2. Der natürliche Mensch (Rö 7)

Die dritte Predigt der Serie unter dem Titel »Christus unser Charisma«, beschäftigt sich mit der inneren Widersprüchlichkeit menschlichen Verhaltens. Was hat Paulus mit den beiden Naturen gemeint, die in ihm streiten? Paulus beschäftigt sich hier erneut mit seiner Vergangenheit und zwar als Jude der unter dem Gesetz stand. Warum war es ihm nicht möglich, in dieser Zeit den Willen Gottes zu tun?

 

»(6:11) So haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid, und lebt Gott in Christus Jesus.« Das war die Kernaussage von Römer 6. In diesem Kapitel machte Paulus ein für alle mal deutlich, dass es nicht nur um Sündenvergebung geht, sondern darum, von der Sünde frei zu werden.»(6:20-22) Denn als ihr Knechte (Sklaven) der Sünde wart, da wart ihr frei von Gerechtigkeit. Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte (Sklaven) geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.«

Es geht also um die Frucht der Heiligung und der Gerechtigkeit. Das ist die Forderung der wir uns vor Gott gegenüber stehen sehen. So wie einst die Sünde in unserem Leben Tribut verlangte, weil wir ihre Sklaven waren, so verlangt nun die Gerechtigkeit den Tribut und wenn wir nicht in der Gerechtigkeit leben, werden wir schnell in eine Sackgasse geraten. Wir sind Knechte, Sklaven Gottes geworden, und das hat Konsequenzen. Wir dürfen nicht meinen, dass wir Gott als unseren Herrn haben und dieser darauf verzichten wird, dass wir ihm dienen. Nirgendwo gibt es einen Herrn, der darauf verzichtet, dass seine Diener ihm dienen. Drücken wir es aber ruhig auch modern aus. Keine Firma wird jemanden einstellen und dann dulden, dass dieser Angestellte oder Arbeiter etwas anderes tut, als das wofür er eingestellt wurde. Ein Glaubensbruder erzählte mir kürzlich, wie er in seiner Firma einen Arbeitskollegen überprüfen musste und es stellte sich heraus, dass dieser an seinem Arbeitsplatz jahrelang für eine andere Firma gearbeitet hatte. Das hatte natürlich Konsequenzen. Wie sollten wir also ausgerechnet von dem Herrn aller Herren erwarten, dass er sich solches gefallen lassen würde? Wenn wir gläubig sind, aber nicht so leben, dann wird er uns in mehr oder weniger deutlicher Form an unser Versprechen bei der Bekehrung erinnern, darauf können wir uns verlassen.

Aber Gott zu dienen, das scheint keine leichte Sache zu sein. Wir haben in der Geschichte des Alten Testamentes den Bericht von einem ganzen Volk, das es versucht hatte Gott zu dienen und dabei kläglich gescheitert ist. Zu diesem Volk gehörte Paulus selbst und in der ersten Generation der Christenheit waren viele Juden in der Gemeinde. Deshalb musste sich Paulus auch immer wieder mit seinen Landsleuten, die er Brüder nennt, auseinandersetzen. Er musste ihnen erklären, was der Unterschied ist zwischen dem alten und dem neuen Bund mit Gott, in dem sie nun standen.

Aus diesem Grunde schrieb Paulus das siebte Kapitel des Römerbriefes, in dem er sich noch einmal mit dem Gesetz auseinandersetzt. Denn viele dieser Judenchristen waren der Meinung, dass das Gesetz des Moses auch im Christentum eine große Rolle zu spielen habe. Als Zeichen dafür hätten sie gerne gesehen, dass sich die Heidenchristen nicht nur taufen, sondern auch beschneiden ließen und sich damit sozusagen nicht nur Christus, sondern auch Moses verpflichten sollten.

Das ist der geschichtliche Hintergrund von Römer 7, wie das ja auch in vielen anderen Texten in den Paulusbriefen immer wieder ein Thema ist. Wir könnten nun sagen, das ist ja Schnee von gestern. Da sind keine Juden mehr, die von uns Christen die Beschneidung und Verpflichtung auf Moses erwarten, könnten wir dann nicht solche Texte einfach vernachlässigen und in unserm Falle gleich zu Römer Kap. 8 weitergehen?

Nein, das können wir nicht, und zwar aus einem einfachen Grunde. Es stimmt zwar, dass sich im Christentum die Beschneidung nicht durchsetzte, aber was wir trotzdem sehr oft beobachten konnten ist doch, dass viele Denominationen eine dem mosaischen Kult sehr ähnliche Frömmigkeitsform angenommen haben. Es geht dabei nicht nur um die 10 Gebote, die das Fundament der geoffenbarten Gerechtigkeit Gottes darstellen und die sicher auch heute noch beachtenswert sind. Das Problem sind von Menschen erdachte Programme, die eine Zusammensetzung von der Bibel entnommenen Vorschriften und eigenen Gesetzen beinhalten und die als Vorschrift für den Gläubigen gelten sollen. Sie sagen ihm, was er zu tun habe, wenn er Gottes Gnade in Anspruch nehmen möchte. Dabei geht es sogar um Opferungen und klerikalen Priesterkult; es geht um Gesetze und Traditionen die exakt befolgt werden müssen, um jemanden das Gefühl zu geben, ein guter Christ zu sein. Ob in den Großkirchen, ob in den Klöstern mit ihren eigenen Regeln, oder in modernen Sekten mit ihren engen Verhaltensregeln, überall macht sich der Virus der Gesetzlichkeit bemerkbar und führt die Menschen in die Irre, sodass sie meinen, es wäre ja doch möglich, sich durch die Erfüllung und Einhaltung von Geboten einen Platz im Himmel zu verdienen. Die Aussage war bis jetzt schon klar: zu der Art von Frucht, die Gott von uns erwartet, können wir nicht auf dem Wege des Gesetzes gelangen, das ist nicht möglich.

Paulus konnte nur auf die einzige Form der Gesetzlichkeit eingehen, die es damals gab, nämlich die jüdische. Diese war damals die einzige Gesetzesreligion. Heute kann auch der Islam als solche betrachtet werden, aber leider auch eine Vielzahl von christlichen Denominnationen, auch einige mennonitsche Verzweigungen sind davon nicht verschont geblieben.

Darum müssen wir die Argumente des Paulus gegen das Gesetz verstehen, um sie sowohl auf die vielen kirchengeschichtlichen Spielarten der Gesetzlichkeit anwenden zu können, als auch auf die heutigen Varianten. Denn es geht hier nicht um die Form an sich, die kann sich immer wieder ändern, es geht um das Prinzip, das dahinter steht und das erklärt Paulus in Kap. 7 in vortrefflicher Weise. Wir wollen den ersten Teil des Textes einmal lesen:

(1) Wisst ihr nicht, liebe Brüder - denn ich rede mit denen, die das Gesetz kennen -, dass das Gesetz nur herrscht über den Menschen, solange er lebt? (2) Denn eine Frau ist an ihren Mann gebunden durch das Gesetz, solange der Mann lebt; wenn aber der Mann stirbt, so ist sie frei von dem Gesetz, das sie an den Mann bindet. (3) Wenn sie nun bei einem andern Mann ist, solange ihr Mann lebt, wird sie eine Ehebrecherin genannt; wenn aber ihr Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, sodass sie nicht eine Ehebrecherin ist, wenn sie einen andern Mann nimmt. (4) Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet durch den Leib Christi, sodass ihr einem andern angehört, nämlich dem, der von den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen. (5) Denn solange wir dem Fleisch verfallen waren, da waren die sündigen Leidenschaften, die durchs Gesetz erregt wurden, kräftig in unsern Gliedern, sodass wir dem Tode Frucht brachten. (6) Nun aber sind wir vom Gesetz frei geworden und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt, sodass wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens.

Es ist ganz deutlich, dass Paulus hier seine Volksbrüder meint, die das Gesetz kennen. Deshalb begegnet er hier auch ganz ihrer Vorstellungswelt. Für den Juden galt nämlich das Gesetz als die einzige Möglichkeit der Frömmigkeit, es band den Gläubigen an Gott. Das Gesetz zu verlassen war wie Ehebruch. So hatten sie es von Kindesbeinen an gelernt und es ist verständlich dass sie sich jetzt schwer taten, diese Lebensart nach dem Gesetz des Moses als nicht mehr gültig zu betrachten. Im alten Testament wird das ungehorsame Volk Gottes oft genug mit einer Frau verglichen, die Ehebruch begeht. Wie viel Leid war doch diesem Treuebruch des Volkes erwachsen? Dass da die Angst groß war, ist nachvollziehbar. Deshalb verwendet Paulus auch dieses Bild der Ehe und macht deutlich, dass eine Ehe auch nicht für die Ewigkeit geschlossen wird. Bis der Tod euch scheidet heißt es, aber dann, wenn einer der beiden Ehepartner gestorben ist, dann ist der andere frei, das ist ganz normal, niemand wird ihn mehr einen Ehebrecher nennen, wenn er noch einmal heiratet. So sieht das Paulus auch geistlich: in Kap. 6 hat er davon gesprochen, dass wir mit Christus gestorben und auferstanden sind, um mit ihm in einem neuen Leben zu wandeln (6:4). Was liegt also näher, als anzunehmen, dass damit alle früheren Bindungen gelöst sind. Die Bindung an die Sünde hatte er schon erwähnt. Sie ist gelöst. Nun betont er, dass auch die Bindung an das Gesetz gelöst ist. Das ist Paulus anscheinend ungeheuer wichtig, sonst würde er das hier nicht so betonen und sich damit dem Verdacht aussetzen ein Abtrünniger unter den Juden zu sein. Paulus hat dabei, wie schon erwähnt, das Ziel im Auge, dass der Gläubige Gott Frucht bringen sollte (V4) und das scheint mit dem Gesetz nicht möglich zu sein. Für Paulus ist das Gesetz ein Hindernis auf dem Weg zur Fruchtbarkeit für Gott.

Aber warum denn eigentlich? Warum sollte das Gesetz ein Hindernis sein? Paulus ist uns eine Erklärung schuldig, wie kann er behaupten (V5) dass das Gesetz im Volk jene Leidenschaften für die Sünde weckte, das ihm den Tod einbrachte? Paulus bleibt uns die Antwort nicht schuldig, er stellt nicht nur diese Behauptung auf, er begründet sie auch im folgenden:
(7) Was sollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte (2.Mose 20,17): »Du sollst nicht begehren!« (8) Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass und erregte in mir Begierden aller Art; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. (9) Ich lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig, (10) ich aber starb. Und so fand sich‘s, dass das Gebot mir den Tod brachte, das doch zum Leben gegeben war. (11) Denn die Sünde nahm das Gebot zum Anlass und betrog mich und tötete mich durch das Gebot. (12) So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. (13) Ist dann, was doch gut ist, mir zum Tod geworden? Das sei ferne! Sondern die Sünde, damit sie als Sünde sichtbar werde, hat mir durch das Gute den Tod gebracht, damit die Sünde überaus sündig werde durchs Gebot.

Natürlich setzte sich Paulus dem Verdacht aus, dass er das Gesetz Gottes, das Moses am Berg Horeb empfangen hatte, verachtete und schlecht machte. Man kann die Empörung vieler Juden förmlich herauslesen zwischen den Zeilen dieses Textes. Paulus schrieb ja hier den Juden in Rom, die wahrscheinlich so manches schon gehört hatten über die eigenartigen Ansichten des Paulus und es war dringend nötig, klar zu stellen, was er wirklich lehrte. Deshalb macht Paulus deutlich, dass er das Gesetz als etwas Gutes, von Gott Gegebenes achtet. Nicht das Gesetz war schuld an dem Dilemma, sondern die Sünde, die im Menschen war, seitdem dieser das Paradies verlassen musste. Doch wie war es klar geworden, dass es so ist, wie es ist? Wie war das ganze Ausmaß der Tragödie des Sündenfalles sichtbar geworden? Durch das Gesetz! lautet die Antwort. Es wurde dem Volk Gottes gegeben, um sichtbar zu machen, dass es nicht würdig war, aller Segnungen, die ihm verheißen waren. Hätten sie das Gesetz gehalten, sie wären geradewegs ins Paradies zurückgekehrt. Aber sie hielten es nicht und fielen dadurch unter das Urteil. Nicht dass sie ab da erst Sünder waren, nein, das waren sie vorher schon, aber nun war die Sache bewiesen und es war klar, dass das Volk nicht in der Lage war, einen Bund mit Gott zu unterhalten, es musste zwangsläufig scheitern. Das was da in fernen zurückliegenden Zeiten passierte, war ja exemplarisch für die ganze Menschheitsgeschichte. In allen möglichen Völkern und Kulturen versuchten Menschen durch ethische und rituelle Normen Gott zu gefallen und sie tun es immer noch. Meistens waren es ihre eigenen Vorstellungen von Gott, die nichts mit dem wirklichen lebendigen Gott zu tun hatten, sie dienten Götzen und auch die Inhalte ihrer selbstgewählten Frömmigkeit waren ethisch oft genug zerstörerisch und nicht heilsam.

Im Volk Israel aber ergriff der einzig wahre Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, die Initiative und gab einem auserwählten Volk sein eigenes Gesetz, das er selbst erdacht hatte, einen theoretisch möglichen Weg, der Mensch und Gott zusammenführen sollte. Gott wusste, dass das nicht funktionieren würde, darüber gibt es viele Andeutungen im Alten Testament. Aber der Mensch wusste es nicht und so musste er es erfahren. Der Gesetzesbruch musste praktisch werden, um diese Möglichkeit ein für allemal auszuschließen. Nun aber, nachdem die Erfahrung da war, was sollte noch das Gesetz? Es hat ausgedient, denn es hat sich zwar als gut und heilig erwiesen, aber doch auch als unwirksam, weil es, wie sich herausstellte, dem Menschen wesensfremd war, oder eigentlich der Mensch ihm. Wie ist das zu verstehen? Dies erläutert nun Paulus im Folgenden:

(14) Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. (15) Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. (16) Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut ist. (17) So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (18) Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. (19) Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. (20) Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

Das Gesetz ist geistlich, ich aber bin fleischlich? Was bedeutet das? Schon vorher hatte Paulus es angedeutet, nämlich als er in V.6 sagte:
» … dass wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens.« Das Wesen des Gesetzes ist zwar geistlich, aber uns gegenübergestellt ist es eigentlich ein Haufen von Buchstaben, in Stein gemeißelt oder auf Papier vervielfältigt. Deshalb spricht das Gesetz den natürlichen Menschen zwar auch an, aber es dringt nicht durch. Es bleibt im Grunde genommen eine Liste von Vorschriften und Paragraphen, die das normale, das materielle Dasein, erschweren und im Ernstfall als Last und nicht als Lust empfunden werden.

Das ist die generelle Eigenheit aller Gesetze, dass sie uns als gut erscheinen, solange sie uns nicht sonderlich betreffen. Ein einfaches Beispiel: natürlich halte ich Tempo 130 auf der Autobahn für grundsätzlich sinnvoll und richtig, reduziert es doch die Gefahren, was vor allem in der jährlichen Statistik der Todesopfer zu sehen ist. Doch wenn ich unterwegs bin und es ist schon spät und es ist so leicht, nur ein kleiner Tip mehr auf das Gaspedal … , da vergeht mir jede Lust zu diesem Gesetz. So ist es mit vielen Gesetzen. Wir freuen uns, dass wir in einem Lande leben, in der Recht und Ordnung herrscht. Das ist die Lust. Aber wenn wir persönlich gefordert werden, dann kommt die Last und wir sind versucht sie abzuschütteln. Das Ideal verträgt sich anscheinend nicht mit den momentanen natürlichen Gegebenheiten. Die Leidenschaft ist stärker als das Ideal.

Hier müssen wir erkennen, dass der Mensch zwei Existenzen in sich trägt. Diese Tatsache ist ja allgemein bekannt. Goethe ließ in seiner Dichtung den Faust aufsagen:
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen; (das Fleischliche)
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust (= Staub)
Zu den Gefilden hoher Ahnen. (das Geistliche - Geistige)

Das eine ist das Fleischliche, die sich an die Existenz klammernden Organe mit ihren materiellen Bedürfnissen. Das andere das Geistliche, oder damals würde man gesagt haben, das Geistige, denn die Säkularisierung hatte schon eingesetzt und in der Abgrenzung zu religiösen Begriffen wurde nicht mehr von geistlich, sondern von geistig gesprochen. Jedenfalls finden wir bei Goethe wie bei vielen anderen auch, die Lehre von den zwei Naturen des Menschen.

Dabei geht es in der Erlösung immer wieder, auch in der Faustgeschichte, um die Überbrückung dieser Kluft. Wie gelangen wir zur inneren Einheit, zur Aussöhnung mit uns selber? Wie Goehte das im Faust beantwortet, ist eine Geschichte die eigentlich ungelöst bleibt. Aber es geht ja in Goethes Dramen gar nicht wirklich um die Antwort auf die Frage nach der Erlösung, sondern es geht um die Dichtung selbst, als geistreiche Unterhaltung.

Paulus ist da viel deutlicher und realistischer: Der Mensch ist fleischlich, das ist die eine Seite. Als solcher ist er unter die Sünde verkauft. Das heißt, dass von dieser Seite seiner Existenz sein Schicksal bestimmt wird. Es ist die materielle, irdische oder von Gott losgelöste natürliche Existenz des Menschen. Es ist nicht die materielle Existenz schlechthin, die das Problem darstellt, denn Adam und Eva sind auch in einer materielle Welt hinein geschaffen worden, aber sie waren in einem Zustand der Unschuld und lebten im Paradies mit Gott. Durch den Sündenfall ging diese Gemeinschaft verloren und der Mensch war auf sich selbst geworfen und unter die Macht der Sünde verkauft. Im griechischen gibt es vier Begriffen die für das Verkaufen verwendet werden. Der hier verwendete Begriff bezeichnet dabei vor allem den Handel mit Sklaven. Man könnte also auch sagen, Wir sind unter die Sünde versklavt. Das heißt, wir können gar nichts anderes als unser Leben lang zu sündigen.

Auf der anderen Seite aber steht die Tatsache, dass der Mensch, und zwar auch der gefallene natürliche Mensch, einen Sinn hat für das Gute. Lesen wir weiter, um herauszufinden, was Paulus mit dieser anderen, der fleischlichen Natur widerstreitenden Art des Menschen meint:

»(21) So finde ich nun das Gesetz, dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. (22) Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. (23) Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. (24) Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? (25) Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.«

Hier haben wir einige zentrale Begriffe, die uns diese andere Natur des Menschen erläutern. Zunächst spricht Paulus vom inwendigen Menschen, also dem verborgenen Menschen, der nach außen hin nicht so offensichtlich ist. Dieser innere Mensch hat Lust an dem Gesetz Gottes. Paulus spricht ja hier in der Ich-Form und meint damit wieder seine jüdische Herkunft. Er kennt das Gesetz und es ist ihm sympatisch. Er hat innerlich ein Ja zu den Idealen, die er in den Schriften gefunden hat, denn er war ja ein frommer Jude, ein Pharisäer sogar. Aber wie wir, so hat auch er erkannt, dass es nicht seinem natürlichen Wesen entspricht, diesem Ideal zu folgen. Paulus ist schuldig geworden, er hat versagt. Er tat nicht was er wollte, sondern das was ihm die natürlichen Gesetze aufzwangen.

Dem Gesetz Gottes gegenüber stand nämlich der Mensch Paulus, der Pharisäer und römische Bürger – ein hochgebildeter Mann, stolz und unbarmherzig. So verfolgte er die Christen und übte Gewalt aus, wohl meinend, dass er damit Gottes Willen tut, aber er irrte sich. Nicht das Gesetz hatte ihn in die Irre geführt, das erkannte er später, denn im Gesetz und in den Propheten wäre alles zu erkennen gewesen. Es war sein stolzes fleischliches Wesen, stets auf Anerkennung und Ruhm bedacht, vielleicht war es auch der Wohlstand und die Karriere die ihm winkte, sollte er das Problem der Christen gelöst haben. Das alles hatte ihn buchstäblich zum Christenmörder werden lassen. So kam es zum Zerbruch, als ihm in Damaskus Jesus begegnete, wie uns die Apostelgeschichte berichtete (Apg. 9:1-31).

Er hatte ja als frommer Jude alles auf die Karte des Gesetzes gesetzt. Doch er war gescheitert. In der Hoffnung doch noch in einen Status zu gelangen, der ihn Gott wohlgefällig machen könnte, schlitterte er trotz seines guten Willen und seiner hohen Ideale geradezu in eine tiefe Rebellion gegen Gott. Gerade diese Rebellion, die er so gerne in seinem Volk hätte ausmerzen wollen, entdeckte er nun an sich selber. Das muss wie ein tiefer Schnitt ins Herz gewesen sein, als er vor Damaskus von der Stimme Gottes zu hören bekam: »Saul, warum verfolgst Du mich?« Kein Wunder, dass Paulus ein für alle mal davon frei war, Gott jemals noch durch Gesetzeswerke beeindrucken zu wollen.

So entdeckte er, bedingt durch seine Biografie in sich schließlich die zwei einander widerstreitenden Gesetze: das Gesetz Gottes und das Gesetz der Sünde. Das was in ihm aber nach dem Ideal verlangte, das Gemüt, das konnte sich nicht wirklich behaupten. Das Gemüt wird auch mit Vernunft übersetzt, das ist besser als die Übersetzung von Luther. Das Denken des Menschen ist ja vernünftig. Er weiß zu unterscheiden was Gut und Böse ist. Wir können sogar sagen, dass der Mensch grundsätzlich ein vernünftiges Wesen ist, im Gegensatz zum Tier, das von der Bibel als unvernünftig bezeichnet wird. Deshalb kann ja ein Tier auch nicht schuldig werden. Freilich kann auch der Mensch auf die Stufe der Unvernunft herabfallen, was ihn allerdings nicht entschuldigt (2. Petr. 2:12; Jud:10).

Nun hatten wir im Text in V. 18 das Wollen, das auf die Vernunft, also auf das Gute, ausgerichtet ist. Wieso kann dann das Böse dennoch triumphieren? Hier müssen wir erkennen, dass Vernunft nicht gleichzusetzen ist mit Verstand. Der Verstand kann Gutes oder Böses ersinnen, aber die Vernunft nicht. Es gibt Vernunft und Unvernunft. Es gibt also keine schlechte Vernunft – schlecht ist das Fehlen von Vernunft. Die Unvernunft kommt also von daher, dass sich die Vernunft im Menschen nicht durchsetzen kann und zwar sogar dann nicht, wenn der innere Wille auf die Vernunft ausgerichtet ist, wie das Paulus hier ja beschreibt. Wie oft tun wir doch das, was eigentlich nicht vernünftig ist. Wenn wir uns dann fragen, warum haben wir es getan haben, warum wir nicht unserer Vernunft gefolgt sind, wie wir es eigentlich wollten – dann entdecken wir immer eine sinnliche, auf etwas materielles ausgerichtete Leidenschaft, die stärker war als unsere Vernunft.

Der Aufschrei des Paulus zeigt, wie bewusst er sich dieses Dilemmas geworden ist: (24) »Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?« Sein Aufschrei nach Erlösung aber wurde erhört, als er Jesus Christus als den erkannte der auch um seiner Sünde willen gestorben und zu seiner Rechtfertigung auferstanden war. Von der Zeit an hatte sein innerer Mensch einen Verbündeten, nämlich Christus.

War die geistliche Existenz des Paulus vorher reduziert auf das Vorhandensein seiner Vernunft, die nicht in der Lage war, sich gegen die natürliche Existenz, gegen seine Leidenschaften zu behaupten, weil das Gesetz der Sünde stärker war als das Gesetz Gottes, so war sie nun erneuert. In Paulus hatte ein neues Leben begonnen und es war geistlich wie das Gesetz selbst, er war nicht mehr länger auf die toten Buchstaben angewiesen.

So ist das auch bei allen Christen, wenn sie wirkliche Christen sind. Ihr Leben ist geistlicher Art und damit ist es nicht mehr nötig, dass sie noch von irgendeinem Gesetz geleitet werden, außer von dem Gesetz der Liebe. Liebe aber ist auch geistlich, denn würden wir versuchen ihr Ausmaß in Worte zu fassen, die Bücher der Welt könnten sie nicht aufnehmen. Denn hier muss wahr werden, was der Prophet Jesaja vorausgesagt hat: (Jer 31,33) »sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.« Das ist die Lösung. Das Gesetz Gottes ins Herz der Menschen geschrieben, nicht mit toten Buchstaben, sondern im lebendigen Geist – der Wille Gottes im Wesen des Geistes ausgeführt. So erwacht der Mensch in seiner geistlichen Existenz zu neuem Leben und wird zum Kind Gottes.

Wir tun gut daran, den letzten Satz in Kap. 7 »So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.« nicht so zu deuten, dass sich Paulus immer noch in dem gleichen Zwiespalt befand. Das war die Lehre der Gnostiker, zu sagen, dass beides zugleich möglich ist, nämlich mit dem Fleisch der Sünde zu dienen und mit dem Geist Gott und dass das keine geistlichen Konsequenzen hätte. Nein, dieser Satz ist nur eine Zusammenfassung des vorher Gesagten. Als Paulus noch fleischlich lebte, da lebte er nicht nur der Vernunft nach unter dem Gesetz des Moses, sondern auch, dem Fleisch nach, unter dem Gesetz der Sünde, und er konnte der Macht der Sünde nicht entfliehen.

Dass es aber anders aussieht wenn Jesus Christus in unser Leben getreten ist und uns erlöst hat, davon handelt Römer 8, wo von dem geistlichen Leben die Rede ist. Von diesem geistlichen Leben und was es in uns bewirkt, werden wir das nächste mal hören.
Der Herr schenke Euch einen wachen Geist, zu erkennen, was sein Wille ist und diesen auch zu tun, denn jetzt haben wir die Macht dazu.

Amen!