch auch das half alles nichts. In Israel setzte sich nicht Recht und Gerechtigkeit durch, sondern Willkür und Chaos nahmen überhand, zeitweise so arg, wie zu den schlimmsten Zeiten der Völker Kanaans, die Gott wegen ihrer Sünden zu Gunsten Israels vertreiben ließ, weil sie, wie es in V. 37+38 heißt, ihre Söhne und Töchter den Götzen opferten.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum es so weit kam? Hatte Gott nicht gewußt, dass Israel versagen würde? Die Antwort darauf lautet: natürlich hatte Gott es gewußt. Noch während sich Moses 40 Tage auf dem Berg aufhielt um die Tafeln mit den 10 Geboten in Empfang zu nehmen, machte sich das Volk ein goldenes Kalb und betete es in einer wilden Orgie an, auch davon haben wir ja in diesem Psalm gelesen. Gott wußte also, worauf er sich eingelassen hatte und dass es ein Volk war wie jedes andere, das nicht zum Gottesvolk taugte. Aber Israel wußte es nicht! Und mit ihm wusste es die ganze Welt nicht, nämlich, dass es keine Erwählung geben kann und kein noch so perfektes Gesetzeswerk, das die Wirkung der Sünde im Menschen überwindet. Da fehlt noch etwas entscheidendes. Das Volk Israel sollte dies beweisen und sie taten es mit ganzer Kraft. Gott hätte sich auch irgendein anderes Volk erwählen können und dieses hätte genauso versagt. Dass es Israel war, ist sein Schicksal, dem es bis heute nicht entrinnen kann, das es sich aber im Bund durch Moses selber ausgewählt hatte.

Ich denke also, wir können nicht so leicht sagen, Gott hat Israel als Volk erwählt, dieses hat versagt und darum hat sich nun Gott ein anderes Volk erwählt, nämlich die Gemeinde, oder Kirche. Das wäre eine sehr primitive theologische Sicht, die nicht der Bibel entspricht. Denn Israel war ein Werkzeug, dass Gott gebrauchte, damit die Gemeinde überhaupt einmal entstehen konnte. Israel hat die Last getragen, die zu tragen war, bis der Messias, bis Jesus gekommen war und das Problem der Sünde von einer ganz anderen Seite her löste. Ohne Israel wäre die ganze Menschheit nicht reif gewesen für eine Erlösung. Denn mit dem Gesetz war das Problem nicht zu lösen.

Widerspricht das nun dem Vers 3, wo wir gelesen haben: »Wohl denen, die das Gebot halten und tun immerdar recht!«? Nein, denn das Gebot stammte ja von Gott, wenn es für Israel möglich gewesen wäre es zu halten, wären sie ja unter dem Segen und nicht unter dem Fluch gestanden. Dass der Wille Gottes, der sich in dem Gebot manifestiert absolut gut und vollkommen ist, beweist sich an dem Schicksal des Volkes in jedem Fall. Denn da sie den Willen Gottes nicht taten, erlebten sie statt Frieden und Gerechtigkeit nur Krieg und Chaos. Aber jemand musste das erst erleben, damit es für alle real sichtbar wurde dass es eine göttliche Gerechtigkeit gibt, und das war Israel. Das diese Gerechtigkeit sich in der negativen Weise des Fluches offenbarte und nicht in der des Segens, ist zwar tragisch, aber die Hauptsache ist, dass sich Gottes Gerechtigkeit überhaupt manifestierte, parallel zur Gnade Gottes. Israel war dazu Gottes erstes Werkzeug und weil es das war, hat es auch selbst noch eine Hoffnung. Sie haben den Fluch des Gesetzes erlebt, sie werden auch den Segen der Gnade erleben. Gott war nicht nur in der Vergangenheit immer wieder mit Israel barmherzig, er wird es auch in Zukunft immer wieder sein, sonst würde es ja dieses Volk heute schon gar nicht mehr geben. Denn der Bund des Gesetzes hat den Bund mit Abraham nicht aufgehoben. Dazu werden wir im nächsten Predigt noch mehr erfahren.

Diese wollen wir aber mit dem letzten Vers dieses Psalmes schließen:
(47) Hilf uns, Herr, unser Gott, und bring uns zusammen aus den Heiden, dass wir preisen deinen heiligen Namen und uns rühmen, dass wir dich loben können! (48) Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk spreche: Amen! Halleluja!
Die Hoffnung Israels lebt, aber sie lebt in Christus. Denn wenn sich Israel nicht bekehrt, dann wird es kein Blutopfer mehr haben für seine Sünde. Selbst wenn sie den Tempel wieder errichten würden, Tieropfer könnten den gebrochenen Bund nicht wieder herstellen, nur das was Jesus am Kreuz getan hat, indem er sein göttliches Leben opferte, ist ausreichend für einen Neuanfang. Damit sage ich nicht, dass die Juden Christen werden müssen, im Sinne eines konfessionellen Religionswechsels. Das zu erwarten wäre nicht richtig. Sie werden immer das Volk bleiben, das außerhalb derer gerettet wird, die aus den Heiden gekommen sind, aber auch sie werden nur durch Jesus gerettet. Der Heilige Name, dessen sie sich einmal rühmen werden, wird nicht Abraham sein und nicht Moses oder David, sondern Jesus. Er ist der, auf den sie warten: der Messias! Möge Gott die Hoffnung Israels bald erfüllen, denn wie hat doch Paulus so schön in seinem Römerbrief gesagt: (Rö 11:12) »Wenn nun die anderen Völker so reich beschenkt wurden, weil die Juden Gottes Angebot der Erlösung ablehnten, wie viel größeren Segen wird es dann für die Welt bedeuten, wenn die Juden es schließlich annehmen!«
Lasst uns daran genauso festhalten, wie an jedem anderen prophetischen Wort.
Amen!