3. Das Gebot (1. Mo 2:16-17)

Was ist nur los mit der Menschheit, warum ist es so schwer, Gerechtigkeit und Frieden herzustellen? Was hat Gott sich bloß dabei gedacht, als er den Menschen schuf. Diese Fragen müssen aus christlicher Sicht eindeutig beantwortet werden. Dabei spielt es eine große Rolle, wie wir die Geschichte der Entstehung des Menschen und seinen Sündenfall geistlich deuten. Ohne darauf eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten, wird die christliche Botschaft unverständlich bleiben.

 

1. Mose 1:26-31 (26) Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! (27) Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. (28) Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!


Gottes Absicht den Menschen zu machen war keine bloße experimentelle Idee. Der Mensch ist kein erweitertes Konzept zum Tierreich. Gott hat nicht, nachdem er alle anderen Lebewesen geschaffen hatte, gesagt: nun wollen wir noch einen Schritt weiter gehen und ein besonders intelligentes Tier machen, das auch in der Lage ist, sich die Erde untertan zu machen. Das wäre viel zu kurz gegriffen. Vielmehr haben wir in V24 eine eindeutige Absichtserklärung Gottes, etwas noch viel größeres zu schaffen, als alles bisher Dagewesene. Etwas, was einer Erweiterung seiner selbst gleich kommt. »Lasset uns Menschen machen, uns zum Bilde gleich«, könnte auch übersetzt werden mit: »lasst uns eigene Schatten machen.« Ich möchte hier die These aufstellen: Gott wollte Wesen haben, die ihm so nahe und gleichgestaltet sind, dass er mit ihnen, wie mit sich selbst Gemeinschaft haben könnte.

Das muss ich natürlich erklären. Es ist nicht einfach zu verstehen, aber ich will heute versuchen, es zu beweisen. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob Gott denn überhaupt diese Gemeinschaft nötig hatte. Wie ist das eigentlich, wenn Gott ein Wesen ist, das über allen anderes steht, ist er dann einsam, so als ein einziger Gott? War das der Grund, warum er sich Wesen schuf, mit denen er kommunizieren konnte? Man muss eigentlich anders fragen: kann denn Gott überhaupt nur Einer sein, wenn sich doch jede Vollkommenheit in der Vielheit ausdrückt. Ich weiß, das klingt jetzt eher nach Philosophie, als nach Theologie, doch wir werden von unserem Bibeltext selbst auf diese Frage gelenkt, wenn es heißt: und Gott sprach: »lasset UNS den Menschen machen.«

Noch deutlicher wird das im hebräischen Urtext, den sich aus Gründen der Verständlichkeit kein Übersetzer wörtlich zu übersetzen getraut hat. Doch es ist auch so hinlänglich bekannt, dass das Wort Gott hier eigentlich in der Mehrzahl steht. Das Wort für Gott ist El. Aber hier steht Elohim. Also müsste es korrekt heißen: und Götter sprach, lasset uns den Menschen machen. Im israelitischen Denken aber war es unmöglich, dass es mehrere Götter gibt. »Gott ist ein Einziger und du sollst an keinen anderen glauben«, das war unter Moses die eindeutige Aufforderung.

Wie können wir uns also diesen scheinbaren Widerspruch erklären? Nun, wir haben hier die Andeutung eines multipersönlichen Gottes, wie er später auch im Christentum in der Dreieinigkeit erkannt wurde. Wie immer man sich auch diese Trinität vorstellt, und es ist besser man stellt sie sich gar nicht vor, sondern glaubt sie einfach, für diesen Text der Schöpfungsgeschichte bedeutet es, dass es Gott nicht nötig gehabt hätte, den Menschen zu schaffen. Er hatte bereits vollkommene Gemeinschaft in sich selbst. Die Trinität bedeutet, dass Gott sich selbst genug ist und eigentlich niemanden braucht. Wäre Gott in seiner Persönlichkeit singulär, dann wäre er auch nicht vollkommen, weil jede Persönlichkeit sein Wesen in mindestens einem Gegenüber widerspiegelt. Zur Vollkommenheit einer Person gehört die Gemeinschaft mit einer anderen Person. Gemeinschaft ist immer eine Sache zwischen zwei oder mehr. Und dieses Ideal ist auch in der Offenbarung Gottes so angelegt.

Gleichzeitig aber ist es dennoch nur ein Gott. Und zwar deshalb, weil es unmöglich ist, die multipersonale Einheit Gottes zu zerbrechen. Weder von außen kann das geschehen, weil ja niemand mächtiger ist als Gott, noch von innen, weil seine Vollkommenheit eine moralische ist, das heißt die Liebe Gottes lässt solch einen Bruch niemals zu. Niemand kann daher den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist gegeneinander ausspielen. Niemals gibt es in ihrer Einheit auch nur den Haarriss einer Bruchstelle. Es kann keine Eifersucht, keinen Neid, keinen Streit oder sonst etwas geben, was in irgendeiner Weise die Einheit Gottes gefährden könnte. Darum wird Gott auch nur als einer angesprochen. Er ist ein einziger Gott und niemand ist ihm gleich oder könnte zu ihm in Konkurrenz stehen.

Dies eigentlich nur zu der Frage, ob Gott den Menschen überhaupt brauchte oder noch braucht, um sich selbst zu verwirklichen. Nein, das tat er nicht, denn er war in sich bereits vollkommen. Aber wie es hier aussieht, wollte Gott den Menschen machen. Der Mensch kommt nun, weil es in der Lust Gottes steht ihn zu bilden. Dazu wird uns gesagt, dass er als Geschöpf Gottes weit über das hinausgeht, was bis dahin an Geschöpfen von ihm kreiert worden war. Er ist ja ein Schöpfergott und nun will er den Menschen machen, als ein Abbild seiner selbst. Das Wort Bild, haben wir schon erwähnt, heißt Schatten. Was ist denn nun der wesentlichste Aspekt der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott. Ich denke, dass hier der Begriff des Schatten eine Bedeutung hat, die vielleicht in der Vergangenheit zu wenig beachtet worden ist. Ein Schatten ist etwas, was immer in einem Bezug zu einem Gegenstand oder einer Person steht. Der Schatten gehört zu jemanden. Wenn es der Schatten einer Person ist, dann gehört er zu dieser Person. Ich denke, dass es mit dem Menschen auch so ist. Wenn er der Schatten Gottes auf Erden sein sollte, dann gehörte er, im Unterschied zu allen anderen Lebewesen, zu Gott! Und so sollte es auch sein, so wollte Gott das haben.

Vielleicht können wir uns das ein wenig naiv vorstellen mit dem Bild von einer Kleinbahnlandschaft. Es gibt ja Leute, die können sich dafür begeistern, viel Zeit zu investieren, um eine Modelleisenbahn aufzubauen, mit einer naturgetreuen Landschaft, die bis ins Detail der vorgestellten Wirklichkeit entspricht. Was wäre nun, wenn solche Leute auch in der Lage wären, die Minifiguren auf dieser Papplandschaft lebendig zu machen sodass sie auf dieser herumlaufen und sie mit Leben erfüllen. Wäre der Mensch dazu in der Lage, ich bin sicher, er würde es tun. Er würde sich Lebewesen in sein Modell setzen, die ihm entsprechen, mit denen er kommunizieren könnte. Er würde sich in ihnen selbst in diese Welt hineinsetzen. Warum also sollte Gott, der ja keinen natürlichen Beschränkungen unterworfen ist, ein Universum erschaffen und eine so schöne Welt wie die unsere, ohne auf die Idee zu kommen, auch Wesen zu bilden, die ihm entsprechen, mit denen er Gemeinschaft haben kann? Eigentlich ist das ganz logisch und auch nachvollziehbar.

Nun kommt also der Mensch, in die Schöpfung Gottes. Als Menschheit ebenfalls multipersonal geschaffen, als Mann und Frau zunächst, mit der Fähigkeit sich als Gesellschaft vieler Individuen weiter zu entwickeln. Was ist also die Bedeutung dessen, was Gott da geschaffen hat? Ist es denn möglich, dies als eine Laune anzusehen, die weiter keine große Bedeutung hat? Wenn wir in das Universum blicken und zwar mit den heutigen technischen Hilfsmitteln, dann können wir heute einen sehr tiefen Blick da hinein machen, im Gegensatz zu früher und finden viele wunderbare Dinge. Traumhaft schöne Orte und Phänomene, die als Kunstwerke die Unendlichkeit durchdringen. Aber wir finden keine personalen Wesen die wie wir sind. Es ist eine Miniwelt, auf der wir uns befinden. Ein Staubkorn im Vergleich mit den anderen, fernen Welten. Aber auf dieser Miniwelt gibt es ein Wesen, das eine Persönlichkeit hat, die wie ein Schattenbild Gottes ist und die deshalb mit dem Schöpfergott Verbindung haben kann. Das kann kein Zufall sein, vielmehr muss sich im Menschen ein von Ewigkeit her beschlossenes Projekt verwirklichen, das Gott als Erweiterung seiner selbst verstanden hat. Nicht tote Gegenständlichkeit, sondern lebendige Personalität war sein Konzept. Dabei wurde der Mensch nicht ein in sich eingeschränktes Wesen, begrenzt durch einen Instinkt auf eine begrenzte Welt, einen Lebensraum als Nische seines Daseins. Nein, der Mensch war fähig, die ganze Welt zu erobern, was immer das zu dieser Zeit im Paradies bedeutet haben mag.

Der Mensch, ein Projekt Gottes, und für dieses Projekt war Gott bereit alles zu geben und jede nur erdenkliche Unannehmlichkeit auf sich zu nehmen, einschließlich der Unannehmlichkeit des Opfers des Sohnes Gottes. Wir können es nicht anders sagen. Ist er Gott, dann wusste er im Voraus, was er damit auslösen würde. Die ganze Geschichte sollte offen vor ihm gelegen haben, mit allen schönen und schrecklichen Konsequenzen. Aber warum war das so. Warum sollte es so schwierig werden (menschlich gedacht), dieses Projekt zu verwirklichen? Die Schöpfungsgeschichte lässt uns da nicht im Dunkeln stehen. Gott nahm das Schicksal des Menschen auf sich, oder in Kauf, könnte man auch sagen, um den Menschen dahin zu bringen, sich freiwillig seinem göttlichen Willen zu unterstellen. Denn erst dann wäre das Ziel erreicht, wenn sich zwischen Gott und dem Menschen eine Liebesbeziehung entwickeln würde.

Nicht Unterwerfung war das Ziel, denn hätte Gott das gewollt, so hätte er ein Wesen erschaffen, das instinktiv nicht anders handeln kann als er es haben möchte, damit wäre aber Gottes Wille einer Ebenbildlichkeit des Menschen nicht völlig verwirklicht gewesen. Denn die Liebe, die ja auch die multipersonale Einheit Gottes garantiert, ist das was auch zwischen Gott und Mensch, ja sogar zwischen den Menschen selbst, erreicht werden soll. Die Anlage dazu lag im Menschen vom Anfang an. Liebe lässt sich aber nicht durch Zwang erreichen. Der Mensch musste also erst dahin gebracht werden, sich dem Willen Gottes zu unterstellen, den er als gut für ihn und die Schöpfung und also, als liebenswert betrachten sollte. Gott zu erkennen als das Wesen seiner Wahl, wie man einen Ehepartner erkennt, das ist es was Gott wollte.

1. Mose 2:15-17
(7) Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. (8) Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. (9) Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. (10) Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. (11) Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold; (12) und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. (13) Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. (14) Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat. (15) Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. (16) Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, (17) aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.


So schuf er den Menschen, in einem ersten Akt dem Fleisch nach. Es war Adam. Das hebräische Wort adam heißt »von der Erde Genommener«. Wörtlich heißte es: Elohim bildete Adam (den Menschen) von Adamah (dem Erdkloß). Wohl wurde er ausgestattet mit einem Geist, also einem Sinn für das Göttliche, und er war beseelt im Sinne einer selbständigen Kreatürlichkeit, die in der Lage war intellektuell und emotional unabhängig Entscheidungen zu treffen, aber er war in seinem Zustand noch nicht das Ergebnis, das Gott haben wollte. Er war ein Individuum, mit selbständigem Denken, Fühlen und Wollen, den Merkmalen einer Persönlichkeit. Diese Merkmale waren ausgebildet wie bei Gott selbst, wenn auch nicht so weit entwickelt. Aber was noch fehlte war die vollkommene Orientierung des Menschen auf das Göttliche, das seiner Personalität erst einen Sinn geben sollte, ohne diese Orientierung würde ihn trotz allem nicht viel von den zuvor geschaffenen Tieren unterscheiden.

Adam und Eva hatten zwar eine Geist, aber sie waren auch im Paradies noch keine geistlichen Wesen. Sie hatten wohl auch Interesse an Gott, wie auch an dessen Schöpfung, die er ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, und es war eine vollkommene Schöpfung. – Das Wort Paradies stammt eigentlich aus dem altpersische und bezeichnet einen geschützten Lustgarten. So wurde das dann auch in der griechischen Bibel (LXX) übersetzt. Das Hebr. Garten Eden bezeichnet einen geografischen Wohnort Gottes auf der Erde, den Gott in der Art eines Gartens angelegt hatte. Es war also keine wilde Natur, der der Mensch ausgesetzt war. – Dennoch war der Mensch noch nicht geborgen unter seinem Schirm und somit auch noch nicht wirklich der Schatten Gottes, der er werden sollte, das geistliche Wesen in intimer Gemeinschaft mit seinem Schöpfer. Da fehlte noch etwas, was erst die Bewährung bringen sollte. Die freiwillige Hinwendung war nicht erfolgt, diese erst sollte Ergebnis und Ziel der Schöpfung darstellen. Doch dazu bedurfte es nun eines Gebotes. Denn wie sollte sich der Mensch entscheiden, wenn er geistlich nichts zu entscheiden hätte?

Es war also ein Gebot im Paradies, ein Einzigen nur und dieses lautete: »Du sollst nicht essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen.« Was bedeutete dies ganz praktisch für Adam und Eva? Wir müssen hier die Wortbedeutung erkennen und uns ein wenig in die Lage des ersten Menschen hinein versetzen.

»Du sollst!«, heißt was es heißt, nämlich nicht: du kannst nicht! Es war möglich! Gott hat dem Menschen nicht verunmöglicht, dieses Gebot zu übertreten. Auch heißt es nicht: »du darfst nicht!«. Der Mensch konnte ja frei entscheiden, indem er die Konsequenzen seines Handelns klar erkennen konnte. Eine Übertretung des Gebotes würde eine Trennung von Gott bedeuten, was es ja dann auch war. Wenn wir auch gelesen haben, dass Gott sagte: »an dem Tage, wo Du davon issest, musst Du des Todes sterben«, so wissen wir doch, dass dies nicht das Ende Adams und Evas bedeutete, sondern nur, dass die Welt in der sie lebten ihrem paradiesischen Zustand entzogen wurde und seine Zeit in ihr zu leben fortan begrenzt sein würde. Es würde sich also alles zu ihrem Nachteil verändern. Du sollst hieß also lediglich: es ist nicht gut für dich, wenn du das tust.

Du sollst nicht essen, war gewissermaßen ein Warnschild. Wenn du es beachtest, bleibt das was du jetzt vor dir hast bewahrt, so wie es ist, und Dein Beziehung zu Gott kann sich entwickeln. Wenn Du aber diese Warnung nicht beachtest, gehst Du einen Weg, der dich von Gott trennt. Du wirst sterben, nicht im physischen, aber im geistlichen Sinne. Noch bevor der Geist des Menschen die Vereinigung mit Gott vollkommen erlebt hat, würde er dieser gewaltigen Möglichkeit beraubt werden.

Das sagt uns aber auch, dass Gott den Menschen niemals durch ein Gesetz in seiner Handlungsfreiheit einschränken wollte. Das Gebot war lediglich ein Prüfstein. Alles konnte der Mensch machen, bis auf das Eine. Seine Möglichkeiten waren ansonsten schier unbegrenzt und durch die aktive Anwesenheit Gottes reicher und besser als das später in der gefallenen Schöpfung je der Fall haben. Doch da war ein einziger Ort, der nicht betreten werden durfte, eine einzige Tat, die nicht geschehen sollte, und daran sollte sich das Schicksal des Menschen entscheiden, ob er der Schatten Gottes sein konnte oder nicht.

Das Gebot ist kein Gesetz. Denn ein Gesetz besteht aus vielen Geboten, es ist ein Regelwerk, das die persönliche Handlungsfreiheit einschränkt. Aber so war es nicht am Anfang, die Freiheit des Menschen war grenzenlos. Es gab keine Zäune, die ihn hinderten irgendetwas zu erreichen. Von allen Bäumen durfte er essen, nur ein einziger war ihm verwehrt. Dieser sollte die eine Möglichkeit darstellen, einen anderen Weg einzuschlagen, als den von Gott für ihn Vorgesehene. Wer könnte behaupten, dass Gott den Menschen in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt hat? Wenn ihm doch nur ein einziges Gebot gegeben war, also kein umfangreiches Gesetz; wenn er zudem in einem paradiesischen Zustand lebte, der auch nicht mit der heutigen natürlichen Kreatürlichkeit, dem unterworfen sein unter die Naturgesetze, vergleichbar ist, – wie kann dann jemals der Verdacht aufkommen, Gott hätte ein Wesen geschaffen, das nicht so frei wie er gewesen wäre und das infolgedessen auch nicht ganz dem idealen Vorbild entsprach, das Gott selbst war, als er sprach: lasset uns den Menschen machen, uns zum Bilde gleich.

Das Ziel Gottes war nicht die Begrenzung des Menschen, sondern seine freie Entfaltung, das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Nun, da der Mensch sich von Gott entfernt hat, sich also in einem Zustand befindet, der so weit weg ist, von dem was Gott geplant hat, wie das Leben vom Tod, muss man auch die Erlösung in diesem Lichte sehen. Eine Erlösung von Sünde und Tod muss letztendlich ein Höchstmaß an Freiheit beinhalten. Wenn Gott sein Ziel dennoch erreichen will und er hat das Projekt Mensch ja nicht aufgegeben, dann darf nicht angenommen werden, Gott wolle den Menschen erlösen um ihn je in einen knechtischen von Gesetzen und Zäunen begrenzten Lebensraum zu zwingen. Erlösung bedeutet die Wiederherstellung des paradiesischen Zustandes. Wie sagte Jesus zu dem neben ihm gekreuzigten Schächer: »heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.«

Der Mensch hat nicht den geraden Weg gewählt um mit Gott eine Einheit zu werden, sondern den Abweg über die Sünde, in der Verbindung mit dem Feind Gottes. Nun ist aber durch Christus eine Erlösung geschaffen worden und die bedeutet mehr als zurück an den Start. Wenn wir sie angenommen haben, dann sind wir frei: frei vom Gesetz, frei von den Beschränkungen der Sünde, frei auch, von allen ihren Folgen, wie Tod, Angst und Einsamkeit. Wir sind hineingestellt in ein neues Leben, in dem Gott wieder sichtbar ist, in dem wir erneut die Beziehung zu ihm aufnehmen und halten können. Wir sind fähig, seine Liebe zu erkennen und sie zu erwidern.

Nun geschieht dies aber noch nicht nach dem Fleisch, denn der Natur nach ist die Erlösung noch nicht wirksam geworden. Hier liegen wir noch zurück hinter den Möglichkeiten Adams im Paradies, weil dieses auf Erden noch nicht wieder hergestellt ist. Aber auch dem Geist nach unterscheiden wir uns von Adam. Denn unser geistliches Leben beginnt mit der Entscheidung ob wir ein Leben mit Gott oder ohne Gott führen wollen. Die Erkenntnis des Guten und Bösen haben wir von Adam geerbt. Wir sind nicht mehr so unschuldig, wie er am Anfang war. Aber nun lernen wir in Christus die Früchte des anderen Baumes, des Baum des Lebens kennen und genießen (im geistlichen Sinn), denn dieser Baum des Lebens war es ja, der vor dem gefallenen Menschen verborgen worden war, als er das Paradies verlassen musste.

Dieser Baum des Lebens ist ein Symbol für Christus selbst. Wir sind in seiner Nachfolge und wir bewähren uns in dieser Nachfolge, wenn wir uns von ihm leiten lassen. Was bedeutet das? Können wir nicht mehr fallen? Natürlich können wir das. Denn wir sind noch Adams Nachkommen und die Erkenntnis des Guten und des Bösen ist zu unserem Schicksal geworden. Wir wissen was gut und was böse ist und haben uns für das Böse entschieden. Das können wir auch immer wieder machen. Aber wollen wir das noch? Wollen wir diese Chance, die wir aus der Schrift erneut erkennen, aufs Spiel setzen? Wollen wir weiterhin der Sünde dienen, wie wir das bisher getan haben, anstatt Gott, der aufs Neue um uns wirbt?

Denn wir müssen ja sehen, was es gebracht hat, dass Adam und Eva das Gebot übertreten haben. Es hat sie nicht nur des Paradieses beraubt und der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott, es hat auch sofort und unmittelbar die Beziehung zwischen den beiden ersten Menschen und ihrer Nachkommenschaft selbst vergiftet. Kain tötete Abel! – Brudermord gleich in der ersten Generation. Und dann ging es weiter. Menschen beherrschten Menschen und unterdrückten sie. Die Erde wurde zu einem Lebensraum in dem das Blutvergießen und das Leid eingedämmt werden musste durch Macht und Gesetz. Erst hier wurden Gesetze nötig: jene Regelwerke, die bestimmten, wie ein Mensch zu leben hat, damit er die Rechte eines anderen Menschen nicht verletzt. Das was nach dem Willen Gottes selbstverständlich sein sollte, weil es in seinem vollkommenen Wesen verankert war, dass nämlich der Mensch als Ebenbild Gottes in Freiheit die Liebe walten ließe, das war im autonomen, von Gott losgelösten Wesen Mensch nicht zu finden. Es war nichts in ihm von dieser Liebe, die sich dem anderen zuwendet und dessen Wohl im gleichen Ausmaß sucht wie das eigene; dieser Liebe, die deshalb kein Gesetz benötigt. Insofern war er nicht mehr das Ebenbild Gottes.

Die Welt des Menschen außerhalb des Paradieses war nicht die Welt Gottes, sondern des Feindes Gottes. So war der Mensch auch nicht mehr in der Freiheit, sondern unter der Knechtschaft der Sünde, oder, wenn er es wollte, des Gesetzes, das Sünde soweit eindämmte, dass das Schlimmste verhindert würde. Nicht erst unter Moses gab es ein Gesetz. Gesetze kannten die Menschen schon viel früher. Die bekannteste archäologische Sammlung von Gesetzen ist die des Königs Hammurabi von Babylon um ca. 1700 v.Chr. Sie wurden in Stein gemeißelt, um das Chaos einer anarchischen Gesellschaft zu verhindern und es bedurfte starker und oft grausamer Machtmittel, um diese Gesetze überhaupt durchzusetzen – Machtmittel, die wir in verfeinerter, zivilisierter Form ja heute noch kennen, wie Gefängnistrafen, oder in manchen Ländern sogar noch die Todesstrafe, nach Gerichtsurteilen. Aber was hilft es? Ohne Gesetze geht es nun einmal nicht, wenn nicht Selbstlosigkeit und Liebe regiert, sondern Selbstsucht (Egoismus) und Hass das Handeln des Menschen bestimmt.

Insofern müssen wir auch eine Lanze für das Gesetz brechen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als wären Gesetze durchwegs etwas Schlechtes. Im Gegenteil, da wir in einer schlechten Welt leben, sind sie notwendige Mittel, zur Eindämmung des Bösen – sie sind nicht das Ideal, aber sozusagen wertneutral. Wir werden, solange diese natürliche Welt noch nicht überwunden worden ist und das Reich Gottes noch nicht durch die Gegenwart Christi angebrochen ist, Gesetze haben müssen. Vorschriften, Regeln, Vereinbarungen oder nennen wir es, wie wir wollen. Das gehört zum Menschen in dieser Zeit und ist untrennbar mit seiner unerlösten Natur verbunden. Darum machen wir uns keine Illusionen. Anarchie oder Gesetzlosigkeit ist nicht das, was dem Menschen Freiheit bringt, sondern das was die Herrschaft der Sünde stärkt und den Menschen noch mehr versklavt.

Aber wie wir schon in meinen letzten beiden Predigten gesehen haben, ist das Ziel der Erlösung doch die Freiheit der Kinder Gottes. Und in dieser Freiheit haben wir wieder, wie Adam im Paradies, nicht ein Gesetz, sondern ein Gebot das unser Leben bestimmt, ein einziges nur, dieses Gebot aber hat Jesus aufgestellt.

Er war der erste von uns, darum nennen wir uns Christen. Er war ein Mensch, ganz und gar als Mensch geboren, doch frei in seinem Geist, weil ohne Sünde, denn er war von Gott geboren. Er hat von seinen Nachfolgern verlangt, was wir in seiner Abschiedsrede an seine Jünger in Joh. 13:34 finden:
»Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.« Das ist die einzige Forderung, die für uns relevant ist. Es ist im Gegensatz zum Paradies nun nicht mehr ein Verbot, sondern ein Gebot – das Gebot den Nächsten zu lieben wie sich selbst, beginnend natürlich bei den Brüder und Schwestern, die Jesus nachfolgen wie wir das tun wollen.

Alles andere ist Sache von Vereinbarungen, die in der Liebe getroffen werden müssen. Ob wir in einer Gemeindeversammlung irgendetwas beschließen, oder in der Gemeindeordnung eine Regelung getroffen haben, das ist nicht so wichtig. Diese Dinge müssen auch sein und wir kennen sie auch aus dem neuen Testament. Aber es sind Hilfsmittel, die uns gegeben sind, solange wir noch in einer Welt leben müssen, die von der Sünde geprägt ist. Es ist gut, wenn wir diese Hilfsmittel einsetzen, aber über allem muss die Liebe stehen. Sie ist das absolute Gebot, in allem anderen haben wir Freiheit im Geist, der uns in Weisheit leiten wird, wenn wir in seiner Liebe bleiben.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Teil aus meiner Predigtserie über Freiheit und Gesetz manches klären konnte. Ich habe diese Überzeugungen gewonnen in jahrelangem Schriftstudium, in meinen frühen Jahren als Christ war mir vieles nicht so deutlich und manche sinnlosen Kämpfe in meinem Leben waren davon geprägt, dass ich nicht wusste, was Freiheit in Christus bedeutet. Aber Gott hat mir manches gezeigt und es ist nun meine feste Absicht, mich von nichts anderem mehr leiten zu lassen, als von der Liebe Christi.

Ich möchte nicht sagen, dass das leicht ist. Liebe wird oft nicht verstanden und manchesmal wird sie auch bewusst abgelehnt. Das kann sehr schmerzhaft sein. Aber das war es ja für unseren Herrn Jesus auch, und er hat es auf sich genommen. Ich hoffe sehr, dass er mir die Gnade gibt, die restliche Jahre meines Lebens mit nichts anderem mehr zu vergeuden, als mit der Liebe die er mir schenkt, damit ich sie weitergebe. Ich möchte Euch auch dazu einladen, diesen Weg mit mir zu gehen. Es wird kein leichter Weg sein, aber einer der sich lohnt, weil er frei macht und das Paradies ankündigt, das Jesus uns bringen wird, wenn er wiederkommt. Sooft wir aber von diesem Baum des Lebens essen, werden wir im Geiste schon jetzt erleben was es heißt, ein Bild, ein Schatten Gottes zu sein.

Amen!