1. Wozu das Gesetz? (Gal. 3:1-29)

Diese erste Predigt einer Serie über das Gesetz, setzt sich eigentlich mit dem Unterschied zwischen Moses und Abraham auseinander, zwischen diesen Personen liegen 430 Jahre. Dies ist das Thema des Apostel Paulus in Galater 3. Die Rolle und die Bedeutung des Gesetzes zu verstehen ist für das eigene Heilsverständnis sehr wichtig. Die Warnung des Apostel Paulus, dass Gesetzlichkeit die Gnade Gottes unwirksam machen kann, ist auch heute noch sehr ernst zu nehmen.

 

Gal. 3:1-29

(1) Oh Ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte? (2) Das allein will ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch den Glauben? (3) Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr’s denn nun im Fleisch vollenden? (4) Habt ihr denn so vieles vergeblich erfahren? Wenn es denn vergeblich war! (5) Der euch nun den Geist darreicht und tut solche Taten unter euch, tut er’s durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? (6) So war es mit Abraham: »Er hat Gott geglaubt, und es ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden« (1. Mose 15:6). (7) Erkennt also, die aus dem Glauben sind, die sind Abrahams Kinder. (8) Die Schrift aber hat vorgesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündigte sie dem Abraham (1. Mose 12:3): »In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.« (9) So werden nun die, die aus dem Glauben sind, gesegnet mit dem gläubigen Abraham. (10) Denn die aus den Werken des Gesetzes leben, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben (5. Mose 27:26): »Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, das er’s tue!« (11) Dass aber durch’s Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar: denn »der Gerechte wird aus Glauben leben (Habakuk 2,4)«. (12) Das Gesetz aber ist nicht »aus Glauben«, sondern: »der Mensch, der es tut, wird dadurch leben (3. Mose 18:5). (13) Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns; denn es steht geschrieben (5.Mose 21:23): »Verflucht ist jeder, der am Holze hängt«, (14) damit der Segen Abrahams unter die Heiden komme in Christus Jesus und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben.

(15) Liebe Brüder, ich will nach menschlicher Weise mit euch reden: Man hebt doch das Testament eines Menschen nicht auf, wenn es bestätigt ist, und setzt auch nichts dazu. (16) Nun ist die Verheißung Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: und den Nachkommen, als gälte es vielen, sondern es gilt einem: »und deinem Nachkommen« (1. Mose 22:18), welcher ist Christus. (17) Ich meine aber dies: Das Testament, das von Gott zuvor bestätigt worden ist, wird nicht aufgehoben durch das Gesetz, das vierhundertdreißig Jahre danach gegeben worden ist, sodass die Verheißung zunichte würde. (18) Denn wenn das Erbe durch das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben; Gott aber hat es Abraham durch Verheißung frei geschenkt.
(19) Was soll dann das Gesetz? Es ist hinzugekommen um der Sünden willen, bis der Nachkomme da sei, dem die Verheißung gilt, und zwar ist es von Engeln verordnet durch die Hand eines Mittlers. (20) Ein Mittler aber ist nicht Mittler eines Einzigen, Gott aber ist Einer. (21) Wie? Ist denn das Gesetz gegen Gottes Verheißung? Das sei ferne! Denn nur, wenn ein Gesetz gegeben wäre, das lebendig machen könnte, käme Gerechtigkeit wirklich aus dem Gesetz. (22) Aber die Schrift hat alles eingeschlossen unter die Sünde, damit die Verheißung durch den Glauben an Jesus Christus gegeben würde denen, die glauben. (23) Ehe aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben hin, der dann offenbar werden sollte. (24) So ist nun das Gesetz ein Zuchtmeister gewesen auf Christus hin, damit wir durch den Glauben gerecht würden. (25) Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. (26) Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. (27) Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. (28) Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. (29) Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erben.

Wie man aus der Gnade fällt!

Da wir uns in der letzten Zeit viel mit dem Thema Gnade beschäftigt haben, habe ich begleitend dazu den Galater Brief gelesen. Ich muss sagen, am liebsten hätte ich nur einfach heute morgen den ganzen Galaterbrief vorgelesen und es dabei bewenden lassen. Denn was Paulus da schreibt ist eigentlich alles, was zu diesem Thema gesagt werden muss. Aber ich weiß, dass nicht alle mit der Schrift so vertraut sind, das sie ohne Erklärungen dazu auskommen. Deshalb braucht es ja auch die Predigt, damit die Schrift ausgelegt wird, so ist das von Gott gewollt. Dabei ist der Galaterbrief in weiten Stellen selbst eine Auslegung, nämlich der Aussagen des Alten Testaments. Sieben mal zitiert der Apostel Paulus hier Stellen aus dem Alten Testament, wie wir ja gelesen haben. Er hat eine ganz besondere Sicht der Dinge und die versucht er den Galatern mit einer argumentativen Verknüpfung von alttestamentlichen Ereignissen und Schriftstellen deutlich zu machen. Nicht dass er ihnen damit etwas Neues verkündigt hätte, es ging vielmehr darum, dass die Galater bei dem blieben, was ihnen im Evangelium anvertraut worden war. Denn als die Apostel gegangen waren, war die Frage in der gemischten Gemeinde, die aus Juden- und Heidenchristen bestand, aufgetaucht, welchen Stellenwert denn nun das Gesetz haben sollte. Denn die Juden fühlten sich ihm noch verpflichtet, es war ja ihre Tradition und es war immerhin eine Tradition, die auf Moses zurück zu führen war. Was aber war mit den Heiden, oder mit der Gemeinde überhaupt? Sollten sie den Sabbat halten, die jüdischen Feiertage berücksichtigen, die Reinigungs-, Bekleidungs- und Essgewohnheiten der Juden übernehmen und vor allem: sollten sie sich beschneiden lassen?

Nun wir wissen, dass Paulus ein Gegner davon war und zwar nicht nur im eigenen Ermessen, sondern auch mit der Unterstützung der anderen Apostel, die sich ja getroffen hatten, um mit jenen, welche die Gemeinden unter den Heiden gegründet hatten, diese Fragen ausführlich zu erörtern. Davon berichtet uns die Apostelgeschichte in Kap. 15. Doch die Macht und der Einfluss der Verteidiger des mosaischen Gesetzes war stark, und sie waren offensichtlich nicht bereit die Beschlüsse der Apostelversammlung so ohne weiteres anzunehmen. Das war die Auseinandersetzung. Wie tief diese Kluft war und wie gefährlich die Situation, wird gleich aus den ersten Versen deutlich. Der ganze Brief ist diesem Thema gewidmet, weil Paulus allen Ernstes befürchtete, dass die Galater Christus verlieren könnten. In Kap. 5:4 sagt er es dies noch einmal ganz deutlich: »Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.« Auch hier fragt er nun am Beginn des Textes: war das alles umsonst? Nicht dass die Galater von Christus nichts mehr wissen wollten. Er war auch für sie noch immer Gottes Sohn, vom Himmel gesandt. Aber indem sie auf Werke bauten, standen sie in der Gefahr, die Gnade unwirksam gemacht zu haben. Sie würden Christus als Heiland verlieren, als Erretter und Erlöser, weil sie auf ihre eigene Gerechtigkeit bauten.

Ist das auch heute möglich? Wir haben ja eine andere Situation. Wir denken nicht mehr daran, und es ist uns keine Frage, ob wir uns beschneiden lassen sollen oder nicht und ob wir den Sabbat halten sollen oder sonstige Werke des mosaischen Gesetzes. Aber sind wir deshalb von der Gefahr befreit, die Gnade zu verlieren? Ich denke nicht, denn konsequenterweise muss man eigentlich sagen, dass jedes bauen auf eigene Gerechtigkeit die Gnade hinfällig macht und zu diesem Verlust führt. Ich bin der Überzeugung, dass selbst das Befolgen neutestamentlicher Anweisungen, wenn es in gesetzlicher Weise, die eigene Gerechtigkeit aufbauen wollend geschieht, die Gnade Gottes relativiert und man in Gefahr läuft, Christus zu verlieren. Nicht was ich tue ist entscheidend, sondern worauf ich mich verlasse. Was ist das Fundament meines Glaubens? Die Gefahr bestand, dass Christus nicht mehr das Fundament war, sondern die eigene Gerechtigkeit.

Welch ein schrecklicher und unersetzlicher Verlust aber, einen solchen Christus zu verlieren, wie wir Ihn unter der Gnade erkannt haben! …eine solche Gerechtigkeit, eine solche Liebe! den Sohn Gottes selbst, der unser Teil, unser Leben ist, den Sohn Gottes, der sich für uns hingegeben und sich uns gänzlich gewidmet hat! – Der Gedanke daran erweckt die Gefühle des Apostels so mächtig, dass er ausruft: „0 unverständige Galater! wer hat euch bezaubert?“ Christus war ihnen doch vor Augen gemalt, als wäre er unter ihnen gekreuzigt worden. Ihre ganze Torheit trat zu Tage, wenn man sich an das erinnerte, was sie empfangen hatten – an das, was sie tatsächlich unter dem Evangelium genossen und was sie für dasselbe gelitten hatten. Die Galater, dass waren ja jene Gemeinden, die Paulus bei seiner ersten Missionsreise mit Barnabas zusammen gegründet hatte. Was war da nicht alles geschehen? Zeichen, Wunder und viel Widerstand. Unter heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen hatten sie von Paulus eine Botschaft empfangen, die nichts beinhaltete, als alleine den Glauben an Christus und seine Gnade die er am Kreuz für alle Menschen erwirkt hatte.

Hatten sie den Geist aus Gesetzeswerken empfangen oder aus der Kunde des Glaubens? Nachdem sie durch die Kraft des Geistes angefangen hatten, wollten sie die Sache nun durch das elende Fleisch, das eigene Bemühen, zur Vollendung bringen? Sie hatten für das Evangelium gelitten, für das reine Evangelium, das weder durch das Judentum, noch durch das Gesetz verfälscht war. War denn das alles vergeblich? »Und,« – fragt der Apostel weiter – »der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt, ist es aus Gesetzeswerken oder aus der Predigt vom Glauben?« Der Apostel stellt also die Frage, wie sie denn zum Heiligen Geist gekommen waren. Wurde ihnen eine Liste von Gesetzen übergeben, die sie zu erfüllen hätten, oder wurde ihnen nur Christus verkündigt an den sie dann glaubten, und weshalb sie von Gott angenommen wurden?

In genau der gleichen Weise hatte auch Abraham Gott geglaubt, und es war ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden. Diesen Grundsatz der Rechtfertigung aus Glauben hatte Gott in der Geschichte Abrahams aufgerichtet, den Paulus schon im Römerbrief (Rö.4:16) den »Vater aller Gläubigen« nannte. Deshalb waren die, welche sich durch Gnade auf den Boden des Glauben stellten, auch „Söhne Abrahams“. Und laut Schrift – in der Voraussicht, dass Gott die Nationen aus Glauben rechtfertigen würde – verkündigte Gott dem Abraham diese gute Botschaft zu seiner Zeit, indem er ihm sagte: »In dir werden gesegnet werden alle Nationen.«

Wir haben in diesem Kapitel also das Fundament, auf dem Abraham vor Gott stand, sowie die Erklärung, dass in ihm alle Nationen gesegnet werden sollten. Alle nun, die auf dem Boden des Glaubens stehen, sind mit dem gläubigen Abraham gesegnet, während aber das Gesetz ausdrücklich einen Fluch über die ausspricht, die unter ihm stehen und es nicht in jedem Punkte beobachten (V. 10). Die Schriftstelle, die der Apostel hier aus 5.Mo 27 zitiert ist sehr interessant. Dort steht nämlich auch, dass das Volk in zwei Lager geteilt werden sollte, nachdem es über den Jordan in das verheißene Land gekommen war. Die Besetzung dieses Landes und der Friede und der Wohlstand in ihm, waren die Zusagen die Gott dem Volk gegeben hatte, wenn es das Gesetz erfüllen würde. Nun waren sie drin und gingen in ein Tal zwischen zwei Bergen. Das eine Lager wandte sich gegen den Berg Ebal und das andere gegen den Berg Garizim. Von beiden Bergen wurde eine Botschaft gerufen. Vom Garizim aus erschallten die Worte des Segens über Israel, wenn sie das Gesetz erfüllen würden und vom Ebal aus erschallten die Worte des Fluches, wenn sie das Gesetz brechen würden.

Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen alle, die das alte Testament kennen. Nicht der Segen hat sich verwirklicht, sondern der Fluch und so erklärt die Schrift auf eine dramatische Weise, dass Gesetzeswerke niemanden rechtfertigen können. Denn sie sagt: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Das Gesetz aber war nicht aus Glauben, sondern: »Wer diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.« Nun stellt sich natürlich die Frage, ob denn diese Autorität des Gesetzes, die doch offensichtlich die Autorität Gottes war, nicht aufrecht gehalten werden müsste? Sicherlich, aber die viel wichtigere und primäre Frage ist doch: Was machen wir mit dem Fluch des Gesetzes, da ja erwiesen ist, dass wir es nicht halten können. Oder meinen wir, dass WIR es halten könnten, wo doch die Juden, die von Gott erwählt wurden, dazu nicht in der Lage waren? Nein, natürlich nicht. Aber was ist nun mit dem Fluch? Die Antwort gibt uns Paulus wenn er sagt: »Christus hatte den Fluch des Gesetzes getragen« Also hat er damit diejenigen erlöst und befreit, die, zuvor dem Urteilsspruch des Gesetzes unterworfen waren, jetzt aber an Jesus geglaubt hatten. Damit war aber auch der Segen Abrahams frei geworden, damit er durch Christus zu allen Nationen käme, so dass alle Gläubigen, sowohl die aus den Juden als auch die aus den Nationen, den verheißenen Geist empfangen sollten. Christus hatte für den israelitischen Gläubigen – der zuvor dem Gesetz unterstanden und sich der Übertretung desselben schuldig gemacht hatte – den ganzen Fluch, den es über den Schuldigen aussprach, auf sich genommen und erfüllt. So hatte das Gesetz, durch das Israel abgesondert war, seine Kraft über jeden Juden, der an Jesus glaubte, verloren, und zwar durch die gleiche Handlung, welche die Autorität des Gesetzes in wirklich drastischer Weise unterstrichen hatte, nämlich die Strafe am Kreuz von Golgatha. Die Aufhebung des Fluches auf der einen Seite, aber die Anerkennung der Autorität Gottes auf der anderen Seite.

Darum war nun die Trennung nicht mehr vorhanden zwischen dem alten Volk Gottes und den Nationen und der einst verheißene Segen konnte – dem Wort gemäß, das seinerzeit dem Abraham gegeben wurde – jetzt frei ausströmen auf alle Völker durch Christus. Der Fluch, den das Gesetz auf die Juden gebracht hatte, war durch Ihn weggenommen, und sowohl Juden als Heiden konnten nun durch den Glauben an Ihn den Heiligen Geist, den Gegenstand der Verheißung Gottes, in der nunmehr angebrochenen Zeit der Gnade empfangen.

Abraham und seine Nachkommen.

Nachdem der Apostel diesen Punkt erörtert hat, behandelt er das gegenseitige Verhältnis, das zwischen dem Gesetz und der Verheißung bestand. Die Verheißung war ja zuerst gegeben worden, und nicht nur gegeben, sondern auch bestätigt wurde sie. Selbst wenn es nun nur ein menschlicher, durch feierliche Vertragsunterzeichnung bestätigter Bund gewesen wäre, so hätte weder etwas hinzugefügt noch aufgehoben werden können. Nun aber hatte Gott sich selbst, und zwar 430 Jahre vor dem Gesetz, dem Abraham durch Verheißung verbindlich gemacht, und hatte die »Segnung der Nationen« gleichsam in der Person Abrahams hinterlegt (1.Mo 12:3 > V8). Es ist das Erbe Abrahams, um das es hier geht.

Diese Verheißung wurde nun seinem Samen, nämlich dem Isaak bestätigt (vgl. 1Mo 22:18 > V16), und zwar nur einem; Er sagt nicht, „den Nachkommen“, bezogen auf alle Nachkommen Abrahams, sondern »dem Nachkommen«; bezogen auf einen Einzigen. Wer ist dieser eine aber, durch den alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten? Isaak kann es nicht sein, denn auf ihn und seine Nachkommen ging zwar die Verheißung über, aber sie wurde nicht erfüllt. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte Israels kann man sagen, dass alle Nationen durch dieses Volk gesegnet wurden. Und es ist auch nicht so vorgesehen, denn nach wie vor gilt diese Aussage einem und dieser eine Same ist nach der Lehre der Apostel Christus. Selbst ein Jude würde diesen Punkt nicht leugnen können.

Nun aber konnte das so lange nachher kommende Gesetz, von dem die Geschichte Israels so dominiert wurde, die Verheißung, die von Gott 450 Jahre zuvor gegeben und feierlich bestätigt worden war, nicht ungültig und wirkungslos machen. Denn wenn die Erbschaft aus Gesetz wäre, so wäre sie nicht mehr aus Verheißung; aber Gott hat sie dem Abraham durch Verheißung geschenkt und zwar frei geschenkt, wie in V. 18 betont wird, oder aus Gnade geschenkt, könnte man auch übersetzen. Es war damit keinerlei Bedingung verbunden, die Abraham hätte erfüllen müssen, und sündenfrei war Abraham, wie wir aus seiner Biographie wissen, bei weitem nicht.

Wozu dann das Gesetz?

Warum denn dann aber das Gesetz, wenn die doch unveränderliche Verheißung schon zuvor gegeben war und die Erbschaft dem Gegenstand dieser Verheißung zufallen musste, ohne dass das Gesetz die Kraft gehabt hätte, irgend etwas daran zu ändern? Antwort: Es ist gegeben worden, oder »hinzugekommen«, wie es in der Lutherübersetzung heißt, weil noch eine andere Frage zwischen Gott und dem Menschen lag, nämlich die der Gerechtigkeit. Denn die Gnade, die in dem Segen zuvor verheißen war, ist nicht die einzige Segensquelle für uns. Eine weitere unverzichtbar Quelle ist die Gerechtigkeit. Wir Menschen wissen das, leiden wir doch selbst allenthalben unter Ungerechtigkeit jeder möglichen Art. Die Frage der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen muss ganz eindeutig geklärt werden. Denn sie berührt auch die Frage nach der Sünde und der Schuld des Menschen.

Nun, die Verheißung, die bedingungslos Christus gegeben worden war, redete von der Frage der Gerechtigkeit nicht. Diese Frage musste aber notwendigerweise erhoben werden, und zwar zunächst dadurch, dass Gerechtigkeit von den Menschen gefordert wurde. Dazu war Israel bestimmt, gewissermaßen als das Modell für die ganze Menschheit. Der Mensch war somit durch das Gesetz verantwortlich gemacht worden, Gerechtigkeit hervorzubringen und vor Gott in ihr zu wandeln; er hätte vor Gott gerecht sein sollen! Aber da die Sünde schon da war, hatte das Gesetz in Wirklichkeit nur bewirkt, dass die Sünde offenbar wurde. Die Sünde war schon vorhanden, der Wille des Menschen befand sich in Auflehnung wider Gott; aber erst das Gesetz rief die ganze Kraft dieses bösen Willens wach, und dieser offenbarte seine völlige Verachtung Gottes darin, dass er die Schranke, die das Gebot Gottes zwischen ihm und seinen Lüsten errichtet hatte, die er auch als gerecht akzeptiert hatte, einfach übersprang.

Das Gesetz wurde also hinzugefügt, damit Übertretungen da sein sollten, nicht damit Sünde, sondern damit Übertretungen da seien, durch welche die Gewissen der Menschen erreicht und das Urteil des Todes und der Verdammnis den leichtfertigen und sorglosen Herzen der Menschen verständlich, ja fühlbar, gemacht werden könnte. Gewissensnot erkennt die Notwendigkeit der Gnade.

Das Gesetz wurde also zwischen die Verheißung und ihre Erfüllung eingeschoben, um den wirklichen sittlichen Zustand des Menschen offenbar zu machen. Die Umstände, unter denen es gegeben wurde, ließen dabei völlig deutlich werden, dass das Gesetz selbst auf gar keinen Fall das Mittel zur Erfüllung der Verheißung war durch die alle Völker der Erde gesegnet werden sollten. Das Gesetz stellte im Gegenteil den Menschen auf einen ganz anderen Boden, auf dem er sich selbst kennen lernte, und der ihn zugleich verstehen ließ, dass er auf der Grundlage seiner eigenen Verantwortlichkeit unmöglich vor Gott bestehen konnte.

Wer vermittelte das Gesetz?

Gott hatte dem Samen Abrahams eine bedingungslose Verheißung gegeben. Er wird sie unfehlbar erfüllen, denn Er ist Gott. Aber in der Mitteilung des Gesetzes kam nichts unmittelbar und geradewegs von Gott, sondern es wurde durch die Vermittlung von Engeln angeordnet, wie Paulus in V 19 schreibt. Hier war es nicht Gott, der sich – indem er spricht – einfach durch sein Wort der Person verbindlich macht, der er die Verheißung gibt. So war es noch bei Abraham, aber nun war es anders. Die Herrlichkeit der Engel, bekleideten nach dem Willen Gottes die Verordnung des Gesetzes – mit der Herrlichkeit ihrer Würde – aber Gott selbst stand abgesondert da, verborgen in seinem Heiligtum von Wolken und Feuer und dichter Finsternis. Er war mit Herrlichkeit umgeben, aber er machte sich furchtbar in Seiner Pracht und enthüllte sich nicht. Die Verheißung hatte Gott persönlich gegeben, das Gesetz brachten die Mittler, deren Moses einer war. Auch in Stiftshütte und Tempel durften danach nur die Hohepriester und was sie sahen war nicht Gott, sondern die Bundeslade mit dem darin enthaltenen Gesetz und den Cherubim, den Schwert¬engeln des Paradieses oben darauf. Erst war das Gesetz zu erfüllen, danach würde sich die Verheißung erfüllen.

Das Vorhandensein eines Mittlers setzt ja notwendigerweise zwei Parteien voraus; Gott aber – und das ist die Grundlage der ganzen jüdischen Religion – war einer der beiden Parteien! Die Verwirklichung des auf dem Berg Sinai gemachten Gesetzesbundes hing vom anderen Vertragspartner ab. Mose stieg hinauf und hinab und überbrachte Israel die Worte des Herrn, und dem Herrn die Antwort Israels, das sich verpflichtete, alles das zu erfüllen, was Jahwe ihm als Bedingung zum Genuss der Verwirklichung Seiner Verheißung auferlegte.

Auf die Worte Gottes: »Wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören werdet,« hatte Israel durch Moses Vermittlung geantwortet: »Alles was der HERR geredet hat, wollen wir tun.« Was waren die Folgen? Der Apostel geht nicht näher auf das Versagen des Volkes ein, das ist hier nicht sein Thema, er entwickelt seine Gedanken noch ein wenig weiter um die Beziehung zwischen Gesetz und Gnade zu erhellen und kommt so zur nächsten Frage (V 21): »war das Gesetz wider die Verheißungen Gottes?« Keineswegs! Denn wenn ein Gesetz gegeben wäre, welches Leben im Segen Gottes hätte vermitteln können, so wäre wirklich Gerechtigkeit (denn das ist ja der eigentliche Segen) durch das Gesetz gekommen. Der Mensch, im Besitz des göttlichen Lebens, würde gerecht gewesen sein in der Gerechtigkeit, die er selbst gewirkt hätte. Das Gesetz hatte ja die Verheißung der Segnung Gottes, unter der Bedingung des Gehorsams des Menschen. Hätte es zugleich Leben geben können, so wäre das der Beweis gewesen, dass dieser Gehorsam seitens des Menschen auch geleistet werden könnte, und Gerechtigkeit wäre auf Grund des Gesetzes gewirkt worden. Die Empfänger der Verheißung würden dann aber kraft ihrer eigenen Gerechtigkeit in den Genuss des göttlichen Lebens gekommen sein. Doch das Gegenteil trat ein; denn schließlich ist jeder Mensch, ob Jude oder Heide, von Natur ein Sünder: ohne Gesetz ist er ohnehin ein Sklave seiner zügellosen Leidenschaften, und unter Gesetz zeigt sich die Kraft der Sünde dadurch, dass er das Gesetz bricht. So hat die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung durch den Glauben an Jesus Christus zu Gunsten derer erfüllt würde, die da glauben.

Bevor also der christliche Glaube kam, als tragfähige Basis der Beziehungen zu Gott – nach dem Vorbild Abrahams – bevor der Gegenstand des Glaubens in der Person, dem Werke und der Herrlichkeit Christi als Mensch, das Mittel geworden war, den Glauben des Evangeliums aufzurichten, waren die Juden unter dem Gesetz verwahrt gewesen (V23), eingeschlossen mit der Aussicht auf den Genuss Ihres Vorrechts. So war das Gesetz den Juden wie der Vormund eines unmündigen Kindes, wie ein Zuchtmeister (V24) auf Christum hin, gewesen, während sie auch nur nach dem Grundsatz des Glaubens gerechtfertigt werden konnten, im Hinblick auf den Nachkommen Abrahams, den Messias, den sie erwarteten. Der Zuchtmeister in der griech. Kultur damals war aber ein Sklave, der für die Disziplin und Erziehung, nicht aber für Unterricht und Charakterbildung eines Kindes verantwortlich war.

Die Juden waren also nicht ohne Zaum und Zügel; sie waren von den Nationen abgesondert. Sie waren nicht besser oder schlechter als diese, sie waren aber abgesondert für eine Rechtfertigung, deren Notwendigkeit noch deutlicher hervorgetreten sollte durch das Gesetz, das sie nicht erfüllten, das aber Gerechtigkeit von dem Menschen forderte und somit anzeigte, dass Gott diese Gerechtigkeit auch tatsächlich verlangt. Sobald aber der Glaube gekommen war, standen die, welche bis dahin dem Gesetz unterworfen gewesen waren, nicht mehr unter der Vormundschaft dieses Gesetzes (V25); dieses band sie nur so lange, bis der Glaube gekommen war. Denn dieser Glaube stellte den Menschen unmittelbar in die Gegenwart Gottes und machte den Gläubigen zu einem Sohne des Vaters der Herrlichkeit. Wenn aber der Vater seine Rolle übernommen hat, hat der Sklave, der Zuchtmeister, keinen Einfluss mehr, er ist aus dem Spiel.

Der Gläubige ist also ein Sohn, in unmittelbarer Verbindung mit seinem Vater, mit Gott, indem Gott selbst in Christus nunmehr geoffenbart ist. Er ist ein Sohn; denn alle, die getauft worden sind, haben das Vorrecht, an Christus teilzuhaben, sie haben Christus angezogen. Sie stehen nicht vor Gott als Jude oder Grieche, Arbeiter oder Unternehmer, Schwarzer oder Weißer, Armer oder Reicher, Mann oder Frau, sondern gemäß ihrer Stellung in Christus (V28). Sie sind alle einer in Ihm, weil Christus für alle der gemeinsame und einzige Maßstab ihrer Beziehung zu Gott ist. Aber dieser Christus war, wie wir gesehen haben, der eine Same Abrahams. Und wenn diejenigen in der Gemeinde, die von den Heiden und nicht von den Juden kamen, in Christo waren, so traten sie folgerichtig auch in diese bevorzugte Stellung ein. Sie waren in Christus die Nachkommen Abrahams und die Miterben nach der Verheißung, die diesem einen Nachkommen Christus gegeben war.

Diese Einheit ist Gott scheinbar ungeheuer wichtig. Das Gesetz hatte getrennt, die Gnade hatte aber vereint. So soll es auch bleiben. Wir haben kein Gesetz, auch kein neues, das an die Stelle des mosaischen tritt. Wir sind angehalten, ständig zu überlegen, was unsere Einheit in Christus fördert und das dürfen wir dann auch gemeinsam zur Ehre Gottes tun, das ist meine tiefste Überzeugung. Wir wissen, wie wir das Wort Gottes anzuwenden haben und wenn wir das richtig machen, dann kann uns niemand aus seiner Gnade reißen, einen neuen Fluch gibt es ohnehin nicht mehr, zumindest nicht in Zusammenhang mit der Erfüllung irgendwelcher Gebote. Der einzige Fluch den das neue Testament kennt, gilt der Verfälschung des Evangeliums und davor sollten wir uns hüten.

Manchmal scheint uns der Zaun eines Gesetzes mehr Sicherheit zu geben, als die Freiheit in der Gnade. Aber das ist eine Täuschung. Wenn wir Zäune aufrichten, dann verlassen wir uns auch auf diese Zäune und nicht mehr auf den Hirten, der seine Herde von Ort zu Ort leitet und sie führt, indem er auf jedes Einzelne seiner Schafe achtet. Wir stehen alle vor ihm in Einheit, dennoch stehen wir auch alle vor ihm als Einzelne, er kennt uns, und er gibt uns die Gaben mit denen wir dienen sollen. Das sollten wir beachten. Es steht uns nicht zu, die Freiheit eines anderen zu verurteilen. Die Freiheit der Gotteskinder ist geradezu das Kennzeichen der Gnade unter der sie stehen, lassen wir uns diese nicht rauben durch irgendwelche allgemeingültigen Regeln, die zwar fromm klingen, aber in Wirklichkeit nur dazu verführen, auf unsere eigene Gerechtigkeit zu vertrauen.
Amen!