6. Die Organisation des Leibes (dritte und vierte Liste)

Vergangene Woche habe ich in Wels gepredigt. Wie die meisten ja wissen, waren wir in dieser Stadt 15 Jahre lang und kennen daher noch viele Geschwister dort von damals. Ihre Kinder sind inzwischen groß geworden, wie unsere auch, und haben wieder Familien mit Kinder. Es ist schon eigenartig, wie sich die Beziehung zwischen Gläubigen gestalten. Wenn ich denke, dass ich Arbeitskollegen von damals treffen würde, mit denen ich vielleicht mehr Stunden zusammen verbracht habe, als mit meinen Glaubensgeschwistern, so wäre es nicht dasselbe, oder Nachbarn, die mir geografisch näher waren als die Gemeindemitglieder.

Mit ganz wenigen Ausnahmen würde es mich nicht in der gleichen Weise bewegen, als die Begegnung mit Geschwistern im Glauben, die ich schon lange nicht gesehen habe.

1. Kor. 12:26-27 26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. 27 Ihr aber seid [der] Leib des Christus, und jeder ist ein Glied [daran] nach seinem Teil.

Ja ich habe sogar die Erfahrung gemacht und sicher haben auch viele von Euch es ähnlich erlebt, dass wenn ich Menschen begegne, die ich überhaupt nicht kenne, von denen ich aber weiß, dass sie wie ich unseren Herrn Jesus Christus lieben, ich eine besondere Beziehung zu ihnen habe und wir das sofort merken. Es ist als würden wir uns schon lange kennen und doch sind wir uns eben zum ersten mal begegnet. Sie können mir ihre Geschichte erzählen und ich ihnen meine und wir verstehen uns. Ihre Leiden sind meine Leiden und ihre Freude sind meine Freude. Das ist das Wunder des Leibes Christi auf Erden, der Gemeinde. Gott hat uns zusammengefügt und nun gehören wir zusammen und das dringt tief in unser Leben ein und berührt uns im Inneren. Vor zwei Wochen waren wir in Wien und gingen am Sonntag in die nächstgelegene Gemeinde, eine kleine Baptistengemeinde am Stadtrand. Dort war die halbe Gemeinde auf Urlaub und die andere Hälfte waren Gäste wie wir. Dennoch war es ein schöner Gottesdienst und wir haben uns alle sehr wohl und willkommen gefühlt.

Und nun sind wir wieder hier, wo wir zu Hause sind unter Euch und sind auch froh. Denn trotz allem seid Ihr uns abgegangen. Es ist nicht leicht Euch zu vergessen, denn Ihr gehört zu unserem Leben, weil Ihr wie wir Glieder am Leib Christi seid. Es ist ein unabänderliches Schicksal, das uns alle verbindet, ob wir das so wollen oder nicht. Davon handelt auch der heutige Text unserer Predigtserie. Das ist es, was Paulus schließlich auch den Korinthern zugerufen hat, aus einem fernen Lande, als er ihnen diesen Brief schrieb. Er war weit weg, aber er litt mit denen in Korinth, die gelitten haben, und er suchte als Apostel, auch aus der Ferne zu helfen, damit sie sich wieder freuen könnten und er mit Ihnen.

Denn vergessen wir es nie, wenn wir diese Kapitel im Korintherbrief lesen: es geht um Missstände die in der Gemeinde da waren und die korrigiert werden mussten. Daran gibt es keinen Zweifel, das müssen wir bei der Auslegung dieser Verse immer berücksichtigen.

Wir haben das letzte mal gesehen, was das Ziel des Heiligen Geistes ist, nämlich überall, an allen Orten den Leib Christi zu bilden, die Gemeinde. So auch in Korinth. Dieser Leib aber, wenn er wirklich vom Heiligen Geist gebildet worden ist, stellt sich als Einheit dar. Es ist eine Einheit in der Vielfalt. Wie der Leib einer ist, aber die Glieder vielfältig in den Formen und Funktionen, so sind auch die Menschen in einer Gemeinde nicht uniform und gleich begabt. Dennoch sind wir eine Einheit. Das Ziel ist also klar, worum es nun geht ist, doch zu erfassen, was die Struktur dieses Leibes ist. Wie organisiert sich der Leib Christi? Oder ist Organisation überhaupt nicht vorgesehen? Manche spielen das ja gegeneinander aus, sie sagen, ein Leib ist ein Organismus und keine Organisation. Ich denke dass das überspitzt ist. Denn jeder Organismus ist organisiert. Das sind keine wirklichen Gegensätze. Das einzige was man sagen kann ist, dass die Organisation von Organismen, oder Lebewesen von außen unbeeinflusst stattfindet. Die Pläne für die Organisation liegen in den Genen, wie wir ja wissen. Diese Pläne bestimmen, wie jedes einzelne Organ am Leib ausgebildet wird. So ist es auch mit dem Leib Christi: der Heilige Geist, der den Leib bildet und ein Teil des Leibes Christi ist, organisiert diesen autonom nach seinen Plänen, da ist menschliches Zutun fehl am Platze. Dennoch ist der Leib organisiert und mitunter sogar auf eine recht menschliche Art und Weise, denn der Leib Christi besteht ja aus Menschen und ist für Menschen wirksam, warum soll sich also die Struktur der Gemeinde so großartig von der anderer menschlicher Organisationen unterscheiden? Wer denkt, dass es in der Gemeinde chaotisch und strukturlos zugehen müsse, der wird gerade von den Korintherbriefen eines Besseren belehrt.

 

Die dritte Liste

Wie wir gesehen haben, sind die Glieder am Leib füreinander da, sodass einer dem anderen dient. Es gibt also eine Ordnung des Dienstes, die wir nun in den folgenden Versen sehen werden:

1. Kor. 12:28-31 Und Gott hat in der Gemeinde etliche eingesetzt, erstens als Apostel, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; sodann Wunderkräfte, dann Gnadengaben der Heilungen, der Hilfeleistung, der Leitung, verschiedene Sprachen. (29) Sind etwa alle Apostel? Sind etwa alle Propheten? Sind etwa alle Lehrer? Haben etwa alle Wunderkräfte? (30) Haben alle Gnadengaben der Heilungen? Reden alle in Sprachen? Können alle auslegen? (31) Strebt aber eifrig nach den vorzüglicheren Gnadengaben, und ich will euch einen noch weit vortrefflicheren Weg zeigen:

Das erste was bei diesem Text auffällt ist die Betonung einer Rangordnung in der Aufzählung, die nach unten hin abflacht. Erstens, Zweitens, Drittens, und weiter unten wird nicht mehr gezählt, hier stehen die Dinge dann scheinbar mehr nebeneinander. Es ist dies die dritte Liste von Gnadengaben und es ist das erste mal, dass Paulus mit Zahlen eine Rangordnung festzulegen scheint. Noch ein paar Verse vorher (8-10) hat er in der zweiten Liste davon gesprochen, dass dem Einen das gegeben worden ist und dem Anderen etwas Anderes. Ähnlich war das auch bei der ersten Liste in Römer 12: 5-8. Nun aber Erstens, Zweitens und Drittens? Warum das?

Ich denke nicht, dass Paulus hier ohne Absicht die Bedeutung der Gaben differenziert. Da stellt sich natürlich sofort eine Frage: wenn Paulus doch eben betont hat, dass der Leib eine Einheit ist und alle Glieder gleich wichtig sind, wieso schafft er hier doch noch eine Rangordnung? Ich glaube, dass das damit zusammenhängt, dass wir erkennen müssen, was die Aufgabe des Leibes Christi insgesamt ist. Wir haben gesagt, dass es das Ziel des Geistes Gottes ist, den Leib Christi zu bilden. Doch die Zielsetzung für die Gemeinde selbst ist eine Andere, nämlich nach Außen gerichtete und das kommt auch in dieser Ordnung zu tragen.

1. Der Apostel

Das was wir hier nämlich an Erster Stelle gesetzt sehen ist der Apostel. Sehen wir uns mal die Bedeutung des Apostels an und fragen wir danach, was seine Aufgabe ist, dann wird uns einiges deutlicher werden. Das Wort Apostel bedeutet Gesandter. Wir wissen ja, dass Jesus selbst die ersten 12 Apostel ausgesucht hat. Jesus hatte noch viele Jünger, aber aus diesen Reihen erwählte er zwölf zu einer besonderen Mission. Sie waren dafür verantwortlich, dass sein Name bekannt gemacht würde. Wenn sie in eine Gegend kamen, gingen sie ihm voraus und brachten die Menschen zu ihm.

Aber das Wichtigste kam erst, nachdem Jesus von den Toten auferstanden war und kurz bevor er in den Himmel aufgefahren war. Da rief er seine Apostel noch einmal zu sich und gab ihnen den eigentlichen Auftrag, den sie nun zu erfüllen hatten. Wir kennen diesen Auftrag unter dem Titel Missionsbefehl und finden ihn in jedem der vier Evangelien beschrieben. Bei Markus 16 liest sich das so:
(15) Und er sprach zu ihnen: Geht hin in alle Welt und verkündigt das Evangelium der ganzen Schöpfung! (16) Wer glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (17) Diese Zeichen aber werden die begleiten, die gläubig geworden sind: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, (18) Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nichts schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.

Es ist auch ausdrücklich erwähnt, dass es die 11 Apostel waren zu denen Jesus diese Worte sprach. Andere Jünger waren zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend. Gehen wir nun von der profanen Bedeutung des Wortes Apostel aus, dann finden wir, dass so Menschen bezeichnet wurden, die offiziell von einer weltlichen Macht irgendwohin gesendet wurden. Dabei ging es immer um überseeische Unternehmungen. Es ist ein griechisches Wort und Griechenland ist ja bekannt als Seefahrervolk, das darauf aus war, den Handel im Mittelmeerraum durch die Gründung von immer mehr griechischen Städten an den Küsten anderer Länder zu beherrschen. Um nun die griech. Kultur und Macht zu repräsentieren wurden Gesandte in besonderen Schiffen in diese Länder gesendet, mit dem Ziel Kolonialstädte zu gründen. Der Befehlshaber dieser Flottenexpedition wurde Apostel genannt. Er war der Beauftragte, er redete und handelte mit der Vollmacht derer, die ihn gesandt hatten, den Regierungen der griech. Stadtstaaten.

In diesem Sinne waren auch die Apostel beauftragt, das Evangelium in die Welt hinaus zu tragen, vorzugsweise in andere Länder und Kulturen, bis an allen Orten Gemeinden entstanden sind. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass sie an erster Stelle stehen. Der Auftrag ist es, der ihnen diesen Rang gibt. Die Apostel waren keine Herren über die Gemeinde, sie waren aber die Frontmänner und die Bedeutung dessen was sie taten ist im Sinne der Erfüllung des Missionsbefehles am Höchsten einzuschätzen.

Wir sehen auch, dass die Apostel in besonderer Weise ausgerüstet worden sind, mit Verheißungen, die darauf abzielen, den Widerstand zu brechen, der sich Ihnen erwartungsgemäß entgegenstellen würde. Der Apostel der griechischen Flotten war auch gut ausgerüstet. Die Schiffe waren extrem bewaffnet und das öffnete manchen Weg zu fruchtbaren Verhandlungen. Aber wahrscheinlich hatten die Griechen auch etwas anzubieten, nämlich begehrte Handelswaren und technisches Know-how.

Das klingt jetzt alles sehr politisch, aber natürlich hatten die Apostel des Herrn keinen politischen Auftrag. Es ist eine starke Verbiegung des Missionsbefehles, wenn wir das hineinlesen wollten. Die Kreuzritter im Mittelalter haben das tatsächlich so verstanden, als sie zu Ihren Kreuzzügen aufbrachen. Doch davon ist gar nicht die Rede, denn die Machtmittel, die den Aposteln gegeben worden sind, waren nicht militärisch, sondern geistlich. Die Zeichen der Apostel, das sind ihre Machtmittel, waren geschehen um ihre Glaubwürdigkeit zu dokumentieren. Ich bin überzeugt, dass sie auch heute noch geschehen können, wenn Gott das für richtig befindet. Aber das Zeichen oder Wunder das geschieht, muss etwas mit dem Auftrag eines Apostels zu tun haben.

Was bedeutet das für uns heute? Gibt es noch Apostel? Ich denke, solange der Auftrag, die Welt mit dem Evangelium zu erreichen, noch nicht abgeschlossen ist, gibt es Apostel und wenn dieser Auftrag beendet ist, dann wird Jesus wiederkommen, wie es im prophetischen Wort vorausgesagt worden ist. Allerdings verwenden wir heute nicht mehr das Wort Apostel, sondern das lateinische Wort Missionar, was das gleiche bedeutet, wenn wir mal von der Sonderstellung der 12 ersten Apostel absehen. Es gab ja damals schon bald weitere Apostel, denn die 12 hätten den Missionsbefehl bei aller Wunderkraft niemals alleine ausführen können.

Nun sind aber die Dinge heutzutage so verwaschen, dass sich viele Missionare nennen, die dies im biblischen Sinne eigentlich nicht sind. Von ihnen sind auch kaum die Zeichen der Apostel zu erwarten. Vielmehr gibt es in der weltweiten Gemeinde Jesu Christi einen regen Austausch an Personen, das war ja auch damals so, und nicht jeder der ins Ausland geht, ist deswegen schon ein Apostel, auch wenn er im Glauben unterwegs ist. Er kann andere sehr wertvolle Gaben haben, die seinen Dienst in einem anderen Land auch rechtfertigen. Der Apostel im biblischen Sinne jedoch ist einer, der ein Land oder einen Kulturkreis neu für das Evangelium erschließt und den Gott darin bestätigt. Das ist es was Paulus hier meint und deshalb gibt er diesen Leuten auch den Vorzug, denn auf sie kam es damals, als die Mission noch ganz am Anfang stand, in besonderer Weise an. Sie hatten auch die meiste Unterstützung nötig, wenn man bedenkt, was sie leisteten und wie sie damals buchstäblich wie Jesus selbst unterwegs waren, ohne ein wirkliches zu Hause und, wie im Fall des Paulus, sogar ohne Familie.

2. Der Prophet

An zweiter Stelle finden wir den Propheten genannt. Seine Bedeutung ist leicht nachvollziehbar, wenn wir bedenken, dass die Propheten Menschen waren, die Gottes Wort direkt ausgesprochen haben. Wir dürfen hier ruhig an die Tradition der alttestamentlichen Propheten denken, die mit Aussagen wie »So spricht der Herr!«, in einzigartiger Weise Ihre Zuhörer in den Bann zogen. Sie beanspruchten damit eine außergewöhnliche Autorität, die manchmal schwer zu akzeptieren war.

Wenn uns jemand mitteilt, dass er von Gott eine direkte Anweisung erhalten hat, dann erübrigt sich ja jede Diskussion. Dennoch wissen wir, dass die Apostel und die ersten Jünger auch diskutierten, ja dass es sogar Entscheidungen gab, die ganz modern per Abstimmung getroffen wurden. Wenn nun nicht immer das direkte Wort Gottes die Grundlage von Entscheidungen war, was ist dann das Kriterium, wann ein Wort Gottes zu erwarten ist und wann nicht? Ich glaube dass dies eine sehr entscheidende Frage ist. Was ist die Antwort? Wie sollen wir vorgehen, wenn wir irgendetwas in der Gemeinde entscheiden? Sollen wir um ein prophetisches Wort beten, oder sollen wir darüber sprechen und mit unserem Verstand Gottes Willen zu ergründen versuchen, nach dem Grundsatz, dass wenn uns Gottes Geist leitet, er dies auch über unsere natürlichen Ressourcen des Verstandes und unserer Kommunikationsfähigkeit tun kann. Es ist nicht leicht diese Frage zu beantworten, aber es ist möglich.

Wir müssen dabei berücksichtigen, dass es sich bei den Propheten um Menschen handelte, die das Wort Gottes offenbarten und zwar nach dem Prinzip einer fortschreitenden Offenbarung. In Hebr. 1:1-2 lesen wir:
(1) Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, (2) hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat.

Es geht also in einer prophetischen Offenbarung darum, dass wir Gottes Handeln in der Historie erkennen. In diesem Sinne können wir die Propheten des alten Testamentes studieren, wie es ja das Anliegen des Hebräerbriefes ist, oder wir können etwas dazu erfahren, wie die Dinge jetzt stehen. Dabei müssen wir aber berücksichtigen, dass der Text hier von den letzten Tagen spricht, um die es sich handelt. Dass seit dem ersten Kommen Jesu schon 2000 Jahre vergangen sind, spielt keine Rolle, denn bei Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag, wie wir von Petrus wissen. Es ist jedenfalls der letzte Zeitabschnitt, an dessen Ende Jesus wiederkommen wird um die Herrschaft auf dieser Welt zu übernehmen. Das heißt, ohne eine eschatologische Sicht, werden wir kaum ein Prophetenwort wirklich verstehen.

Die Aussage der neutestamentlichen Propheten haben sich also immer darauf zu beziehen, was geschehen wird, wenn und bevor Jesus wiederkommt. Es ging also nicht darum, sich um schwierige Entscheidungen des Gemeindealltags herumzudrücken, in dem man einfach den Propheten befragte, sondern eigentlich ging es immer um den großen Heilsplan Gottes mit der Welt.

Nun ist ja aber der große Rahmen vorgegeben, die Offenbarung eigentlich abgeschlossen. Zwar sind nicht alle Details bekannt, aber eine Menge prophetischer Informationen finden wir nun auch im Neuen Testament und können sie immer wieder nachlesen. Wir wissen auch, dass es nicht leicht ist, alle diese Informationen zu verstehen. Manches scheint versiegelt zu sein für die Zeit, wenn sich das Wort erfüllen wird. Vor allem in der Offenbarung des Johannes wird vieles in Bildern erzählt, die wohl nur von denen gedeutet werden können, die es betrifft, wenn sie in dieser Zeit leben.

Machen wir uns aber nun bewusst, dass – soviel wir dennoch darüber wissen, was unsere Zukunft ist und wie Gott sein Reich durch den Heiligen Geist aufbauen wird – die Gläubigen der ersten Zeit diesen Luxus nicht hatten. Sie konnten nicht, wenn sie eine Frage hatten, in das Bücherregal greifen und die Bibel lesen, um im Glauben gestärkt und immer wieder bestätigt zu werden, dass alles so eintreffen wird, wie es gesagt ist. Sie waren auf die ständige Mitteilung der Propheten angewiesen. Aber wie schnell verblassen doch gesprochene Worte. Ich glaube wir unterschätzen immer noch die Bedeutung der Bibel vielfach. Die Heilige Schrift war doch damals erst am entstehen, es brauchte beinahe 3 Jahrhunderte, bis sie als Ganzes verfügbar war!

Wir dürfen zwar annehmen, dass in den Gemeinden die einzelnen Schriften, so wie sie entstanden, sehr schnell Verbreitung fanden. Aber es dauerte, bis alle Gemeinden alle Schriften besaßen und zudem mussten diese noch mit falschen Schriften konkurrieren, die nicht von den Aposteln geschrieben worden waren, die Apokryphen des neuen Testamentes. Wie also sollte die Gemeinde diese ersten Jahrhunderte ohne Propheten überleben? Da wird uns schon klar, warum die Propheten hier gleich an zweiter Stelle genannt werden.

Oft wird auch gefragt, warum es nun heute keine Propheten mehr gibt. Ich denke diese Antwort ist nun klar: weil alles nicht nur gesagt, sondern auch niedergeschrieben worden ist, was gesagt und geschrieben werden musste. Und nun gilt es das zu glauben und anzunehmen und nicht immer wieder auf neue Offenbarungen zu warten. Über das was geschrieben steht, muss es nicht immer wieder eine neue Offenbarung geben, es kann ja nachgelesen werden.

Heißt das, dass es nie wieder Propheten geben wird? Das können wir so auch nicht sagen. Wir wissen zumindest von den beiden Zeugen in der Offenbarung des Johannes, dass sie noch einmal weissagen werden, offensichtlich geschieht dies aber in Verbindung mit dem Neubau des Tempels in Jerusalem (Off. 11:1-3). Davon wissen wir nur sehr wenig. Wenn die Zeit kommen wird, braucht es wahrscheinlich ergänzende Weissagungen. Aber bedenken wir, dass es sich hier um einen heilsgeschichtlichen Wendepunkt handelt. Hier haben wir also wieder das Kriterium für das Auftreten von biblischer Prophetie von dem wir oben gesprochen haben.

Da wir nicht in so einer Zeit leben – seit über 2000 Jahren haben wir eine gleichbleibende Heilszeit – wir leben noch mitten im Zeitalter der Gnade, oder der Gemeinde, braucht es nicht viel Weissagung. Es ist dazu ja alles geschrieben. Bedeutend scheint für uns höchstens noch, dass es durchaus Situationen geben kann, die ein direktes Wort Gottes erfordern, etwa in Verfolgungszeiten, wenn das geschriebene Wort extrem unterdrückt wird und nicht mehr, oder nur teilweise verfügbar ist. Also sollten wir das nicht zu dogmatisch nehmen. Wer sind wir, dass wir sagen können, Gott spricht auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu einer bestimmten Zeit nicht mehr. Er hat auf vielerlei Weise gesprochen und wird es weiterhin tun, wenn er es für richtig hält.

Wir können aber davon ausgehen, dass es damals viele Propheten gab. Wahrscheinlich in jeder Gemeinde mehrere. Doch dass dies nicht immer leicht war für die Gemeinden, das werden wir dann noch in Kap. 14 erkennen.

3. Der Lehrer

An dritter Stelle finden wir nun den Lehrer genannt. Darunter verstehen wir in der Gemeinde einen Rabbi nach jüdischem Vorbild, wie Jesus auch oft genannt wurde. Ein Rabbi war vor allem ein Schriftgelehrter. Er kannte die Aussagen der Propheten, deren es ja viele gab und er war in der Lage, ihre Rätsel zu lösen, denn es war ja nicht alles so einfach zu verstehen. Wie wir wissen, verblüffte Jesus, der einfache Zimmermannssohn die Schriftgelehrten schon als 12-jähriger im Tempel mit seiner Schriftkenntnis.

Ein Lehrer der Schrift zu sein ist keine einfache Sache. Vieles im Wort Gottes ist auch heute nicht vordergründig erfassbar, denn der literarische Stil ist stark von der Persönlichkeit der Schreiber und ihrer Biografie abhängig. Die Bibel ist kein Dogmenbuch, sondern ein historisch gewachsenes literarisch sehr vielfältiges Werk. Das ist auch gut so, denn das gibt ihr einen unverwechselbaren Zeugnischarakter und damit eine hohe Glaubwürdigkeit. Denn obwohl so viele in jeder Hinsicht unterschiedliche Schreiber, in einer so langen Zeitspanne daran geschrieben haben, ist sie doch von einer verblüffenden Einheit, es gibt nichts vergleichbaren in der Literatur.

Die Lehre der heiligen Schrift tritt aber erst zu Tage, wenn man sich ganz auf sie einlässt. Da ist nichts, was sich einem so leicht anbietet, wie in einem Roman. Wir müssen nach ihren Schätzen graben, und wir finden sie auch. Ein Lehrer aber hat die Aufgabe, das was er in der Schrift gefunden hat zu einem Bild der Lehre zusammenzufügen, wie ein Puzzle und es weiter zu geben, damit es der Gemeinde zur Erbauung und Orientierung dient. Lehrer sind Schatzgräber im Dienste der Gemeinde.

Damals waren die Lehrer im Aufbau der Gemeinde weitgehend auf die Propheten angewiesen. Heute sind sie dank des Neuen Testamentes unabhängig und können Ihrerseits vom Wort Gottes her beurteilen, ob eine Aussage übereinstimmend ist oder nicht. Deshalb kommt meiner Meinung nach der Lehre heute mehr Bedeutung zu, als der direkten Weissagung – ganz einfach deshalb, weil mit Hilfe der Schrift das Richtige vom Falschen einfach zu trennen ist.

Die vierte Liste

Wir sind heute nicht sehr weit gekommen in unserem Text, aber es war wichtig, diese drei Positionen zu klären, bevor wir weitergehen. Und zum Schluss möchte ich diese dritte Aufzählung von Gnadengaben auch noch mit einer vierten und letzten vergleichen, die wir in der Heiligen Schrift haben, weil sie dieser sehr ähnlich ist. Es ist dies die Liste der geistlichen Ämter der Gemeinde in Eph. 4:11: (11) Und Er hat etliche als Apostel gegeben, etliche als Propheten, etliche als Evangelisten, etliche als Hirten und Lehrer, (12) zur Zurüstung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes des Christus.

Hier haben wir zur Aussage in 1. Kor. 12 zwei wichtige Ergänzungen: 1. finden wir hier den Evangelisten, den wir bisher noch nicht hatten, und 2. bekommt der Lehrer eine zusätzliche Funktion, nämlich die des Hirten. Ansonsten werden aber auch hier die Apostel und Propheten vorweg genannt und alle vier zusammen werden als wesentlich und bedeutend für die Auferbauung des Leibes genannt.

Der Evangelist

Apostel und Propheten habe ich schon versucht zu definieren. Der Evangelist ist nun einer, der keine neue Gemeinde gründet, aber der durch die Verkündigung des Evangeliums in seinem Kulturkreis sehr wesentlich zum Wachstum der Gemeinde beträgt. Wie der Apostel ist er offensiv nach außen gerichtet in seinen Aktivitäten und es ist sehr wichtig, zu jeder Zeit, dass die Gemeinde solche Leute hat.

Der Lehrer als Hirte

Der Lehrer dagegen wirkt mehr nach innen, dies wird hier um so mehr deutlich, als er eben auch Hirte genannt wird. Der Hirte aber, das wissen wir aus Apg. 20:28, war eine Ehrenbezeichnung für die Ältesten der Gemeinde, die der Apostel Paulus eingesetzt hatte, nachdem er die Gemeinden gründete. In seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus sagt er:
(28) So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch zu Aufsehern gesetzt hat, um die Gemeinde Gottes zu hüten, die er durch sein eigenes Blut erworben hat!

Besser könnt man die Aufgabe eines Lehrers nicht umreißen. Gerade im Hirtendienst aber zeigt sich, dass Lehre nicht so zu verstehen ist, wie in unserem Kulturkreis normalerweise, nämlich als Job, den jemand von der Kanzel aus betreibt ohne besondere Beziehungen zu seinen Schülern. Jesus der gute Hirte kannte seine Schafe mit Namen. Jesus lehrte nicht nur in Predigten, sondern auch in vielen Gesprächen mit seinen Jüngern. Seine ständige Anwesenheit und sein Nahesein bei den Jüngern und Apostel, war ein wesentlicher Teil seines Lehrdienstes, den wir heute wohl als Seelsorge bezeichnen würden.

Wir haben also gesehen, dass es bei den Gnadengaben doch welche gibt, die von besonderer Bedeutung sind. Wir werden auch das nächste mal noch kurz darauf eingehen müssen, bevor wir uns dann dem zuwenden, was wir auch schon gelesen haben, nämlich den noch köstlicheren Weg, den Paulus hier am Ende des Kapitels erwähnt und in Kap 13 beschreibt.

Möge Gott schenken, dass wir als Gemeinde über alle Gaben verfügen, die wir zur Auferbauung brauchen. Es liegt an ihm und nicht an uns. Sein Geist kann es schenken.
Amen!

7. Der vortrefflichere Weg (1. Kor. 12:31 - 13:3)